Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Therapie per App: Neue Anbieter könnten den Gesundheitsmarkt verändern.
Ein Gesetz macht Deutschland zum Vorreiter bei digitalen Gesundheitsleistungen. Doch nicht jeder ist darüber glücklich.
Es sind Sätze, die man selten hört, wenn es um Deutschland und das Thema Digitalisierung geht: „Mit diesem Gesetz ist Deutschland weltweit Vorreiter“, sagt Hanne Horvath, Gründerin des Start-ups Hellobetter. „Wir nehmen die Pole Position ein, in keinem anderen Land der Welt kann man Gesundheitsleistungen digital verschreiben“, sagt auch David Matusiewicz, Professor für Medizinmanagement an der Fom-hochschule.
Die Rede ist vom Digitale-versorgung-gesetz. Die Corona-pandemie hat den Bedarf nach digitalen Leistungen im Gesundheitsbereich zwar massiv gesteigert. So stieg laut Bundesgesundheitsministerium der Anteil der niedergelassenen Ärzte, der telemedizinische Dienstleistungen anbietet, von 2,8 Prozent im Jahr 2017 auf aktuell mehr als 50 Prozent. Doch der Bund hatte bereits zuvor mit dem Gesetz Rahmenbedingungen geschaffen, um den Gesundheitsbereich stärker zu digitalisieren. Seit Oktober können Ärzte auch Apps verschreiben – zum Beispiel die von Hellobetter.
Das Unternehmen wurde 2015 von Horvath, Elena Heber und David Daniel Ebert aus einem Forschungsprojekt an der Uni Lüneburg heraus gegründet und bietet Online-trainings gegen psychische Probleme wie Depressionen, Schlafstörungen oder Burn-out an. Von der Stiftung Warentest werden zwei der Depressionstrainings empfohlen. „Unsere Kurse beruhen auf bewährten Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie“, sagt Horvath: „Bei unserem Stress-training gibt es zum Beispiel Übungen, die ein Therapeut mit dem Patienten in der Praxis machen würde. Wir machen sie digital.“
Im Oktober ist ein Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte online gegangen, auf dem Angebote gelistet werden, die von Ärzten als digitale Gesundheitsleistung, kurz: Diga, verschrieben werden können. Aktuell gibt es fünf Angebote, die von den Krankenkassen übernommen werden, unter anderem gegen Adipositas und Tinnitus. Die Anzahl werde in den kommenden Monaten zunehmen, heißt es im Gesundheitsministerium. Auch Hellobetter will dann dort gelistet sein.
In NRW setzt man große Hoffnungen in Start-ups aus dem sogenannten Digital-health-bereich. „Es gibt jedes Jahr mehr Neugründungen“, sagt Klemens Gaida, Leiter des Düsseldorfer Netzwerks Digihub. Insgesamt gibt es laut einer aktuellen Studie des Digihub rund 70 bis 80 Start-ups aus dem Gesundheitsbereich in NRW – vom Anti-stress-system Mindzeit aus Köln bis hin zur App für Schwangere, die das Bochumer Start-up Uma entwickelt. Laut Nrw-wirtschaftsminister Andreas Pinkwart gibt es im Gesundheitsbereich viel Nachholbedarf – auch wegen der Überregulierung, die es Start-ups besonders schwer mache.
Hellobetter-gründerin Horvath rechnet auch jetzt eher mit einem langsamen Wandel im System: „Natürlich wird ein Arzt nicht von heute auf morgen die Logik seiner Verschreibungen verändern. Es ist ein Prozess.“Doch die Gründerin ist überzeugt, dass es gerade bei psychischen Beschwerden viel Bedarf gibt. Viele Menschen würden nur den Hausarzt konsultieren, doch dieser verfüge oft nicht über die notwendigen Ressourcen, um die richtige Diagnose zu stellen, so Horvath:„sie verschreiben oft Antidepressiva, weil sie die langen Wartezeiten für ambulante Psychotherapie kennen und sofort helfen möchten. Da wollen wir ansetzen.“
Gleichzeitig warnt sie die Politik davor, zu forsch beim Thema Digitalisierung voranzugehen. Genau diese Gefahr sieht sie aktuell beim Diga-verzeichnis. „Für uns unverständlich, warum auch Angebote aufgenommen werden, bei denen die Evidenz noch nicht nachgewiesen wurde. Aus unserer Sicht sollten die Standards da höher liegen. So muss der Arzt selbst die Spreu vom Weizen trennen“, sagt sie.
Im Gesundheitsministerium verteidigt man das Vorgehen: Eine Diga habe ihre Sicherheit und Leistungsfähigkeit nachgewiesen. Außerdem werde eine Studie verlangt, die belegt, dass es positive Versorgungseffekte gibt, also etwa Blutzuckerwerte verbessert werden. „Zur Förderung von innovativen Behandlungsansätzen wurde im Gesetz vorgesehen, dass die Studie innerhalb von zwölf Monaten nach Aufnahme ins Verzeichnis durchgeführt und vorgelegt werden kann“, heißt es.
Günter Wältermann, Chef der AOK Rheinland/hamburg, hält dieses Vorgehen für falsch: „Der Anspruch auf einen Nutzen ist niedrig geschraubt. Wenn Versicherungsgelder ausgegeben werden, muss aber schon ein echter Nutzen nachweisbar sein.“Der digitale Vorreiter Deutschland, soll das wohl heißen, müsse aus dieser Rolle Nutzen ziehen – statt eventuell nur für einen Placeboeffekt zu sorgen.