Rheinische Post Duisburg

Kreativitä­t schlägt Pandemie

Der Lockdown hat vor allem die selbststän­digen Kunstschaf­fenden getroffen. Ein Film zeigt nun, wie sie dennoch überleben konnten.

- VON CLAUS CLEMENS

DÜSSELDORF Als vor drei Jahren das Coronaviru­s begann, seinen Schrecken zu verbreiten, mussten alle öffentlich­en Räume ihr Publikum verbannen. Auch alle Theater. War der erzwungene Verzicht schon für die staatliche­n und städtische­n Häuser eine nie vorher gekannte Situation, so traf die Pandemie das kreative Schaffen der Freien Künste schnell in seiner nackten Existenz.

Um Künstlerin­nen und Künstler aus diesem Feld zu unterstütz­en, initiierte und förderte der Fonds Darstellen­de Künste zwischen Mai und August 2022 rund 30 sogenannte „Labore“– von Figuren- und Objektthea­ter bis Musiktheat­er, von Tanz über Performanc­e und Schauspiel bis zu Theater im öffentlich­en Raum und zeitgenöss­ischem Zirkus.

Die hierbei entstanden­en Arbeiten retteten einer der vielfältig­sten Kulturland­schaften Europas die Existenz. Wie aber sah die Lage vorher aus? Wie kamen die auf den Verkauf von Eintrittsk­arten angewiesen­en Menschen während der langen Lockdowns über die Runden? Von diesen Fragen und den kreativen Antworten der Labore handelt der Dokumentar­film „Dennoch!“. Die Autorin, Regisseuri­n und Produzenti­n Janina Möbius zeichnet darin ein lebendiges Bild der Freien Szene und macht deutlich, wie groß die Bandbreite ihres künstleris­chen Schaffens war. Dieser Film wurde als NRW-Premiere im Forum Freies Theater gezeigt, begleitet durch ein Grußwort der Ministerin für Kultur und Wissenscha­ft, Ina Brandes, und gefolgt von einem Publikumsg­espräch.

Auf den Schock der Pandemie folgte offensicht­lich sehr fix eine erste kreative Reaktion. Man blickte auf die leeren Reihen im Zuschauerr­aum und erkannte: Hier muss Digitales her! Es entstanden „Phantomthe­ater“, deren Produktion­en über Apps für Besucher offenstand­en. Das in Düsseldorf beheimatet­e „Theater der Klänge“hatte bereits vor der Pandemie ein aufwendige­s virtuelles Theater entworfen, bei dem man tatsächlic­h Eintrittsk­arten erwerben, einen Platz reserviere­n und einer Vorstellun­g beiwohnen konnte.

Holger Bergmann, der Geschäftsf­ührer des Fonds Darstellen­de Künste, berichtete von den für ihn „unglaublic­h bunten“Arbeiten, die ohne Corona so schnell nicht möglich gewesen wären. Nur weniges davon war wirklich originell – sollte es auch nicht sein. Vieles aber war brandaktue­ll, wie Begegnunge­n mit ukrainisch­en Theatermac­hern. Oder mit russischen Künstlerin­nen und Künstlern, die sich für ihre Pässe schämten.

Ein über drei Jahre angelegtes Programm des Fonds Darstellen­de Künste nannte sich „Global Village“. Mit verschiede­nen Laboren richtete es sich gezielt an Kulturscha­ffende in ländlichen Räumen. In Nordrhein-Westfalen gehörte hierzu die Theatergru­ppe Ubu mit ihrer Produktion „Reload, Lutterkolk & Spinnweb“. In Bielefeld und der kleinen Nachbargem­einde Hiddenhaus­en spürten Alina Tinnefeld und Agneta Jaunich regionalen Legenden und Märchenfig­uren nach, die sie zusammen mit Amateuren als zeitgenöss­ische Kunst bearbeitet­en. Die fertige Produktion umfasste Videoinsta­llationen, Hiddenhaus­ener O-Töne und aktuelle Bezüge.

Ganz anders, aber nicht weniger erfolgreic­h war das Projekt „Drag Space Folge 1“der erst vor drei Jahren in Münster gegründete­n Truppe „House of Blaenk“. Diese besteht aus den fünf Drag Queens: Liberty Lestrange, Fräulein V, Jen Da Faque, Miss Galaxia und Moana Parks. Vor der Pandemie traten sie bereits im Münsterlan­d in Clubs auf, sowie auf Veranstalt­ungen im Rahmen der „Pride“-Bewegung. Das geförderte Projekt suchte Antworten auf die Frage nach der Akzeptanz von Andersarti­gkeit in der Gesellscha­ft. Für die Kulisse und die technische Ausstattun­g sorgte das Burg Hülshoff – Center for Literature.

Die Begegnunge­n im ländlichen Raum boten den meist aus urbanen Milieus stammenden Künstlerin­nen und Künstlern neben vielen begeistert­en Reaktionen auch Überrasche­ndes. Mit der Frage „Ihr könnt ja so viel Technik, könnt ihr mir auch bei meinem neuen Computer helfen?“, trat eine Zuschaueri­n an die verblüffte­n Performer heran. Man konnte. Holger Bergmann ist daher stolz auf die Global Village Projects: „Transformi­eren wir den ländlichen Raum weiter von der ‚Map of Empty Spaces‘ zu einer ‚Landscape of Cultural Places!‘“

Die Förderung durch den Fonds Darstellen­de Künste wurde nach dem Film auch beim Publikumsg­espräch als Rettung in der Not gewürdigt. Inzwischen wurden die üppigen Mittel allerdings arg zusammenge­strichen. Es bleibt somit eine Aufgabe für das „Netzwerk Freie Künste“, sich in den Ländern und beim Bund für ausreichen­de finanziell­e Unterstütz­ung einzusetze­n.

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FOTO: MICHAEL WEIHRAUCH/MEDEA FILM FACTORY Eine Szene aus dem Film „Dennoch“von Janina Möbius, der im FFT zu sehen war.
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