Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Vor fünf Jahren fiel die Kastanie

Naturfreun­de hatten sich neun Jahre lang gegen die Fällung gewehrt und einen Verein gegründet. Heute ist der Stumpf ein Kunstwerk.

- VON DOMINIK SCHNEIDER

Bürger hatten sich neun Jahre lang gegen die Fällung gewehrt und einen Verein gegründet. Heute ist der Stumpf ein Kunstwerk.

HIMMELGEIS­T Rund 200 Jahre war die weißblühen­de Rosskastan­ie alt, als sie am 14. Dezember 2015 bis auf den Stumpf zurückgesc­hnitten wurde. Dem vorangegan­gen war ein langer Kampf um den freistehen­den Baum, der bis in die höchsten Ebenen der Düsseldorf­er Politik geführt wurde. Heute erinnert eine Skulptur im Himmelgeis­ter Rheinbogen an die Arbeit der Bürger aus dem Düsseldorf­er Süden, die sich für ihren Baum eingesetzt haben.

„Für die Menschen aus Himmelgeis­t war die Kastanie der Treffpunkt. Wir haben unsere Kindheit und Jugend hier verbracht, waren im Sommer und im Winter hier, glücklich und traurig. Viele Himmelgeis­ter hatten ihren ersten Kuss im Schatten der Kastanie“, sagt Andreas Vogt. Er gehört zum harten Kern des Freundeskr­eises der Himmelgeis­ter Kastanie, jener Gruppe von Bürgern, die sich 2006 zusammenge­funden haben, als im Benrather Tagblatt berichtet wurde, dass die Kastanie – von einem Pilz befallen und wohl nicht mehr verkehrssi­cher – gefällt werden sollte. „Wir hatten damals nicht den Eindruck, dass der Baum krank sei“, sagt Andreas Vogt. Und diese Ansicht teilte offenbar auch der damalige Oberbürger­meister Joachim Erwin. 2500 Unterschri­ften zum Erhalt der Kastanie übergaben Vogt und seine Mitstreite­r ihm bei einem Termin im Rheinbogen. „Und Herr Erwin, wie es so seine Art war, guckte sich den Baum an und sagte: Der sieht doch gut aus, der bleibt“, erinnert sich Vogt. Tatsächlic­h, so das Argument der Baumfreund­e, gefährde der Baum, der etwas abseits der Spazierweg­e stand, niemanden.

„Wir wussten, dass wir aus dem Baum eine Art Heilige Kuh machen mussten, um ihn zu schützen – irgendetwa­s Besonderes“, sagt Andreas Vogt. Durch Zufall stieß seine Frau damals auf die Bräutigams­eiche von Eutlin, einen Baum in Schleswig-holtstein, der seit Generation­en als toter Briefkaste­n für Heiratswil­lige dient und damals als einziger Baum Deutschlan­ds eine Postanschr­ift hatte. Seit 2009 gelten die beiden Bäume offiziell als „verheirate­t“. „Wir haben uns damals mit der Post in Verbindung gesetzt und eine Adresse für die Himmelgeis­ter Kastanie organisier­t“, sagt Vogt. Seither kann man dem Baum schreiben, ein Postbote liefert die Briefe aus, der Freundeskr­eis kümmert sich um die Beantwortu­ng. Außerdem bekam die Kastanie ein jüngeres Ebenbild: 2007 pflanzte der Freundeskr­eis eine junge Rosskastan­ie direkt gegenüber. „Wir wussten ja, dass unser Baum irgendwann fallen wird. Und wir wollten, dass es weiterhin eine Himmelgeis­ter Kastanie gibt“, so Vogt.

Die alte Himmelgeis­ter Kastanie blieb erhalten, überstand die Stürme Kyrill und Ela. Doch mit den Jahren zeigte sich immer stärker der Schaden, den der Pilz dem Baum zufügte. 2015 war die Pflanze zu weiten Teilen abgestorbe­n. Als im November ein acht Meter langer Ast aus der Krone brach, wurde erneut die Fällung beschlosse­n. Diesmal waren auch die Freunde der Kastanie einverstan­den. „Wir wollten aber nicht, dass der Baum einfach in Vergessenh­eit gerät“, sagt Andreas Vogt heute. So bliebt ein rund fünf

Meter hoher Stamm stehen, auf Initiative der Stadt wurde der Kettensäge­nschnitzer Jörg Bäßler damit beauftragt, eine Skulptur daraus zu fertigen. Noch heute blickt der Baumgeist Jüchtwind über den Rheinbogen. Beim Schnitzen stieß Bäßler auf zahlreiche Granatspli­tter und Patronen, die der Baum offenbar während eines Beschusses des Rheinbogen­s im Zweiten Weltkrieg abbekommen hatte.

Und auch der Freundeskr­eis ist weiter aktiv, auch wenn Wortführer Andreas Vogt inzwischen nach Benrath gezogen ist. „Wir beantworte­n noch regelmäßig Briefe aus dem In

und Ausland, die Kastanie hat sogar Fans, die ihr regelmäßig schreiben“, so Vogt. In den Antworten nennen sich die Mitglieder des Freundeskr­eises Baumgeiste­r und korrespond­ieren mit den Schreibend­en über Gott und die Welt – und aktuell immer häufiger über die schweren Lebensumst­ände in der Corona-pandemie. „Es ist immer wieder schön, wenn sich die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten an die Kastanie wenden“, sagt Vogt. Daneben veranstalt­et der Freundeskr­eis immer wieder etwas – wie etwa die Laubsammel­aktion zum Schutz der jungen Kastanie, die allerdings in diesem Jahr wegen Corona ausfallen musste. In den vergangene­n Hitzesomme­rn kamen immer wieder Menschen aus Himmelgeis­t und Itter, um den jungen Baum zu wässern. Aktuell organisier­en die Baumfreund­e einen Wettbewerb zum Thema Helden des Alltags – der Preis sind handgedrec­hselte Kugelschre­iber aus dem Holz der alten Kastanie. „Ich hätte nie gedacht, dass aus unserer Initiative etwas so Schönes und Großes wird“, sagt Andreas Vogt. Er und seine Mitstreite­r sind noch immer aktiv – auch wenn von der Himmelgeis­ter Kastanie nur noch ein geschnitzt­er Stumpf übrig ist.

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RP-FOTO: VON AMELN Weil die Standsiche­rheit gefährdet war, wurde die Kastanie am 14. Dezember 2015 weitgehend abgeholzt. Aus dem Stumpf schnitzte später Jörg Bäßler die Skulptur „Jüchtwind“.
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FOTO: ANDREAS VOGT Bevor der Baum krank wurde, war die Himmelgeis­ter Kastanie eine prägende Landmarke im Naturschut­zgebiet Rheinbogen.

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