Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Sportler müssen bei Sicherheit mitreden
ANALYSE Oft wirkt es, als seien die Athleten bei Wettkämpfen den Risiken und Bedingungen ausgeliefert. Doch sie sind mächtiger, als sie glauben. Die Formel 1 verdankt zum Beispiele viele der heutigen Vorkehrungen den Protesten der Fahrer.
DÜSSELDORF Sportliche Wettkämpfe leben davon, dass Athleten an ihre Grenzen gehen, dass es Spektakel und Spannung gibt. Und Sportler leben davon, dass Menschen dafür Geld bezahlen. Das führt seit Jahrzehnten dazu, dass es Aktiven wie Verbänden und Wettkampf-veranstaltern vor allem auch um das Höher, Schneller, Weiter, Spektakulärer geht. Gefahren gehören in den meisten Sportarten dazu, in einigen Sportarten auch Lebensgefahr. Der Feuer-unfall von Formel-1-fahrer Romain Grosjean hat dies am Sonntag erschreckend vor Augen geführt. Das Risiko kalkulieren die Sportler ein und versuchen es mit Können, Training und gutem Material so gering wie möglich zu halten.
Für die große Show werden die Grenzen des Vertretbaren aber immer wieder nicht nur ausgereizt, sondern überschritten. Die Sportler selbst, ihre Trainer, Vereine und Verbände sehen über das hohe Risiko oftmals hinweg, bis ein schwerer Sturz oder ein Unfall die Kritiker auf den Plan ruft. Das war zuletzt zum Beispiel bei den Radrennfahrern zu beobachten, die sich nach mehreren schweren Stürzen über zu gefährliche Streckenverläufe beschwerten. Die Kritik, dass die abschüssige Zieleinfahrt bei der Polen-rundfahrt lebensgefährlich sei, gab es schon vor dem Start. Angetreten sind die Profis dennoch. Dann stürzte der Niederländer Fabio Jakobsen schwer und die Diskussion entbrannte.
Oftmals wirken die Sportler wie Marionetten, die keine andere Wahl haben als zu starten. Das stimmt in gewisser Weise. Sie starten für ein Team, müssen ihren Vertrag erfüllen, oder wollen im nationalen Sportverband nicht als Leistungsverweigerer dastehen und die Teilnahme an großen Wettbewerben aufs Spiel setzen. Außerdem sind viele auf die Sponsorengelder angewiesen. Erst recht nach der Corona-unterbrechung. Deswegen setzen sich viele der Infektionsgefahr aus, obwohl sie Bedenken haben.
Und doch sind Sportler gegenüber den Veranstaltern nicht machtlos. Ein Wettkampf-format kann noch so spektakulär sein – wenn niemand antritt, bringt das den Organisatoren gar nichts. Ohne Athleten kein Wettkampf, keine Tv-übertragung und keine Zuschauer, also auch keine Einnahmen. Streik oder Boykott der Athleten haben in der Vergangenheit daher auch im Sport Wirkung gezeigt.
In der Formel 1 wurden wichtige Sicherheitsvorkehrungen, die Grosjean nun das Leben retteten, nur erreicht, weil sich die Fahrer in der Vergangenheit zusammentaten und den Rennorganisatoren mit Boykott drohten, wenn sie ihre Forderungen nach Leitplanken oder abgeschwächten Kurven nicht erfüllen. Die Autos waren immer schneller geworden, die Veranstalter wollten aber nicht in die Anpassung und Modernisierung der Strecken investieren – die Zahl der tödlichen Unfälle stieg, bis die Fahrer das Thema Sicherheit selbst in die Hand nahmen. So fand 1969 der Grand Prix in Spa wegen des Boykotts der Fahrer nicht statt und 1970 musste das Rennen in Deutschland von der Nordschleife am Nürburgring auf den Hockenheimring umziehen. Auch nach Unfällen in der jüngeren Vergangenheit setzte sich die Fahrergewerkschaft für Verbesserungen ein. Die Fia hat daraus gelernt und verbessert das System immer wieder. Auch jetzt werden bereits erste Stimmen laut, dass geprüft werden muss, warum die Leitplanke in Bahrain dem Einschlag des Haas-autos nicht standhielt und das Auto zerteilte.
Im Radsport bewirkten die Athleten im September beim Giro d’italia eine Verkürzung der 19. Etappe. Die mit 253 Kilometern längste Etappe des Rennens sollte trotz Winde und Schnee wie geplant stattfinden.
Die Beispiele zeigen, dass Proteste gegen zu riskante Wettkämpfe oder Bedingungen dann erfolgreich sind, wenn sich die Athleten team- und nationenübergreifend zusammentun. Genau darin besteht aber oftmals das Problem. Es liegt in der Natur des Sports, dass die Athleten und Teams Konkurrenten sind. Auch wenn es in vielen Sportarten Athletensprecher gibt – eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, gelingt oft nicht. Mal liegt das an der unterschiedlichen Gefahrenbewertung, mal daran, dass sich einige Sportler den Boykott finanziell nicht leisten können. Immer wieder liegt es aber auch daran, dass Einzelne ihren Vorteil suchen und das Risiko lieber in Kauf nehmen.
Beim Rennrodel-weltcup im Januar 2020 in Winterberg hat sich dieses Phänomen eindrücklich gezeigt. Tv-experten und auch einige Teams bewerteten den Zustand der Eisbahn im Sauerland als nicht wettbewerbstauglich. Durch zu viele Unebenheiten werde sie unbeherrschbar, befanden die den Weltcup dominierenden deutschen Doppelsitzer. Sie zogen ihren Start zurück, genauso wie das Team aus Österreich. Sie riskierten statt ihres Lebens lieber den Verlust von wichtigen Weltcup-punkten. Denn zahlreiche andere Doppelsitzer starteten trotz allem. Es ist dennoch wichtig, dass die Stars der Szene selbstbewusst vorangehen und sich das Mitspracherecht der Athleten erkämpfen. Sie sind es, mit denen die Veranstalter Profit machen, sie müssen mitreden dürfen, wenn es um ihr Leben geht.