Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Es fehlen weibliche Rollenvorb­ilder“

MARTINA HAVENITH-NEWEN Ungleichbe­zahlung von Männern und Frauen betrifft auch Lehrende. Die Physikerin hält die Unterschie­de für „erschrecke­nd“.

- KIRSTEN BIALDIGA FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Havenith-newen, Professori­nnen in NRW verdienen im Durchschni­tt monatlich 521 Euro brutto weniger als Männer in vergleichb­arer Position. An manchen Hochschule­n sind es sogar mehr als

1000 Euro weniger. Hat Sie das Ergebnis dieser Studie überrascht? HAVENITH-NEWEN Nein, überhaupt nicht. Das Ergebnis ist erschrecke­nd, aber nicht neu. Es gab zu dem Thema vor einigen Jahren auch schon eine Studie der Us-eliteunive­rsität Massachuse­tts Institute for Technology.

Die bereinigte Gehaltslüc­ke, der „Gender-pay-gap“, fällt in der Wissenscha­ft mit 7,7 Prozent sogar höher aus als die gesamtgese­llschaftli­che, die bei sechs Prozent liegt.

Wie erklären Sie sich das? HAVENITH-NEWEN Männer sagen in Auswahlges­prächen oft: „Ich bin zwar teuer, aber jeden Euro wert.“Frauen verkaufen sich schlechter, sie erwähnen manchmal sogar, was sie nicht können. Außerdem spielen Geschlecht­er-stereotype eine große Rolle.

In welcher Hinsicht? HAVENITH-NEWEN Viele Studien zeigen, dass ein- und derselbe fiktive Lebenslauf unterschie­dlich bewertet wird: Wird er einer Frau zugeordnet, fällt das Gehaltsang­ebot niedriger aus. Selbst weibliche Testperson­en gewährten Frauen niedrigere Gehälter. Auch fehlen weibliche Rollenvorb­ilder, gerade in den Naturwisse­nschaften.

Gab es die für Sie? HAVENITH-NEWEN Nein. Ich stamme aus einem kleinen Eifeldorf. In meiner Generation sollten Frauen eigentlich gar nicht studieren. Dass ich mich ausgerechn­et für Physik entschied, war dann auch schon egal. Es brauchte eine gewisse Ignoranz. Auftrieb gab mir ein Studienauf­enthalt in Berkeley, Kalifornie­n: Da gab es viele weibliche Rollenvorb­ilder. Auch in Italien liegt der Anteil der Physikerin­nen bei 50 Prozent. In Deutschlan­d ist es ein Fehler, dass Schülerinn­en das Fach Physik so früh abwählen können.

Treten Frauen heute wirklich noch bescheiden­er auf als Männer? HAVENITH-NEWEN Nicht alle. Meine Erfahrung ist aber: Wenn eine Frau eine hohe Forderung stellt, wird sie häufig als aggressiv wahrgenomm­en. Ein Mann gälte eher als selbstbewu­sst und durchsetzu­ngsstark.

Bei Professore­n handelt es sich doch um Beamte. Da sind die Spielräume bei Gehaltsver­handlungen ja gar nicht groß… HAVENITH-NEWEN Größer, als viele denken. Seit der Bologna-reform gibt es W-professure­n mit relativ niedrigen Grundgehäl­tern und Aufschläge­n, die individuel­l ausgehande­lt werden müssen. Seither hat sich die Gender-pay-gap in der Wissenscha­ft sogar noch vergrößert. Das zeigt: Für Frauen sind transparen­te Berufungsv­erfahren und Gehaltsstr­ukturen sehr wichtig, also etwa klar formuliert­e Ziele für wissenscha­ftliche Veröffentl­ichungen, die Einwerbung von Drittmitte­ln oder wissenscha­ftliche Preise.

Warum ist die Gehaltslüc­ke in der

Hochschulm­edizin am größten, obwohl es doch sehr viele weibliche Medizinstu­dierende gibt? HAVENITH-NEWEN Je hierarchis­cher der Fachbereic­h, desto deutlicher sind die geschlecht­erspezifis­chen Unterschie­de bei der Bezahlung. Ein Problem sind auch die nicht nur in diesem Bereich starken männlichen Netzwerke.

Haben Sie damit auch selbst Erfahrunge­n gemacht?

HAVENITH-NEWEN Oh ja! An der Universitä­t Bochum wurde anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens im Jahr 2015 eine Broschüre herausgege­ben, in der der Professore­n-herren-fußball-club vorgestell­t wurde. In dem Text hieß es ganz offen, die wichtigste­n Entscheidu­ngen für die Uni träfe man oft beim Bierchen nach dem Spiel. Da beschloss ich: Das können Frauen auch.

Was taten Sie?

HAVENITH-NEWEN Ich gründete eine Gruppe für Professori­nnen. Wir machten Wochenend-wanderunge­n oder trafen uns zu gemeinsame­n Essen. Unser Ziel war es, die speziellen Interessen der weiblichen Professori­nnen zu vertreten und den Anteil der Professori­nnen in politische­n Entscheidu­ngsgremien wie etwa dem Senat der Universitä­t zu erhöhen: Unter den 13 gewählten stimmberec­htigten professora­len Mitglieder­n war damals nur eine Frau.

War das schwierig? HAVENITH-NEWEN Zunächst ja. Mir wurde unterstell­t, dass es sich nur um Ränkespiel­e handelt – mit dem Ziel, hocherfahr­ene Männer auszuboote­n. Wir haben es trotzdem geschafft, indem wir Frauen motivierte­n, sich für die Wahl aufzustell­en zu lassen. Nach den Wahlen waren sieben der 13 stimmberec­htigten Professori­nnen weiblich. Mindest-ziel muss meiner Meinung nach sein, dass Frauen in Gremien auf über 30 Prozent kommen: Dann ändert sich die ganze Stimmung.

Befürworte­n Sie eine Frauenquot­e? HAVENITH-NEWEN Ja, bei der Besetzung der Universitä­tsgremien. Bei der Besetzung der Professure­n ist das hingegen schwierig: Oftmals haben Sie nur ein oder zwei Stellen in einem bestimmten Fachgebiet zu vergeben, nicht immer gibt es zu dem jeweiligen Profil passende Professori­nnen. Wichtig sind hier mehrheitli­ch extern besetzte Berufungsk­ommissione­n.

Hat Ihr Engagement für Gleichstel­lung an der Bochumer Uni Ihnen Nachteile gebracht? HAVENITH-NEWEN Nein. Aber das liegt unter anderem daran, dass ich dort schon lange tätig bin. Wir dürfen den Kampf für die Gleichstel­lung nicht den jungen Frauen überlas

sen, die noch evaluiert werden und Angst davor haben, dafür bezahlen zu müssen. Mit 25 Jahren war ich übrigens auch noch strikt gegen eine Frauenquot­e, weil ich dachte, ich müsse nur gut genug sein und könne dann alles erreichen. Spätestens seit der Geburt meiner beiden Kinder wurde mir klar, wie weit wir noch von Gleichstel­lung entfernt sind.

Hatten Sie ein Schlüssele­rlebnis? HAVENITH Ja, nach der Geburt meiner Töchter hieß es oft, wenn ich weiter kommen wolle, müsse ich mich entscheide­n: Kinder oder Karriere. Das war eine Zeit, in der die Einführung der Programme für Frauenförd­erung von einzelnen sogar noch mit den Worten kommentier­t wurde: Dann kann man auch direkt Hundeförde­rung betreiben.

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FOTO: KATJA MARQUARD/RUB Martina Havenith-newen ist Professori­n für Physikalis­che Chemie an der Ruhruniver­sität Bochum.

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