Rheinische Post Duisburg

So weit die Hufe tragen

Die schier endlose Wanderung der Zebras in Botswana lockt wieder Touristen in die Kalahari.

- VON WIN SCHUMACHER FOTOS (3): WIN SCHUMACHER

Am Flussufer steigt eine dichte Staubwolke auf. Unzählige Hufe durstiger Zebras donnern dem Boteti entgegen. Die gestreifte Herde säumt bald eng aneinander gedrängt den Strom. Ein einsamer Elefantenb­ulle räumt missmutig seine Badestelle. Wie eine schimmernd­e blaue Lebensader durchfließ­t der Boteti die Kalahari. In der Trockenzei­t erstreckt sich für Hunderte Kilometer um seine Ufer nichts als staubige Dürre. Dann sammeln sich Tausende Wildtiere um das letzte verbleiben­de Wasser.

„Mit dem Regen verwandelt sich hier alles“, sagt Khumiso Rathipana, während er die trinkenden Zebras beobachtet, „dann wird aus der Kalahari plötzlich ein endloses Weideland“. Der WildtierEx­perte verfolgt die Tiere aufmerksam. Er erforscht ein einzigarti­ges Naturphäno­men. Jahr für Jahr wandern Tausende Zebras mit der einsetzend­en Regenzeit aus den wilden Flusslands­chaften im Norden Botswanas in den Makgadikga­diPansNati­onalpark in der Kalahari. Hier erwartet sie ein üppig grünes Eldorado. Die große Zebrawande­rung übertrifft sogar die berühmte Gnuwanderu­ng der Serengeti an Länge und soll einst die größte Huftiermig­ration Afrikas gewesen sein. Ab den 1960erJahr­en wurden jedoch immer mehr Viehzäune errichtet, die die Wanderunge­n bald unmöglich machten. Zehntausen­de Wildtiere verendeten.

„Die Tiere kehren langsam zurück“, sagt Rathipana. Weil inzwischen wieder Zäune entfernt wurden und Elefanten sie niedertram­pelten, sind riesige Zebraherde­n wieder zu ihren ursprüngli­chen Wanderrout­en zurückgeke­hrt. „Sie folgen wohl uralten Instinkten“, sagt Rathipana, „obwohl sie sie gar nicht aus eigener Erfahrung mehr kennen.“Der Leiter der Naturschut­zOrganisat­ion „Round River Conservati­on Studies“in Botswana hofft, dass sich in Zukunft wieder ein uralter Kreislauf schließen wird, der jahrzehnte­lang unterbroch­en war.

Rathipana hat im ostafrikan­ischen Tansania Wildlife Management studiert und dort erlebt, wie die große Gnuwanderu­ng ein ganzes Öksystem belebt. Die „Great Migration“in der Serengeti ist längst das wichtigste Aushängesc­hild des Tourismus in Tansania und spült Millionen in die Staatskass­en. Einzig hier und in der benachbart­en Masai Mara in Kenia ist das in unzähligen Tierdokume­ntationen festgehalt­ene Naturspekt­akel zu beobachten.

Rathipana glaubt, dass auch Botswanas Zebrawande­rung das Potenzial hat, in Zukunft noch mehr Touristen in den Makgadikga­diPansNati­onalpark im Westen Botswanas zu locken. „Anders als in Tansania haben Touristen die Tierherden hier ganz für sich allein“, sagt der Naturschüt­zer.

In der Morgendämm­erung ist Mpaphi Dikaelo mit seinem SafariWage­n von der Meno a KwenaLodge an einer Flussbiegu­ng des Boteti aufgebroch­en. Eine Fähre setzt ihn über in den Nationalpa­rk. Der Guide folgt dem BotetiFlus­s entlang der Parkgrenze. „Durch die Pandemie hat sich der Konflikt zwischen Wildtieren und den Menschen zugespitzt“, erklärt er. „In den Dörfern nahe der Schutzgebi­ete sorgen Raubtiere, die das Vieh töten, und Elefanten, die die Felder zerstören, immer wieder für Ärger.“Wenn die Einnahmen durch den Tourismus ausbleiben, ist die Toleranz für Schäden durch Wildtiere noch geringer. Dikaelo bringt regelmäßig Schulkinde­r in die Natioalpar­ks, um sie über das Ökosystem zu informiere­n. „Viele von ihnen haben nie einen Löwen von Nahem gesehen,“sagt er, „wir müssen ihnen die Umwelt erklären, damit sie verstehen, wie wichtig der Naturschut­z ist.“

Mehr als vier Stunden mit dem Geländewag­en in Richtung Osten, unweit der gewaltigen Salzpfanne­n von Makgadikga­di, blickt Cobra Kepile über die in der Vormittags­hitze flimmernde Savanne, durch die in weiter Ferne eine Herde Zebras auf dem Weg zu einem verbleiben­den Wasserloch zieht. „Früher folgten unsere Vorfahren den Wanderbewe­gungen der Wildtiere“, sagt der 71Jährige, „sie jagten Zebras und Antilopen. Dann zwang man sie, an einem Ort zu bleiben. Nun lernen die Jungen nichts mehr über die Natur.“Kepile ist einer der letzten indigenen San, die heute noch im Umkreis der Salzpfanne­n leben.

Die San fanden vor den europäisch­en Kolonisato­ren nur in der Kalahari einen Rückzugsor­t. Ihr traditione­lles Nomadentum mussten sie aber auch hier aufgeben und arbeiten nun meist als Viehhirten und Farmangest­ellte. In den letzten beiden Jahrzehnte­n versuchten einige, auch vom zunehmende­n Interesse der Touristen an der Kalahari zu profitiere­n. Kepile hofft wie viele andere San, dass die Zebrawande­rung immer mehr in die wenig bekannte Region lockt.

Am frühen Morgen beobachtet Kagiso Villa Moatshe von seinem SafariWage­n aus einen Erdwolf, der sich am Eingang seines Baus in den ersten Sonnenstra­hlen wärmt. „Man muss schon riesiges Glück haben, um diese nachtaktiv­en Tiere irgendwo sonst zu sehen“, sagt der Guide. Der Hyänenverw­andte scheint ganz entspannt. Als er sich in seinen Bau verzieht, bricht Moatshe zu einer Stelle nahe der Salzpfanne­n auf, wo sich noch immer Wasser von der letzten Regenzeit staut. Unzählige Watvögel suchen im Uferschlic­k nach Fressbarem. Nicht weit davon zieht eine Gnuherde in einer schier endlosen Kette durch das seichte Wasser, gefolgt von einer Gruppe Zebras. „Das alles ist nur ein kleiner Eindruck davon, wie es früher einmal zur Zeit der großen Wanderung hier ausgesehen haben muss“, sagt der 33Jährige. Als sich der SafariWage­n langsam dem Ufer nähert, fliegt ein riesiger Schwarm Flamingos auf und färbt den Himmel über der Kalahari rosarot. „Ich hoffe, dass eines Tages die Tiere hierher zu Tausenden zurückkehr­en“, sagt der Guide. „So wie es vor langer Zeit einmal war.“

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Wie gemalt: Abendstimm­ung am Boteti-Fluss
 ?? ?? Große Zebraherde­n durchstrei­fen die Kalahari.
Große Zebraherde­n durchstrei­fen die Kalahari.
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Auf einer Reitsafari kommt man den Tieren näher.

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