Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Späte Wahl in der Stadt der unsichtbaren Mauern
Im bosnischen Mostar wird am Sonntag das erste Mal seit zwölf Jahren wieder ein Stadtrat gewählt. Die Hoffnung auf einen Neubeginn ist jedoch begrenzt.
MOSTAR Manche der in die Jahre gekommenen Erstwähler haben schon 30 Lenze auf dem Buckel: Erstmals seit zwölf Jahren werden die Bürger von Bosniens fünftgrößter Stadt Mostar am Sonntag wieder einen Stadtrat wählen. Er hoffe, dass die Wähler „für die Wende“stimmen würden, so Husein Orucevic, Kandidat der unabhängigen Wahlliste „Recht auf die Stadt“: „Demokratie muss man üben. Ohne Stimme der Bürger wird sie nutzlos und von den Mächtigen missbraucht. Mostar ist das beste Beispiel dafür.“
Als „Krieg im Krieg“galten während des Bosnienkriegs (1992–1995) die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Hvo-truppen der selbsternannten Kroatenrepublik Herceg-bosna und den Streitkräften der muslimischen Bosniaken. Von Frühjahr 1993 bis Anfang 1994 wütete der Krieg in Mostar. Das von der HVO am 9. November 1993 zerstörte Stadtwahrzeichen der Alten Brücke wurde zum tristen Symbol für Bosniens zertrümmerten Vielvölkerstaat.
Mit internationaler Millionenhilfe wurde die zerstörte Altstadt nach Kriegsende wiederaufgebaut, die rekonstruierte Brücke 2004 neu eröffnet. Doch obwohl das malerische Mostar im Sommer längst wieder von zahlreichen Reisebussen angesteuert wird, ist Bosniens Touristenmekka eine geteilte Stadt geblieben.
Nicht nur die Einschusslöcher in den Mauern der Kriegsruinen halten im engen Neretva-tal die Erinnerung an die Vergangenheit wach. Mostar sei „leider durch Mauern geteilt, die man nicht sieht“, umschreibt die Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Stefica Galic die Ethnodemokratie in der seit Kriegsende von zwei Parteien, der kroatischen HDZ BIH und der bosniakischen SDA, regierten Stadt:
Deren Politik sei „ein dauerhafter Status quo des eingefrorenen Konflikts ohne irgendwelche Fortschritte. Doch wie sollen sich junge Leute kennenlernen, wenn sie in ethnischen Ghettos leben?“
Der Streit um die Kommunalwahl in Mostar galt jahrelang als ein Paradebeispiel für den Unwillen und die Unfähigkeit zum Kompromiss von Bosniens streitbaren Strippenziehern. Nachdem das Verfassungsgericht 2010 die Wahlregeln in Mostar für verfassungswidrig erklärt hatte, konnten sich HDZ und SDA fast ein Jahrzehnt nicht auf deren Überarbeitung verständigen. Erst als der Europäische Gerichtshof 2019 die Änderung der Wahlregeln anordnete und sich der Druck der EU verstärkte, zauberten SDA-CHEF Bakir Izetbegovic und HDZ-CHEF Dragan Covic im Juni einen Kompromiss zur Durchführung des seit acht Jahren ausgefallenen Urnengangs aus dem Hut.
Über ein „Fest der Demokratie“jubelte damals Valentin Inzko, der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft. Einhellig wird in Mostar zwar das Ende der Wahlzwangspause begrüßt. Doch die Hoffnung auf einen nachhaltigen demokratischen Neubeginn scheint begrenzt: Denn der Deal, mit dem HDZ und SDA doch noch die von ihnen lange verhinderte Wahl ermöglichen, droht die ethnische Teilung der zerrissenen Stadt zu zementieren.
Kritiker werfen den Großparteien vor, sich auf ein System verständigt zu haben, das vor allem ihre Vormachtstellung absichern soll. Denn mit den Zweitstimmen wird direkt nur noch ein gutes Drittel der Stadtratssitze bestimmt. Die restlichen fallen sechs weitgehend monoethnischen Wahlkreisen zu. Die Wähler könnten nur die Zweidrittelmehrheit von HDZ und SDA und so die endgültige Aufteilung der Stadt verhindern, unkt der Analyst Bodo Weber. Es bleibe die Wahl zwischen dem Tod und der Fortsetzung der Dysfunktionalität der Stadt: „Die Demokratie wird nicht wiederbelebt in Mostar.“
„Demokratie muss man üben“Husein Orucevic Kandidat der Wahlliste „Recht auf die Stadt“