Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Uns droht ein Verlust der Tradition“
MEIN LEBEN IM LOCKDOWN Pfarrer Kay Faller spricht über Masken im Gottesdienst, Beerdigungen ohne Umarmung und Chancen zur Modernisierung.
Eine Gemeinde lebt von der Gemeinschaft, der Begegnung. Und die muss im Moment anders stattfinden, als wir es gewohnt sind. Das ganze Team der evangelischen Kirchengemeinde Düsseldorf-süd hat seit dem ersten Lockdown daran gearbeitet, dass diese Begegnung anders stattfinden kann, und wir haben einige gute Alternativen gefunden.
Als klar wurde, dass die Begegnung nicht mehr in der Kirche stattfinden kann, haben wir Gottesdienste per Whatsapp gefeiert, in der Gruppe waren 150 Leute. Senioren, die die App nicht haben, haben Gebete, Lieder und Bilder ausgedruckt in den Briefkasten bekommen.
Die stärkere Einbindung des Digitalen ändert auch den Arbeitsalltag. Wenn man eine Idee nicht zusammen bei einem Treffen, sondern per Whatsapp entwickelt, dann kommt auch gern um 23 Uhr nochmal eine Nachricht – ganz abschalten geht daher im Moment schwer.
Und so sehr wir auch schauen, jeden an dieser Form des Gemeindelebens teilhaben zu lassen, die Kommunikation läuft unter den gegebenen Umständen doch sehr indirekt. Wir haben darauf geachtet, dass auch bei den digitalen Gottesdiensten Interaktivität und Austausch gegeben waren. Denn vor allem das fehlt aktuell im Gemeindeleben: der gemeinsame Kaffee nach dem Gottesdienst, das Kochen der Nach-konfirmandengruppen im Stephanushaus. Das können wir nicht adäquat ersetzen, und wir müssen abwarten, wie sich diese Zwangspause auf das Gemeindeleben auswirkt: Gruppen könnten auseinander brechen und einzelne Menschen den Kontakt zur Gemeinde verlieren. Bei den Schulgottesdiensten, in denen man ja nicht singen darf, haben wir mit Grundschülern Weihnachtsliederraten gespielt. Das hat nicht gut geklappt, weil ihnen einfach die Routine fehlte, die Lieder so lange nicht mehr gesungen wurden. Und so droht auch älteren Menschen ein Traditionsverlust, wenn die – nötigen und sinnvollen – Einschränkungen zu lange bestehen bleiben.
Andererseits erlebe ich auch, dass viele Menschen spüren, was im Leben wirklich wichtig ist, und sich ein bisschen entfernen vom ewigen
Höher, Schneller, Weiter. Ich glaube zwar nicht, dass sich unsere Gesellschaft grundlegend wandeln wird, aber die aufgezwungene Entschleunigung tut oft gut. Die Gottesdienste, die wir mit Abstand abgehalten haben, waren nicht schlechter besucht als vor der Pandemie, auch, wenn einige ältere und vorsichtigere Menschen nach wie vor zu Hause bleiben. Und die alternativen Angebot, etwa die Outdoor-adventsgottesdienste an der Feuerschale, werden sehr gut angenommen.
Schwer ist es besonders für alle Menschen, die in diesem Jahr ein besonderes Ereignis hatten – positiv wie negativ. Fast alle Taufen wurden abgesagt – theoretisch muss ich mit einer Kanne das Kind auf Entfernung mit Wasser übergießen, das ist wirklich skurril und eigentlich auch nicht der Sinn der Sache. Noch schwieriger ist es bei Trauerfällen. Es ist schwer, die Emotionen zu deuten und sich entsprechend zu verhalten, wenn der Gegenüber eine Maske trägt. Ich hatte während des ersten Lockdowns eine Beerdigung, bei der nur zehn Angehörige dabei sein und sich nicht gegenseitig in den Arm nehmen durften. Im Sommer, als die Regeln gelockert wurden, haben sie dann nochmal zu einem Lebensfest zu Ehren des Verstorbenen eingeladen. Das fand ich eine wirklich gute Geste.
Aber auch im alltäglichen Leben als Pfarrer stören die Masken. Wenn ich während des Gottesdienstes predige, sehe ich normalerweise sofort, wie das Gesagte bei den Anwesenden ankommt – solche Rückmeldungen gibt es mit Mund-nasenSchutz nicht. Ich glaube aber auch, dass diese Krise eine Chance für die Kirche sein kann. Die digitalen Möglichkeiten, die wir gezwungenermaßen verstärkt einsetzen mussten, werden auch in Zukunft den Gemeindealltag ergänzen. Und ich sage bewusst ergänzen, denn ich bin mir sicher, dass nach Corona das Digitale das Persönliche nicht ersetzt haben wird. Und das ist auch gut so.