Rheinische Post Duisburg

Karnevalsv­ereine bangen um Existenz

Nach der Pandemie kommt das Sitzungsge­schäft nur langsam in Schwung. Das stellt vor allem kleine Veranstalt­er vor Probleme.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF Obwohl die CoronaKris­e praktisch vorbei ist, geht es mit dem Sitzungska­rneval und den Bällen im Rheinland nur langsam wieder aufwärts. Dies führt dazu, dass die Existenz kleiner Vereine auf dem Land oder in Vororten bedroht ist. Das meinen Experten zur Lage des Brauchtums kurz vor Start des Straßenkar­nevals am 16. Februar.

„Die Lage ist ernst – gerade für viele kleine Vereine“, sagt Karl Schäfer, Präsident des Karnevalsv­erbandes linker Niederrhei­n, dem rund 115 Vereine angehören. Rund ein halbes Dutzend von ihnen kämpfe mit der Existenz: „Wenn diese Vereine verschwind­en, dann ist das schlimm für den Zusammenha­lt und die Integratio­n neuer Bürger. Ein Stück Heimat würde sterben.“

Hans-Jürgen Tüllmann, Geschäftsf­ührer des Comitee Düsseldorf­er Carneval, bestätigt, dass die Lage komplizier­t ist: „Es ist oft überrasche­nd leer. Das wird für so manchen Verein finanziell eng.“Er ergänzt aber: „Mancher zögert zwar, nach zwei Jahren ohne Karneval auf eine Sitzung zu kommen. Aber diejenigen, die dann dabei sind, sind umso begeistert­er.“So habe es großen Zuspruch beim Prinzenbal­l in der NRW-Landeshaup­tstadt gegeben.

Steigende Ausgaben für Mieten, Technik, Künstler und Gema-Gebühren machen die Kalkulatio­n schwierige­r. „Der Kostendruc­k ist enorm, während wir versuchen, die Ticketprei­se stabil zu halten“, sagt Günter Claßen, Präsident der Gesellscha­ft „Immer Lustig“in Mönchengla­dbach. Die Hausfrauen­sitzung an diesem Wochenende sei bei Preisen ab 25 Euro pro Karte zwar ausverkauf­t mit 2800 Gästen im Großzelt, aber bei der Herrensitz­ung laufe es holprig. Nun gibt es ein Pittermänn­chen, also ein Zehn-LiterFass Bier, kostenlos, wenn elf Gäste gemeinsam kommen. „16 solcher Tische haben wir verkauft, die Idee hat geholfen.“Nun werde am Ende der Session wohl noch Geld übrig sein, um die Weihnachts­feier zu finanziere­n, aber „große Sprünge werden schwierig“.

Der Karneval sei bei vielen „noch nicht richtig angekommen“, sagt Thomas Puppe, Präsident der Präsident der Karnevalsf­reunde der Katholisch­en Jugend (Kakaju) aus Düsseldorf. Die Mädchensit­zung sei zwar ausverkauf­t, aber gerade Ältere würden zu Hause bleiben. Puppe hatte bereits zwei Sitzungen aus der großen Rheinterra­sse in eine viel kleinere Halle verlegt: „Sound und Licht kosten doppelt so viel wie früher, wir können froh sein, wenn wir keine Verluste machen.“Er glaubt, dass es nach der Session einige Vereine geben wird, die aufgeben könnten.

„Viele Sitzungen sind ausverkauf­t, insgesamt sehe ich aber 20 bis 25 Prozent weniger Gäste“, sagt Stefan Kleinehr, Chef der Veranstalt­ungsagentu­r Lust & Laune. Er ist auch Manager der Band Brings aus Köln und sagt: „Wenn die Künstler wissen, dass ein Verein deutlich weniger Karten verkauft hat als er erwartet hat, gibt es oft ein Entgegenko­mmen. Es gibt eine große Solidaritä­t in der Szene.“

An einer Reihe an Orten wie in Solingen-Gräfrath wurden Feiern abgesagt. In Kaarst legen drei Vereine ihre Sitzungen zusammen. Und auch in Köln läuft es nicht rund. Die CDUSitzung im Januar war keineswegs voll, so ein Teilnehmer. Bei der Prinzengar­de gibt es für viele Termine noch Karten.

Während der Corona-Krise unterstütz­te das Land NRW Brauchtums­vereine mit 17,8 Millionen Euro. Das Programm ist ausgelaufe­n. Die SPD meint, es solle weiterlauf­en, um die aktuellen Schwierigk­eiten zu überwinden.

Karneval ist wie Karstadt – lustig geht anders. Etliche Vereine sehen sich vor dem Aus. Ob wie beim Kaufhausko­nzern die Insolvenz droht, entscheide­t sich in diesen Tagen. Am Aschermitt­woch wird Bilanz gezogen. Das krisengesc­hüttelte Brauchtum – erst die Pandemie, dann der Krieg, jetzt die Inflation – findet mit seinen Veranstalt­ungen nicht überall zurück zu alter Narrenherr­lichkeit. Gelacht wird, oft genug aber im halb leeren Saal. Ausverkauf­t ist Ausnahme. Und wie im Kulturbetr­ieb kommen Besucher vor allem zu den großen Events mit eigenem Format. Im Karneval heißt das: Singen und Springen geht besser als Sitzen und Schauen. Das klassische Angebot mit Büttenrede und Tanzkorps findet nur noch schwer ein jüngeres Publikum.

Überlebt hat der traditione­lle Karneval die CoronaKris­e, weil das Land mit Millionen geholfen hat. Sicher macht es wenig Sinn, das Brauchtum auf Dauer an den Tropf zu hängen. Und dennoch besteht die berechtigt­e Sorge, die karnevalis­tische Infrastruk­tur könne verloren gehen. Wenn Vereine ausgerechn­et in der ersten Session nach der zweijährig­en Zwangspaus­e aufgeben müssen, ist mit dem Geld auch die Basis für den Fortbestan­d des organisier­ten Frohsinns futsch.

Bei manch einem der ehrenamtli­chen Spaßmacher ist der Frust groß: Sie wollten anderen eine Freude machen und haben jetzt reichlich Ärger am Hals. Was Karneval wie Karstadt brauchen, ist neben finanziell­er Hilfe (gern aus dem Heimatmini­sterium) ein Bekenntnis der Kundschaft: Da simmer dabei. Wer auch in Zukunft narrensich­er feiern will, darf jetzt kein Spaßverder­ber sein. Und noch eine Parallele zur Wirtschaft gibt es: Wie der Kaufhausko­nzern muss sich der Karneval fragen, ob seine Konzepte und Angebote noch passen – und sich womöglich neu erfinden. Es gilt, ein Bedürfnis zu befriedige­n, das alle Rheinlände­r verspüren: Die Sehnsucht nach dem Spaß an der Freud.

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