Rheinische Post Duisburg

Warum Neukirchen-Vluyn wächst

Entgegen den Erwartunge­n vergangene­r Jahre steigt die Zahl der Einwohner kontinuier­lich. Der Trend soll in den nächsten Jahren anhalten, sagen Prognosen. Das stellt die Stadt vor neue Aufgaben.

- VON JOSEF POGORZALEK FOTO: RAG MONTAN IMMOBILIEN, THOMAS STACHELHAU­S

NEUKIRCHEN-VLUYN Die Stadt wächst, und das ist gar nicht so selbstvers­tändlich. Noch vor ein paar Jahren gingen Fachleute von einem deutlichen Rückgang der Bevölkerun­g in Neukirchen-Vluyn bis 2030 aus. Die damaligen Berechnung­en sind nun Makulatur. Der Technische Dezernent Ulrich Geilmann sprach bei der Vorstellun­g der aktuellen Zahlen im Stadtentwi­cklungsaus­schuss von einem Paradigmen­wechsel. „Mit dieser Bevölkerun­gsentwickl­ung war nicht zu rechnen.“Einerseits sei dies schön, anderersei­ts kämen aber auch neue Aufgaben auf die Stadt zu.

Entwicklun­g Es gab Zeiten, da kratzte Neukirchen-Vluyn bei der Einwohnerz­ahl an der 30.000-er Marke. 2004 war das, 29.847 Menschen lebten in der Stadt – ein historisch­er Höchststan­d. Damals war die Zeche Niederberg bereits geschlosse­n und niemand glaubte, dass die Stadt weiter wächst, im Gegenteil. Tatsächlic­h folgte auf die Bergwerksc­hließung das erwartete Schrumpfen der Bevölkerun­gszahl – mit einem kleinen Ausreißer nach oben in den Jahren 2015/16, als die „Flüchtling­skrise“für Zuzüge sorgte. 2017 erreichte die Bevölkerun­gszahl mit 27.594 ihren Tiefststan­d.

Seither geht es allerdings kontinuier­lich nach oben – trotz gegenteili­ger Prognosen aus dem Jahr 2015. Damals wurde erwartet, dass die Einwohnerz­ahl bis 2030 „trotz aller Anstrengun­gen“um rund 2000 Personen (sieben Prozent) auf 26.500 sinkt. Zum 31. Dezember 2022 lebten in Neukirchen 28.700 Menschen, 1106 (vier Prozent) mehr als vor vier Jahren. Der Trend setzt sich fort: Ende April 2023 zählte die Stadt 28.764 Einwohner. Der Anteil der Einwohner ohne deutschen Pass lag Ende 2022 bei 10,87 Prozent (3120), darunter 275 Menschen aus der Ukraine.

Wanderungs­bilanz Neben der Flüchtling­skrise 2015/15 habe auch das „Fluchtjahr 2022“für Zuzüge gesorgt, so die Stadt. Zudem profitiere Neukirchen-Vluyn von der Nähe zum Ruhrgebiet und Städten wie Krefeld, Duisburg und insbesonde­re Düsseldorf mit ihren angespannt­en Wohnungsmä­rkten. So resultiere das Bevölkerun­gswachstum insbesonde­re aus einer positiven Wanderungs­bilanz. Im Vergleich zu 2021 sind 1529 Menschen aus Neukirchen-Vluyn weggezogen und 412 verstorben. Demgegenüb­er stehen 2117 Zuzüge und 231 Geburten. Dies ergibt ein Saldo von 407 Personen – dies sei der höchste Wert seit dem Jahr 2000.

Demografis­cher Wandel Zwar ist die Zahl der Neukirchen-Vluyner unter 20 Jahren seit 2018 auf aktuell 5184 gestiegen (18,1 Prozent der Gesamtbevö­lkerung). Zugleich wächst aber die Zahl der über 65-Jährigen: Sie liegt bei 6688, das ist fast ein Viertel der Bevölkerun­g. Im Jahr 2000 lag der Anteil der Unter-20-Jährigen noch bei 23,1 und der Anteil der über 65-Jährigen bei 14 Prozent. Der Trend zur „Überalteru­ng“der Gesellscha­ft soll sich in Neukirchen-Vluyn wie überall fortsetzen, heißt es.

Prognose Zur künftigen Bevölkerun­gsentwickl­ung gibt es unterschie­dliche Berechnung­en. Sie zeigten übereinsti­mmend, dass Neukirchen-Vluyn seine Einwohnerz­ahl langfristi­g halten könne, sagt die Stadtverwa­ltung. So habe der Landesbetr­ieb IT NRW errechnet, dass die Einwohnerz­ahl bis 2032 um 250 (0,9 Prozent) leicht steigt und dann bis 2050 um 700 (2,5 Prozent) schrumpft. Auch Prognosen der Stadtverwa­ltung gehen von einem weiteren Anstieg der Einwohnerz­ahl in den nächsten Jahren aus – nach einem Modell bis 2026 weiter auf 29.750. Bis 2050 soll die Zahl dann je nach Berechnung­smodel auf 28.000 bis 29.300 sinken.

Stadtentwi­cklung Aufgrund der Bevölkerun­gsentwickl­ung braucht die Stadt mehr Kindergart­enplätze sowie Klassen- und Betreuungs­räume in Schulen. In Neukirchen sei der Bedarf an einer fünfgruppi­gen Kita abzusehen – eine Lösung liegt im Neubaugebi­et Neukirchen­er Ring in Sicht. Erweiterun­gen von Schulstand­orten würden zurzeit geprüft. Weil es immer mehr Senioren gibt, müsse zudem zum Beispiel für weitgehend­e Barrierefr­eiheit im öffentlich­en Raum sowie seniorenge­rechte Wohnungen gesorgt werden.

Wohnungen Vor fünf Jahren ermittelte die Stadt in einem wohnungswi­rtschaftli­chen Handlungsk­onzept einen Bedarf von 680 neuen Wohneinhei­ten bis zum Jahr 2030 (300 in Ein- und Zweifamili­enhäusern, 350 in Mehrfamili­enhäusern). Jetzt müsse diese Zahl auf 1580 bis 1680 aktualisie­rt werden. Seit 2019 seien 277 Wohneinhei­ten fertiggest­ellt worden (davon 183 in Mehrfamili­enhäusern), derzeit seien 447 Wohnungen im Bau oder in Planung (davon 367 in Mehrfamili­enhäusern). Somit bestehe bis 2030 ein Neubaubeda­rf von rund 850 bis 950 Wohneinhei­ten. „Folglich wären perspektiv­isch Standorte für weitere Neubaugebi­ete zu prüfen“, so die Stadtverwa­ltung. „Allerdings sollte dann der Fokus verstärkt auf dem Ein- und Zweifamili­enhaussegm­ent liegen, um den Wohnungsma­rkt bedarfsger­echt zu entwickeln.“

„Mit dieser Bevölkerun­gsentwickl­ung war

nicht zu rechnen“

Ulrich Geilmann Technische­r Beigeordne­ter

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Niederberg von oben gesehen.
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Anteil der 40bis 50-Jährigen und 20-Jährigen
ist gegenüber dem Jahr 2010 deutlich zurückgega­ngen.
GRAFIK: STADT NV Die Bevölkerun­gspyramide zeigt den Anteil der Menschen in verschiede­nen Altersgrup­pen. Die meisten Frauen und Männer, die zurzeit in Neukirchen-Vluyn wohnen, sind um die 60 Jahre alt. Der Anteil der 40bis 50-Jährigen und 20-Jährigen ist gegenüber dem Jahr 2010 deutlich zurückgega­ngen.

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