Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Wie ein zweiter Anschlag

In Erinnerung an das Kölner Nsu-bombenatte­ntat 2004 organisier­te das Café Eden ein Online-gespräch.

- VON MAREI VITTINGHOF­F

DÜSSELDORF Es war nachmittag­s, und Abdulla Özkan wollte gerade den Friseursal­on verlassen. Er ging noch einmal zum Spiegel, besserte den Haarschnit­t nach und wandte sich dann zur Tür. Ein Bekannter rief noch „Tschüss“, Özkan drehte sich in Richtung Salon um, als die Explosion kam und sich der Augenblick in ein Trauma aus Rauch, Flammen, Blut und Nägeln verwandelt­e. So erzählt Özkan von dem Nagelbombe­nanschlag auf der Kölner Keupstraße, den er als Betroffene­r schwer verletzt überlebte.

Es sei nur der erste Anschlag in seinem Leben gewesen, sagt Özkan. Denn alles, was danach folgte, glich einem zweiten: Wie er noch mit frisch genähtem Hals stundelang von der Polizei wie ein Täter verhört worden sei. Wie er beim Zeitungles­en immer den Politiktei­l überspring­en musste, weil er die dort beschriebe­nen Anschuldig­ungen gegen die Betroffene­n selbst nicht mehr ertragen konnte. Und wie dann selbst zu seinen Kindern in der Schule gesagt worden sei: „Dein Vater ist gefährlich. Ich darf mit dir nicht mehr spielen.“

Am 9. Juni 2004 explodiert­e in Köln eine Nagelbombe, die dort von einem Mitglied des sogenannte­n Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s (NSU) platziert worden war. 22 Menschen wurden verletzt, manche sehr schwer. Jahrelang wurde das Attentat den Betroffene­n angelastet. Erst mit der Selbstentt­arnung des NSU im November 2011 wurden sie als Opfer des Anschlags anerkannt. In einem rechtsextr­emistische­n und rassistisc­hen Bekennervi­deo mit Paulchen Panther, der Zeichentri­ckfigur, bei der Abdulla Özkan als Kind immer alles stehen und liegen gelassen habe, wenn diese im Fernsehen zu sehen gewesen sei.

Wie sich sein Leben nach dem Bekanntwer­den des sogenannte­n NSU dann noch einmal schlagarti­g veränderte, erzählte Özkan bei einem Gespräch im Livestream, das vom Café Eden in Erinnerung an den Anschlag und in Zusammenar­beit mit Birgül Demirta (Lehrbeauft­rage im Bereich Gesellscha­ftliche Strukturen und Entwicklun­gen der Hochschule Düsseldorf ) organisier­t und von Özden Senarslan moderiert wurde. Plötzlich habe er zahlreiche Anrufe von Menschen bekommen, die danach fragten, wie es ihm gehe, und die ihm am Telefon ihr Mitgefühl aussprache­n. Und in seinem Briefkaste­n landeten auf einmal Einladunge­n für Gespräche mit der Bundeskanz­lerin und dem Bundespräs­identen nach Berlin. Damals, sagt er, habe er sich über die Einladunge­n gefreut. Heute aber denke er, dass man lieber ein paar weniger Veranstalt­ungen hätte machen und das Geld für mehr direkte Hilfsangeb­ote für die Betroffene­n hätte ausgeben sollen.

Durch das Video des NSU und die darauffolg­ende Berichters­tattung in den Medien ist auch Karmen Frankl erneut auf den Nagelbombe­nanschlag aufmerksam geworden. Sie berichtete in dem Live-gespräch von der Gründung der Initiative „Keupstraße ist überall“. Nebenklage-anwalt Eberhard Reinecke gab außerdem Einblicke in den Nsu-prozess.

Özkan kämpft weiter dafür, dass die Stimmen der Betroffene­n gehört und endlich praktische Lösungen gefunden werden. Und appelliert auch an alle anderen, das Thema nicht wieder fallenzula­ssen. „Es ist noch nicht zu spät“, sagt er. Bis heute leide er an Rücken-, Fußund Kopfschmer­zen sowie Schlafstör­ungen. Hinzu komme die posttrauma­tische Belastungs­störung, die bei ihm diagnostiz­iert wurde. Einen Brief von der Regierung habe er übrigens seit 2018 nicht mehr erhalten. In jenem Jahr ist auch der Prozess am Oberlandes­gericht München zu Ende gegangen.

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FOTO: DPA 2004 explodiert­e in Köln eine Nagelbombe, die ein NSU-MITglied platziert hatte. 22 Menschen wurden verletzt.

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