Der Körper ist nur das Fahrgestell
Prof. Dietrich Grönemeyer sprach im Lehmbruck-Museum über „Mensch sein”.
Man merkte es Dietrich Grönemeyer an, wie begeistert er vom Lehmbruck-Museum ist. Der renommierte Arzt, Wissenschaftler und Buchautor schlug im Laufe des öffentlichen Gesprächs mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Jörg Mascherrek sogar vor, im Museum mal einen Ärztekongress stattfinden zu lassen. Denn, so Grönemeyer, Künstler und Ärzte seien jeweils auf ihre Weise Diagnostiker. Da Mascherrek seinen Gast im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung „Gormley/Lehmbruck: Calling the Body“eingeladen hatte, verwies Grönemeyer denn auch auf die Werke des weltbekannten britischen Künstlers. So zum Beispiel auf dessen Skulptur, die einen ansonsten lebensgroßen Menschen zeigt, der seine Arme weit ausbreitet; sehr weit, so dass die seitwärts ausgebreiteten Arme eine Spannweite von 5,60 Meter haben. Grönemeyer sah darin ein wunderbares Bild über das Verhältnis von Mensch und Welt. Es könne ein großes Willkommen oder auch ein großes Auf-Distanz-Halten sein. Kunst, so Grönemeyer, lasse die Betrachter innehalten, tue den Menschen oft viel Gutes.
„Was ist für Sie der Mensch?“, fragte Mascherrek, der Grönemeyers Bücher gut kennt, einleitend. Grönemeyers Antwort zeigte denn auch sein menschenfreundliches Weltbild. „Der Mensch ist mein Zuhause. Er ist acht Milliarden Male gleich, doch jedesmal einzigartig.“Mascherrek lenkte das Gespräch auch zu Fragen nach den letzten Dingen, die beim Sterben münden. Grönemeyer berichtete von seinem lebensgefährlichen Unfall vor 30 Jahren, vom Tod seines Bruders Wilhelm, der nur 44 Jahre alt wurde, und dem kurz darauf erfolgten Tod seiner Schwägerin, der Ehefrau seines Bruders Herbert. Angesichts des Todes sei die Angst davor erstaunlicherweise wie verflogen gewesen. Für ihn sei es ein Trost, dass Eiweiße und Moleküle unseres Körpers auch nach dem Tod weiter bestünden. „Wir sind unendlich“, so Grönemeyer und fügte hinzu: „Was mit der Seele ist, wissen wir nicht.“
Ein großes Thema war Grönemeyers ganzheitlicher Blick auf den Menschen. Der Körper sei nur das Fahrgestell. Ein guter Arzt blicke auf den Menschen als Individuum, beschränke sich nicht aufs „Fahrgestell“, sondern frage auch nach seinem Denken und Fühlen. Diese Sichtweise habe als praktische Konsequenz, dass das Gespräch zwischen Arzt und Patient gepflegt werden müsse. Bei der Abrechnungspraxis werde das leider nicht berücksichtigt. Grönemeyer schlägt ein neues Krankenkassensystem vor, das er „privasetzlich“nennt und Lücken im bisherigen System schließen soll. Er plädiert für die Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Disziplinen. Schulmedizin, Naturheilkunde und auch Erfahrungen aus der Volksmedizin sollten sich nicht gegenseitig ausschließen. Gleichwohl müsse man oft auch pragmatisch vorgehen. So könne der Einsatz von Telemedizin in vielen Fällen durchaus sinnvoll sein und wertvolle Zeit sparen.