Warum Neukirchen-Vluyn wächst
Entgegen den Erwartungen vergangener Jahre steigt die Zahl der Einwohner kontinuierlich. Der Trend soll in den nächsten Jahren anhalten, sagen Prognosen. Das stellt die Stadt vor neue Aufgaben.
NEUKIRCHEN-VLUYN Die Stadt wächst, und das ist gar nicht so selbstverständlich. Noch vor ein paar Jahren gingen Fachleute von einem deutlichen Rückgang der Bevölkerung in Neukirchen-Vluyn bis 2030 aus. Die damaligen Berechnungen sind nun Makulatur. Der Technische Dezernent Ulrich Geilmann sprach bei der Vorstellung der aktuellen Zahlen im Stadtentwicklungsausschuss von einem Paradigmenwechsel. „Mit dieser Bevölkerungsentwicklung war nicht zu rechnen.“Einerseits sei dies schön, andererseits kämen aber auch neue Aufgaben auf die Stadt zu.
Entwicklung Es gab Zeiten, da kratzte Neukirchen-Vluyn bei der Einwohnerzahl an der 30.000-er Marke. 2004 war das, 29.847 Menschen lebten in der Stadt – ein historischer Höchststand. Damals war die Zeche Niederberg bereits geschlossen und niemand glaubte, dass die Stadt weiter wächst, im Gegenteil. Tatsächlich folgte auf die Bergwerkschließung das erwartete Schrumpfen der Bevölkerungszahl – mit einem kleinen Ausreißer nach oben in den Jahren 2015/16, als die „Flüchtlingskrise“für Zuzüge sorgte. 2017 erreichte die Bevölkerungszahl mit 27.594 ihren Tiefststand.
Seither geht es allerdings kontinuierlich nach oben – trotz gegenteiliger Prognosen aus dem Jahr 2015. Damals wurde erwartet, dass die Einwohnerzahl bis 2030 „trotz aller Anstrengungen“um rund 2000 Personen (sieben Prozent) auf 26.500 sinkt. Zum 31. Dezember 2022 lebten in Neukirchen 28.700 Menschen, 1106 (vier Prozent) mehr als vor vier Jahren. Der Trend setzt sich fort: Ende April 2023 zählte die Stadt 28.764 Einwohner. Der Anteil der Einwohner ohne deutschen Pass lag Ende 2022 bei 10,87 Prozent (3120), darunter 275 Menschen aus der Ukraine.
Wanderungsbilanz Neben der Flüchtlingskrise 2015/15 habe auch das „Fluchtjahr 2022“für Zuzüge gesorgt, so die Stadt. Zudem profitiere Neukirchen-Vluyn von der Nähe zum Ruhrgebiet und Städten wie Krefeld, Duisburg und insbesondere Düsseldorf mit ihren angespannten Wohnungsmärkten. So resultiere das Bevölkerungswachstum insbesondere aus einer positiven Wanderungsbilanz. Im Vergleich zu 2021 sind 1529 Menschen aus Neukirchen-Vluyn weggezogen und 412 verstorben. Demgegenüber stehen 2117 Zuzüge und 231 Geburten. Dies ergibt ein Saldo von 407 Personen – dies sei der höchste Wert seit dem Jahr 2000.
Demografischer Wandel Zwar ist die Zahl der Neukirchen-Vluyner unter 20 Jahren seit 2018 auf aktuell 5184 gestiegen (18,1 Prozent der Gesamtbevölkerung). Zugleich wächst aber die Zahl der über 65-Jährigen: Sie liegt bei 6688, das ist fast ein Viertel der Bevölkerung. Im Jahr 2000 lag der Anteil der Unter-20-Jährigen noch bei 23,1 und der Anteil der über 65-Jährigen bei 14 Prozent. Der Trend zur „Überalterung“der Gesellschaft soll sich in Neukirchen-Vluyn wie überall fortsetzen, heißt es.
Prognose Zur künftigen Bevölkerungsentwicklung gibt es unterschiedliche Berechnungen. Sie zeigten übereinstimmend, dass Neukirchen-Vluyn seine Einwohnerzahl langfristig halten könne, sagt die Stadtverwaltung. So habe der Landesbetrieb IT NRW errechnet, dass die Einwohnerzahl bis 2032 um 250 (0,9 Prozent) leicht steigt und dann bis 2050 um 700 (2,5 Prozent) schrumpft. Auch Prognosen der Stadtverwaltung gehen von einem weiteren Anstieg der Einwohnerzahl in den nächsten Jahren aus – nach einem Modell bis 2026 weiter auf 29.750. Bis 2050 soll die Zahl dann je nach Berechnungsmodel auf 28.000 bis 29.300 sinken.
Stadtentwicklung Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung braucht die Stadt mehr Kindergartenplätze sowie Klassen- und Betreuungsräume in Schulen. In Neukirchen sei der Bedarf an einer fünfgruppigen Kita abzusehen – eine Lösung liegt im Neubaugebiet Neukirchener Ring in Sicht. Erweiterungen von Schulstandorten würden zurzeit geprüft. Weil es immer mehr Senioren gibt, müsse zudem zum Beispiel für weitgehende Barrierefreiheit im öffentlichen Raum sowie seniorengerechte Wohnungen gesorgt werden.
Wohnungen Vor fünf Jahren ermittelte die Stadt in einem wohnungswirtschaftlichen Handlungskonzept einen Bedarf von 680 neuen Wohneinheiten bis zum Jahr 2030 (300 in Ein- und Zweifamilienhäusern, 350 in Mehrfamilienhäusern). Jetzt müsse diese Zahl auf 1580 bis 1680 aktualisiert werden. Seit 2019 seien 277 Wohneinheiten fertiggestellt worden (davon 183 in Mehrfamilienhäusern), derzeit seien 447 Wohnungen im Bau oder in Planung (davon 367 in Mehrfamilienhäusern). Somit bestehe bis 2030 ein Neubaubedarf von rund 850 bis 950 Wohneinheiten. „Folglich wären perspektivisch Standorte für weitere Neubaugebiete zu prüfen“, so die Stadtverwaltung. „Allerdings sollte dann der Fokus verstärkt auf dem Ein- und Zweifamilienhaussegment liegen, um den Wohnungsmarkt bedarfsgerecht zu entwickeln.“
„Mit dieser Bevölkerungsentwicklung war
nicht zu rechnen“
Ulrich Geilmann Technischer Beigeordneter