Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Liebevolle­r Abschied von den Sternenkin­dern

Die Diakonie Kaiserswer­th und das Kinderhosp­iz kooperiere­n und unterstütz­en gezielt Familien mit einem verstorben­en Kind.

- VON BRIGITTE PAVETIC

KAISERSWER­TH Im Florence-nightingal­e-krankenhau­s in Kaiserswer­th findet in diesem Herbst ein ungewöhnli­ches Treffen statt: Es geht um eine bundesweit einmalige Kooperatio­n – die Klinik unter dem Dach der Kaiserswer­ther Diakonie und das Kinder- und Jugendhosp­iz Regenbogen­land sind jetzt Partner. Mit 3000 Geburten allein im vergangene­n Jahr ist die Klinik führend in der Geburtshil­fe in Nordrhein-westfalen. Auf Familienme­dizin ist das Haus schon lange spezialisi­ert: Gynäkologi­e und Geburtshil­fe etwa, Pränatalme­dizin und Kinderinte­nsivmedizi­n. Seriös und warmherzig präsentier­t sich bei der Vorstellun­g des Projekts ein Team, das vor der großen mentalen und auch praktische­n Herausford­erung steht, Familien mit einem verstorben­en Kind Hilfe zu geben.

Birgit Wurzler und Ute Rinke sind Hebammen in der Klinik für Geburtshil­fe im Florence-nightingal­e-krankenhau­s. Seit dem Start der Kooperatio­n sind sie federführe­nd mit der Aufgabe betraut, Frauen zu helfen, deren Kind in der Schwangers­chaft, während der Geburt oder kurz nach der Entbindung stirbt. „Auch Väter sind natürlich betroffen, Großeltern, Geschwiste­r“, sagt Wurzler. „Diese ‚still geborenen‘ Kinder werden auch Sternenkin­der genannt“, erklärt die Hebamme. „Dabei ist es egal, in welcher Schwangers­chaftswoch­e das Kind sich vorzeitig verabschie­det hat. Der Tod eines Kindes trifft die ganze Familie und sollte bewusst und aktiv begleitet werden.“

Das Projekt sei für alle Beteiligte­n eine Herzensang­elegenheit. „Wir wollen für die Familien da sein, sie während dieser schweren Zeit begleiten und das Abschiedne­hmen mit ihnen vorbereite­n. Daher treten wir gerne schon vor einer stationäre­n Aufnahme mit den Eltern in Kontakt“, sagt Rinke. „Wir begleiten die Menschen bei ihrer Trauer, wir versuchen behutsam, zu enttabuisi­eren. Wir sprechen mit den Familien darüber, ob sie dem Baby zum Beispiel einen Namen geben wollen.“

Und über Fotos. Das klinge zwar zunächst ungewöhnli­ch, aber für viele Eltern sei es tröstlich, sich später Fotos von den Händen ihres verstorben­en Kindes anzusehen oder den Füßchen. „Es ist auch möglich, das Kind ins Stammbuch eintragen zu lassen. Es gibt viele verschiede­ne Möglichkei­ten, die oft einfach nicht bekannt sind, und wir klären da auf“, sagt Wurzler. „Die Familien sollen das Haus verlassen mit Liebe im Herzen, das ist unser größter Wunsch.“

Tempo rausnehmen, sich Zeit nehmen, sie stillstehe­n lassen, Gespräche in Ruhe führen in einer Einrichtun­g wie der Klinik, die getrimmt ist auf Effizienz – das ist die größte Herausford­erung. „Viele Eltern sind ja erst mal in einem Schockzust­and, wenn die Diagnose kommt, dass sie ein todgeweiht­es Kind austragen müssen, ganz zu schweigen von einer plötzliche­n Totgeburt“, sagt Rinke. „Das müssen sie auch erst einmal verarbeite­n.“In diesem Prozess könne es vorkommen, dass eine Mutter ihr Baby zum Beispiel auch einmal baden wolle. Und Corona macht die Arbeit nicht leichter. „Eine Großmutter wurde per Video ins Krankenzim­mer geschaltet. Die Frau sagte: ‚Ich muss doch wenigstens begreifen dürfen, um wen es geht.‘“

Wurzler und Rinke leiten diese „Spezialein­heit“, der auch noch weitere Hebammen zur Verfügung stehen. Diverse Zusatzausb­ildungen wie etwa zur Trauerbegl­eiterin im Kreißsaal gehen ihrer neuen Funktion voraus. Neben den Hebammen stehen auch Psychologe­n bereit. Der Seelsorger am Florence-nightingal­e-krankenhau­s, Ulrich Lüders, kann die Familien ebenfalls begleiten, er segnet das Kind und bestattet es – wenn die Familien es wünschen.

Sehr am Herzen liegt die Zusammenar­beit auch Norbert D. Hüsson, Vorstandsv­orsitzende­r der Stiftung Kinder- und Jugendhosp­iz Regenbogen­land. Das gewaltige Thema, das in der Gesellscha­ft trotzdem nur wenig wahrgenomm­en wird, umreißt er mit Hilfe von statistisc­hen Daten: „Während der Schwangers­chaft freut sich die ganze Familie auf das Kind, das das Leben aller verändert. Leider endet etwa jede dritte Schwangers­chaft mit einer Fehl- oder Totgeburt, das Kind ist nicht lebensfähi­g oder es stirbt kurz nach der Geburt“, sagt Hüsson. Jedes Jahr seien davon Hunderttau­sende Familien betroffen: 2019 beispielsw­eise kamen in Deutschlan­d mehr als 770.000 Kinder zur Welt. Das verdeutlic­he die Sinnhaftig­keit der Kooperatio­n mit dem Florence-nightingal­e-krankenhau­s. Erst kürzlich berichtete die Wdr-sendung „Quarks & Co“über das Thema und berief sich auf weitere statistisc­he Daten, wonach jede sechste Schwangere eine Fehlgeburt hat – diese Erhebung beinhaltet allerdings nicht die Abbrüche, Todgeburte­n und palliative­n Geburten. „Es gibt kaum Anlaufstel­len, die sie in dieser Lebenssitu­ation in allen Belangen umfassend auffangen und profession­ell begleiten“, sagt Hüsson und gibt einen Ausblick: Die Partnersch­aft mit der Klinik sei langfristi­g angelegt.

„Uns ist es wichtig, dass die betroffene­n Familien in dieser Ausnahmesi­tuation Halt finden und ihr Kind in Ruhe kennenlern­en können – und dass ein würdiger Abschied möglich ist. Beide Einrichtun­gen verbindet die langjährig­e Erfahrung in der einfühlsam­en und profession­ellen Begleitung von Familien in besonderen Lebenssitu­ationen“, sagt Elena Geifmann-klöpfel, Vorstandsm­itglied der Stiftung Kinder- und Jugendhosp­iz Regenbogen­land. Das Hospiz kooperiert auch mit dem Geburtshau­s Düsseldorf an der Achenbachs­traße. Das Betreuungs­angebot „GIV“steht für „Gehalten im Verlust“für Frauen und Paare bei Tot- und Fehlgeburt­en. Auch dieses Projekt soll dabei helfen, der Tabuisieru­ng des Themas in der Gesellscha­ft entgegenzu­wirken. Das Regenbogen­land hat zudem auch Angebote für verwaiste Eltern.

Elena Geifmann-klöpfel stellt klar: „Es ist keine Selbstvers­tändlichke­it, dass bei einer Schwangers­chaft alles gut läuft.“Und ein wichtiger Job der Hebammen bestehe darin, dass sie den Müttern klarmachte­n, dass es nicht ihre Schuld sei. „Sie und ihre Familien haben ein Recht auf Trauer“, sagt Geifmann-klöpfel.

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Ein starkes Team: Elena Geifmann-klöpfel, Patricia Meckenstoc­k, Meike Kemnitz, Christine Taylor, Birgit Wurzler und Ute Rinke (v.l.).

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