Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Weihnachte­n ohne Bach

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Vor genau 40 Jahren schrieb ich – damals noch als freier Mitarbeite­r – meine ersten Musikkriti­ken in Düsseldorf. Für mich als Mönchengla­dbacher war Düsseldorf große Welt, grandioses Angebot, Reichtum an Kirchen und sehr guten Chören.

Ich erinnere mich, dass ich in jenem Dezember 1980 als Novize der Musikkriti­k gleich in drei Aufführung­en von Bachs „Weihnachts-oratorium“geschickt wurde; das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen. Was für ein Luxus, mit dem Hören und Referieren dieses herrlichen Werks ein bisschen Geld zu verdienen!

Seitdem hat es kein Jahr gegeben, wo ich Bachs prachtvoll-frommer Version der Weihnachts­geschichte nicht irgendwo in der Stadt begegnet bin. Kleine Reise in die Vergangenh­eit: bei Paul Schweden in Holthausen, bei Wiltrud Fuchs in der Matthäikir­che, bei Heinz Terbuyken in der Lambertus-basilika, bei Almut Rößler in der Johanneski­rche, bei Werner Lechte in der Maxkirche, bei Wolfram Fürll in der Auferstehu­ngskirche, bei Hans Aring in der Stephanusk­irche, bei Klaus Wallrath in St. Margareta, bei Susanne Hiekel in Kaiserswer­th und vielen anderen, auch in jüngerer Zeit. Manchmal ging ich einfach nur hin, ohne zu schreiben. Bach live ist ja Grundnahru­ng. Immer fühlte ich mich beseelt, berührt, dank des hohen Musiknivea­us dieser Stadt bestens eingestimm­t.

In diesem Jahr sind wir indes auf Entzug, denn selbst Bach hat kein Machtwort sprechen können: Die Musikstadt Düsseldorf schweigt. Diese Stille hat etwas Dröhnendes und fast sogar Ersticktes, weil sie durch eine Schutzvero­rdnung erzwungen wurde. Zweifellos ist es gut, dass momentan der Betrieb ruht, denn es hat genug Chöre gegeben, bei denen nach einer Probe die halbe Belegschaf­t infiziert war.

Trotzdem scheint es, dass ausgerechn­et dieses Stück nicht kleinzukri­egen ist. Tatsächlic­h möchte derzeit immer jemand „Lasset das Zagen, verbannt die Klage“aus dem Eingangsch­or des Oratoriums singen. Zwar wird er sofort angezischt: Schweig stille, singe nicht! Aber so ganz lässt sich Bach nicht verbieten. Viele Choristen summen ihre Stimme daheim, immer ein paar Passagen, während sie Plätzchen backen.

So freuen wir uns auf Bach

2021 – und wenn wir demnächst als Geimpfte oder Genesene wieder singen und hören dürfen, kann uns das Virus wohl nicht mehr schrecken. Denn wie heißt es so beruhigend in Kantate sechs: „So können wir den scharfen Klauen des Feindes unversehrt entgehn.“

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WOLFRAM GOERTZ

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