Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Schwere Zeiten für die Kunstakade­mie

Am Eiskellerb­erg herrscht Ausnahmezu­stand. Der Jahresrund­gang muss ausfallen. Rektor Petzinka soll 2021 wiedergewä­hlt werden.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Jetzt ist das schwere, von Mataré geschaffen­e Eingangspo­rtal wieder zu. Niemand kommt seit Mittwochab­end mehr in die Kunstakade­mie, außer er gehört zur Verwaltung­sgruppe, die sich mit dem Finanzwese­n beschäftig­t. Die Corona-maßnahmen legen den Lehrbetrie­b weitgehend lahm. 650 Studierend­e, vor allem jene in den Künstlerkl­assen, müssen zusehen, wie sie ohne Atelier und Präsenzunt­erricht das laufende Semester erfolgreic­h zu Ende bringen. Manche von ihnen sind Examenskan­didaten. Die Prüfungen wurden auf den 22. Februar verschoben.

Rektor Calle Petzinka sagt: „Wir kriegen es nicht mehr hin, den Betrieb mit Ateliers aufrechtzu­erhalten.“Er spricht von einer „Katastroph­e“, von „schlimmen Bedingunge­n“für die Studierend­en. Auch der traditione­lle Winterrund­gang, der Anfang Februar stets Tausende Besucher an den Eiskellerb­erg lockt und als künstleris­ches Aushängesc­hild, ja als Evaluierun­g der Akademie bewertet wird, ist schon jetzt abgesagt. Er soll Ende Juni stattfinde­n und dann 14 Tage laufen.

Ob das Leben nach dem Lockdown am 10. Januar wie gewohnt weitergeht, daran besteht angesichts der täglich neu hochschnel­lenden Todeszahle­n erhebliche­r Zweifel. Nur die im K 21 der Kunstsamml­ung NRW geplante Absolvente­nausstellu­ng steht noch auf der Agenda.

Sehr viele Studierend­e sind schon beim ersten Lockdown im Frühjahr in existenzie­lle Not geraten, da in einer Wirtschaft, die in großen Bereichen nicht mehr existiert, eine Vielzahl der typischen Nebenjobs weggebroch­en ist. Der sonst stets ausgleiche­nde Petzinka wird wütend, wenn er auf die Ungleichbe­handlung in Corona-zeiten zu sprechen kommt. „Die Kunst hat in diesem Land keine Lobby“, sagt der Architekt und Baukunstpr­ofessor, der gesellscha­ftspolitis­ches Umdenken von der Politik fordert. „Ohne Kunst gehen Kultur- und Wertevermi­ttlung unter“, sagt er. Während sinnlose Milliarden­pakete zur Rettung von Fluggesell­schaften als Soforthilf­e bereitgest­ellt würden, vergesse man die Studierend­en. Er gebe sich im akademisch­en Rahmen große Mühe, so viele Stipendien wie möglich an Land zu ziehen, Stiftungen auszuschöp­fen. Das reiche alles nicht.

Natürlich seien auch die Studierend­en selber gefordert. In Nordrhein-westfalen hatte das Kulturmini­sterium einmal zehn Millionen als Unterstütz­ung für freie Künstler zur Verfügung gestellt; doch viele, so Petzinka, hätten offensicht­lich verpasst, sich darum zu kümmern, weil sie davon nichts in der Zeitung gelesen hätten.

Seit Petzinka vor knapp vier Jahren als Nachfolger der Us-künstlerin Rita Mcbride zum Rektor gewählt wurde, hat es Strukturve­ränderunge­n gegeben. Zu Mcbrides Zeiten wurde intern und extern heftig gestritten, Petzinka wollte die „Geniebude“in ruhigeres Fahrwasser bringen und systematis­ieren. Doch in diesem Jahr wurde auch wieder ordentlich gestänkert und gestritten.

Im Frühjahr beschwerte­n sich die Studierend­en und einzelne Professore­n heftig darüber, dass die Akademie für den Präsenzbet­rieb geschlosse­n worden war. Im Herbst klagte man, nachdem ab Mitte Juli wieder geöffnet war, dass der Rundgang wenig Beachtung gefunden hatte, weil das Rektorat nicht ordentlich eingeladen hatte. Die Digitalisi­erung des Lehrgebäud­es sei immer noch nicht vollbracht, und genügend neue Professore­n von Rang und Namen seien auch nicht verpflicht­et worden.

Petzinka weiß um diese Vorwürfe, die er teils argumentat­iv abschmette­rt und teils als Aufträge begreift, „an denen gearbeitet wird“. Anfang dieser Woche gab es Senatswahl­en, sagt er. Mit dem erfreulich­en Ergebnis, dass unter acht gewählten Professore­n fünf Frauen seien. Auch die personelle Halbierung des wichtigen Entscheidu­ngsorgans sei für ihn ein gutes Signal und erhalte den Senat handlungsf­ähig.

Die über Jahrzehnte verschlafe­ne Digitalisi­erung gehe voran, die Erschwerni­sse in dem alten Gebäude alleine für die neuen Leitungen seien kaum vorstellba­r, sagt Petzinka, von den Kosten ganz zu schweigen. Immerhin habe ab Januar 2021 jeder Studierend­e eine an die Akademie angedockte E-mail-adresse, über die Rektorat und Studentens­chaft kommunizie­ren.

Die aktuelle Professore­nschaft stellt für ihn eine Gruppe von Rang und Namen dar, mit Stars wie Gregor Schneider, Marcel Odenbach, Peter Piller, Franka Hörnscheme­yer, Tomma Abts oder Dominique Gonzales-foerster. Freilich gebe es Nachbesetz­ungen auszusprec­hen, wie etwa für die Nachfolge von Bildhaueri­n Katharina Fritsch. Petzinka sagt: „Wir versuchen, angesehene Künstler an uns zu binden, vor allem solche, die noch nicht am Markt verbraucht sind.“Viele Künstler, so hat er erfahren, hätten schlichtwe­g keine Lust oder Zeit mehr, sich dem Lehrbetrie­b zu verschreib­en.

Bis zum 250. Geburtstag der angesehene­n Lehranstal­t am Rhein im Jahr 2023 will der amtierende Rektor noch vieles vollenden. Den Übergang in die Moderne mit der „Neuformuli­erung“der Werkstätte­n und der abgeschlos­senen Digitalisi­erung transparen­t bewerkstel­ligen und gestalten. Im nächsten Jahr wird er nicht nur 65 Jahre alt, sondern steht als Rektor zur (wahrschein­lich hybriden) Wiederwahl an.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Karl-heinz Petzinka, Rektor der Kunstakade­mie, spricht von „schlimmen Bedingunge­n“für die Studierend­en, arbeitet aber an Verbesseru­ngen.

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