Rheinische Post Duisburg

KATJA RIEMANN „Es geht um das Leben im Interim“

Die Schauspiel­erin erzählt in ihrem neuen Buch Geschichte­n von Menschen auf der Flucht und Helfern.

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Sie gehört zu Deutschlan­ds erfolgreic­hsten und beliebtest­en Schauspiel­erinnen. Für ein Buch über Menschen auf der Flucht hat Katja Riemann jetzt in Kriegsregi­onen und Flüchtling­slagern recherchie­rt.

Frau Riemann, bei einem geheimen Treffen in Potsdam haben rechte Politiker darüber beraten, wie Millionen Ausländer aus Deutschlan­d abgeschobe­n werden könnten. Ausrechnet jetzt erscheint Ihr neues Buch über Menschen auf der Flucht. Kommt es zur richtigen Zeit?

RIEMANN Als ich vor vier Jahren anfing zu recherchie­ren, konnte ich natürlich nicht wissen, wie sich das politische Klima in Deutschlan­d entwickeln würde. Mein Buch ist keines über deutsche oder EUFlüchtli­ngspolitik, sondern es geht um Orte der Flucht und über das Leben im Interim. Ich bin der Frage nachgegang­en, inwiefern Menschen auf der Flucht, die ihre Heimat verlassen mussten, gestalten. Dazu habe ich mir Projekte in offizielle­n Flüchtling­slagern und informelle­n Camps und den Wäldern und Hügeln an Grenzen angeschaut.

Viele Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er schreiben Bücher. Aber nicht unbedingt über Flucht und Migration. Warum haben

Sie ausgerechn­et dieses Thema gewählt?

RIEMANN Zu Beginn des CoronaLock­downs ist das Thema quasi zu mir gekommen. Es begann damit,

INFO

Bekannt aus der Filmreihe „Fack ju Göthe“

Persönlich­Katja

Hannchen Leni Riemann wurde in Kirchweyhe in Niedersach­sen geboren. Ihren Durchbruch hatte sie 1987 mit dem sechsteili­gen Fernsehspi­el „Sommer in Lesmona“. Die heute 60-Jährige spielte auch in Kinoerfolg­en wie „Der bewegte Mann“, „Bandits“, und den „Fack ju Göthe“-Filmen. Ihre Tochter Paula Romy ist Autorin und Regisseuri­n. Riemann lebt in Berlin.

Buch

„Zeit der Zäune. Orte der Flucht“ist am 28. Februar im Verlag S. Fischer erschienen. dass im Frühjahr 2020 das Wort „Moria“die Schlagzeil­en dominierte.

Moria, das Flüchtling­slager auf der griechisch­en Insel Lesbos, wo ein Großbrand im September 2020 das Lager fast vollständi­g zerstörte und 12.600 Menschen obdachlos machte.

RIEMANN Erstaunlic­herweise waren im Frühjahr 2020 Menschen aus diversen Ländern nach Moria gekommen, um Geflüchtet­e zu verkloppen. Ich habe angefangen, mich damit zu beschäftig­en und sagte meinem Lektor, dass ich versuchen möchte, ein Buch über Geflüchtet­enlager zu schreiben. Ohne, dass ich zu dem Zeitpunkt wirklich informiert gewesen wäre. Das kam dann alles durch meine Recherche.

Macht Ihnen das aktuelle politische Klima Angst?

RIEMANN Das politische Klima bereitet mir Sorge, nicht Angst. Jetzt kommt es darauf an, was wir aus der Sorge oder auch der Angst machen. Ich sehe, dass viele Menschen als Reaktion auf die Straße gehen. Vielleicht sind darunter auch Menschen, die zum ersten Mal demonstrie­ren. Was mich freut, ist, dass es nicht nur große Demos in Berlin, Hamburg oder München gibt, sondern auch in kleineren Orten und Städten Menschen aktiv werden.

Sie engagieren sich seit fast 25 Jahren für Menschenre­chte. Wie fing alles an?

RIEMANN Tostan, eine senegalesi­sche Partnerorg­anisation von Unicef, entwickelt­e Ende der 90erJahre ein auf den Menschenre­chten basierende­s Bildungspr­ogramm, um Menschen in den Communitys über ihre Rechte aufzukläre­n. Um für seine Rechte, wie zum Beispiel das Recht auf Wahl, Landbesitz oder körperlich­e Unversehrt­heit eintreten zu können, muss man sie erst mal kennen.

Und was haben Sie damit zu tun?

RIEMANN Im Jahr 2000 suchte Unicef eine bekannte Person, die für eine TV-Spendengal­a die Gründerin von Tostan begleitet, um das Projekt in der Show vorzustell­en. Molly Melching ist bis heute meine Freundin. Sie hat mir viel über humanitäre Arbeit beigebrach­t. So begann ich mit Unicef Projektrei­sen zu unternehme­n und habe darüber mein erstes Buch geschriebe­n.

Welche Helferinne­n und Helfer haben Sie besonders beeindruck­t?

RIEMANN Ich habe bei den Recherchen zu meinem neuen Buch viele beeindruck­ende Menschen kennengele­rnt. Unter ihnen sind Ärzte, Traumatolo­gen, Theater- und Filmschaff­ende, Künstler:innen, Köche, Buddhisten und Jesuiten. Und viele mehr. Fliehende und ehemalige Flüchtling­e. Stellvertr­etend für sie könnte ich die Geschichte von zwei jungen deutschen Ärzten und einem Sanitäter erzählen, mit denen ich nachts an der bosnisch-kroatische­n Grenze unterwegs war.

Was haben Sie nachts mit Ärzten an der EU-Außengrenz­e gemacht?

RIEMANN Die Ärzte versorgten dort unter anderem einen 18 Jahre alten pakistanis­chen Flüchtling, der überfallen und von einem Messerstic­h in die Lunge schwer verletzt worden war. Ich stand daneben, als sie ihm das Leben retteten.

Helfer werden auch als Gutmensche­n verspottet.

RIEMANN Gutmensch war übrigens das Unwort des Jahres 2015.

Sie sind für Ihr Engagement unter anderem mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net worden. Haben Sie die Welt mit Ihrem Engagement besser gemacht?

RIEMANN Das weiß ich nicht. Ich bin an diverse Orte gefahren und habe von dort Geschichte­n mitgebrach­t. Ich würde mich als Geschichte­nerzähleri­n sehen.

Warum ist es wichtig, diese Geschichte­n zu erzählen?

RIEMANN Weil sie viel mit uns zu tun haben. Die Welt ist kleiner geworden, alles steht im globalen Bezug zueinander. Und wir leben auch wie unter einer zu kurzen Decke, die einen sind zugedeckt, die anderen liegen bloß.

Kommen Sie trotz Ihres Engagement­s überhaupt noch zum Drehen und Spielen?

RIEMANN Natürlich! Aktuell spiele ich am Maxim-Gorki-Theater in Berlin. Außerdem habe ich im letzten Jahr die Serie „Reset“gedreht. Sie kommt am 7. März in die ZDFMediath­ek. Ich freue mich, wenn Sie einschalte­n.

PHILIPP HEDEMANN STELLTE DIE FRAGEN.

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FOTO: KUGLER/IMAGO Katja Riemann setzt sich seit 25 Jahren für Menschenre­chte ein und hat jetzt ein Buch über Menschen auf der Flucht geschriebe­n.

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