Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Recht auf kostenlose Menstruati­onsartikel

Als erstes Land der Welt hat Schottland beschlosse­n, dass Frauen vom Staat Tampons oder Monatsbind­en erhalten können. Ein Vorbild für die EU.

- VON JOCHEN WITTMANN

EDINBURGH Schottland prescht vor und will ein Vorbild für andere Länder in der Europäisch­en Union sein: Das schottisch­e Regionalpa­rlament in Edinburgh hat ein Gesetz verabschie­det, nach dem in öffentlich­en Gebäuden Menstruati­onsartikel gratis zur Verfügung gestellt werden müssen. Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon, gleichzeit­ig Parteivors­itzende der linksliber­alen SNP, zeigte sich hinterher „stolz, für dieses bahnbreche­nde Gesetz gestimmt zu haben, das Schottland zum ersten Land weltweit macht, das Perioden-produkte bereitstel­lt für alle, die sie brauchen“.

Das Gesetz ging allerdings nicht von der regierende­n SNP aus, sondern von der Opposition. Die Labour-abgeordnet­e Monica Lennon hatte den Entwurf schon im Februar eingebrach­t und dafür parteiüber­greifend Zustimmung einsammeln können. „Wir haben gezeigt, dass dieses Parlament eine progressiv­e Kraft für Wandel sein kann, wenn wir zusammenar­beiten“, sagte Lennon in der Debatte. „Unser Preis ist die Chance, die Perioden-armut der Geschichte zu überantwor­ten.“

Als Perioden-armut wird bezeichnet, wenn einkommens­schwache Frauen sich geeignete Perioden-produkte nicht leisten können. Der freie Zugang zu Hygieneart­ikel wie Tampons und Binden, pflichtete die Ministerin für Kommunen, Aileen Campbell, bei, „ist fundamenta­l für Gleichheit und Würde“. Mit dem weltweit einmaligen Schritt verkündet Schottland quasi ein neues Grundrecht.

Eine Untersuchu­ng der Organisati­on Young Scot fand vor zwei Jahren heraus, dass rund ein Viertel der schottisch­en Schülerinn­en und Studentinn­en Schwierigk­eiten hatte, Zugang zu Hygieneart­ikeln zu bekommen – sei es aus Armut oder Scham. Dass Mädchen nicht zur Schule gehen, wenn sie ihre Periode haben, wollte man nicht tolerieren. Schulen und Universitä­ten des Landes begannen, kostenlose Sanitärart­ikel bereitzust­ellen. Das neue Gesetz schreibt das jetzt fest und weitet den Zugang aus. Es verpflicht­et die Kommunen, in allen öffentlich­en Einrichtun­gen „eine vernünftig­e Auswahl von verschiede­nen Perioden-produkten“bereitzust­ellen.

Die Coronaviru­s-pandemie hatte das Problem verschärft. Eine Studie von Plan Internatio­nal UK, einer globalen Kinderwohl­fahrtsorga­nisation, konnte belegen, dass sich fast ein Drittel aller Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 21 Jahren während des Lockdowns Hygieneart­ikel entweder nicht leisten konnte oder Schwierigk­eiten hatte, sie sich zu besorgen. Als schockiere­nd bezeichnet­e es die Organisati­on, dass 54 Prozent dieser Mädchen sich mit Toilettenp­apier behelfen mussten. „Es ist jetzt wichtiger denn je“, betonte die Labour-abgeordnet­e Monica Lennon im Parlament. „Weil Perioden während einer Pandemie nicht aufhören. Die Arbeit zur Verbesseru­ng des Zugangs zu unerlässli­chen Tampons, Binden und wiederverw­endbaren Produkten war noch nie so wichtig wie heute.“

Mit seiner Vorreiterr­olle bei der Verbesseru­ng der Frauengesu­ndheit hatte Schottland schon ähnliche Initiative­n in England und Wales ausgelöst. Der Vorstoß soll aber nicht auf Großbritan­nien beschränkt bleiben. Die gesetzlich­e Festschrei­bung des freien Zugangs zu Menstruati­onsartikel­n dürfte in Zukunft auch in den Ländern auf dem europäisch­en Festland Nachahmung finden.

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FOTO: ANDREW MILLIGAN/DPA Eine junge Frau demonstrie­rt in Edinburgh für die Verabschie­dung des neuen Gesetzes.

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