Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Streamen weckt den Wunsch nach Nähe
Alexandre Bloch dirigiert die Düsseldorfer Symphoniker im Online-konzert durch Werke von Strawinsky, Wagner und Poulenc.
DÜSSELDORF In unseren Tagen über ein Sinfoniekonzert der Düsseldorfer Symphoniker zu berichten, heißt zu erzählen, was dieses bedauernswerte, hochqualifizierte Team von musikalischen Menschen anstellen muss, damit überhaupt jemand zuhört. Das Orchester der Landeshauptstadt und der Oper ist ja vom öffentlichen Leben im Grunde noch rigoroser abgeschnitten als die Crew unseres Lieblingsitalieners. Den Geigern und Cellistinnen, den Schlagwerkern und der Harfenistin bleibt nichts weiter übrig, als Däumchen zu drehen. Oder aber sie versuchen, in der virtuellen Welt präsent zu sein, um ihre fortgesetzte und ungekürzte Alimentierung aus Mitteln des kommunalen Haushaltes wenigstens ansatzweise zu rechtfertigen. So trifft sich immerhin ein Teil der Düsys mit ihrem Ersten Gastdirigenten Alexandre Bloch zu Proben an einem größeren Kammerorchesterkonzert, das dann live auf dem Youtube-kanal der Tonhalle gestreamt wird. Es ist ein Elend.
Die gleichfalls wenig beneidenswerten Zuhörer dieses Formats – es ist kostenfrei, wenngleich ein Spendenbutton auch finanzielle Unterstützung ermöglicht – sitzen zu Hause vor ihren Bildschirmen und hoffen auf so etwas wie ein Konzerterlebnis. Kurz nach 20 Uhr wird es auf dem Bildschirm lebendig, indem – ganz wie gewohnt – zum Auftritt der Musiker Intendant Michael Becker auf die Bühne des Mendelssohn-saales schreitet und in die Kamera sprechend die Gäste in den Wohnzimmern begrüßt. Er macht das wie immer: locker, ansprechend und informativ, er stellt das Programm vor, das den Corona-vorschriften abgetrotzte, und den Ersten Gastdirigenten, der auch gleich mit Strawinskys „Dumbarton Oaks“loslegt. Aus der ganzen Welt sind 314 Menschen zugeschaltet, weist ein kleines Eckchen am Bildschirm aus. Und im nebenstehenden Live-chat zeigen ein paar User mit Winkewinke-icons, dass sie gespannt sind. Ein Programmheft gibt’s gratis einen Klick weiter zum Download.
Der olle Johann Sebastian Bach mit seinen Brandenburgischen Konzerten weht von Ferne dieser überaus entzückenden Musik zu, die
Strawinsky einem britischen Ehepaar zu dessen 30. Hochzeitstag komponierte. Der Name ihres berühmten Landsitzes gibt dem Concerto in Es-dur den Titel, es wurde fast ebenso berühmt. In Strawinskys neoklassizistischer Sprache reihen sich klangliche, harmonische, rhythmische Delikatessen aneinander zu einer temperamentvollen
Gute-laune-musik, die der Komponist den deprimierenden Monaten zum Kontrast schuf, als seine geliebte Tochter an Tuberkulose dahinsiechte. Bloch steht ohne Taktstock vor dem kleinen Orchester. Er verbindet, ordnet die Musik auf die Höhepunkte hin, die auch mal geradezu zärtlich sein können.
Zu Richard Wagners „Siegfried-idyll“, des großen Ringschmiedes Geburtstagsgruß an seine geliebte Cosima nebst dem gerade geborenen Nachkömmling mit Namen Siegfried, sind so viele Streicher auf der Bühne, wie hinaufdürfen. In der fälligen Umbaupause hat Dramaturg Uwe Sommer-sorgente das Wort und die Funktion eines sprechenden Konzertführers. Er steht im zweiten Parkett und weist gleich auch das dritte Stück des Abends hin, Poulencs „Sinfonietta“, das die BBC zum ersten Geburtstag ihres Klassikprogramms beim französischen Ironiker unter den Komponistenkollegen in Auftrag gab. Hier kommen zum satten Streicherklang auch Harfe und Pauke hinzu, die im Vergleich zu Wagners in ewiger Kantilene sich selbst feiernder Musik eine gehörige Portion Frechheit in den Tonsatz schmuggeln. Während Wagner alabastern und edel daherkommt, betont Bloch im Poulenc gerade die klanglichen Delikatessen. Dazu hat er die recht holzschnittartigen Dynamik-bezeichnungen Poulencs komplett, man kann schon sagen: zu einer eigenen Fassung umgearbeitet.
Man wäre begeistert, könnte man die Details im Original in sich aufnehmen. Beim Umweg über Mikro
phone, Leitungen und Audiogeräte gehen doch viele Feinheiten verloren. Zudem möchte man nicht immer anschauen müssen, was die Klarinettistin oder der Konzertmeister spielen, wenn gerade sich die Bratschen mit den Celli im Zwiegesang befinden. Was die Optik angeht, ist so ein Livestream kein annehmbarer Ersatz für einen Platz im Parkett.
Der ganzen Angelegenheit eignet eben ein Beigeschmack von Verzweiflung. Am Schluss müssen sich die Musiker auf der Bühne noch selbst applaudieren, damit so etwas wie Konzertatmosphäre aufkommt. Bei aller Liebe und Würdigung erlesener Zutaten nebst ausgereifter Handwerkskunst: Das Ergebnis bleibt unbefriedigend.