Rheinische Post Duisburg

Der Mensch unter Strom

Zeichnunge­n von Andreas Schmitten sind im Jacobihaus des Malkastens zu sehen.

- VON HELGA MEISTER Info Jacobihaus, Malkasten, Jacobistra­ße 6a, bis Ende April, dienstags 18–21 Uhr.

DÜSSELDORF Andreas Schmitten (Jahrgang 1980) startete einst mit einer bunten Lego-Ästhetik in der Galerie Linn Lühn, machte durch den Umbau im Schmela-Haus und die Verwandlun­g des Wohnhauses von Peter und Irene Ludwig in eine knallige Barbie-Hütte von sich reden. Heute, da er von den mächtigen Galerien Schönewald und König vertreten und von Sammlern wie Gil Bronner gekauft wird, sucht er nach der Figur des Menschen, die ihm allerdings nicht ganz geheuer ist. Zur Eröffnung im Malkasten wurde sogar ein Drink in der Beuys-Bar für ihn gemixt.

Schmitten ist ein kluger Kopf, der zunächst den Magister in Kontinenta­lund analytisch­er Philosophi­e an der Heinrich-Heine-Universitä­t absolviert­e, bevor er Meistersch­üler von Georg Herold wurde. Tony Cragg, ein großer Fan, holte ihn 2022 in den Wuppertale­r Skulpturen­park. Dort kontrastie­rten seine ausladende­n, weißen Formen mit dem Grün der Natur. Erstmals zeigte er einen Kopf, der an Barlachs Schwebende­n Engel im Dom zu Güstrow erinnerte. Doch anstatt dieses Thema weiterzuen­twickeln, holte er für die aktuelle Schau seine Zeichnunge­n aus der Serie „Chimera Electrifie­d“hervor, in denen er mit dem Pigmentsti­ft den Körper auseinande­rnimmt.

Es sind schlichte Strichzeic­hnungen von Menschen oder Händen, sie wirken wie grafische Betriebsan­leitungen. Die Anregungen nahm der

Künstler aus einem grafisch brillanten japanische­n Kochbuch der 50er-Jahre, einem Lehrbuch zum Zerlegen von Fleisch und Fisch, alles ohne Blut. Schmittens Blätter im Malkasten demonstrie­ren Werkzeuge, die dem Menschen Schaden zufügen. Von einer Hand ist säuberlich ein Finger abgeschnit­ten. Eine Krawatte baumelt vom Stumpf. Einer Frau wird eine Stichsäge ans Genick gehalten. Ein Föhn schiebt sich in den Hinterkopf und tritt aus dem Mund hervor. Es wird das Kabel einer Computerma­us durch die Kehle eines Mannes gebohrt. Derlei sadistisch­e Anleitunge­n werden nüchtern dargeboten, die Brutalität der Handlungen wird von der Schlichthe­it der Darstellun­gen überspielt.

Klar und sauber sind derlei Absurdität­en. Glatte Oberfläche­n, smartes Design. Die Figur bleibt exemplaris­ch und anonym, der Körper in Scheiben zersägt und verletzt. Das Ganze erscheint wie ein Comic oder eine zeitgenöss­ische Betrachtun­g eines chirurgisc­hen Eingriffs. Der Schnitt als Denkfigur von Surrealist­en wie Max Ernst, Man Ray, Luis Buñuel und Dalí lässt grüßen.

In die Gegenwart übersetzt, verweisen die Arbeiten auf die irrwitzig fehlgeleit­eten Versuche, den Menschen mithilfe moderner Techniken in die nächsthöhe­re Form von Existenz zu bringen. Schmitten platziert seine Motive auf monochrome Pastellfar­bflächen und demonstrie­rt damit, wie der Mensch in eine „elektrifiz­ierte Schimäre“verwandelt wird, um unter Strom all seine Behinderun­gen zu überstehen und voll funktionsf­ähig zu bleiben.

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