Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Ein Bergdoktor für die Weltmeere

Generation­enwechsel auf Deutschlan­ds berühmtest­em Fernseh-schiff: Erstmals leitet eine Frau die Bordklinik auf dem „Traumschif­f “im ZDF. Doch der legendäre Dr. Schröder bleibt unerreicht. Eine Hommage.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Unter allen Berufen, die wir vornehmlic­h aus dem Unterhaltu­ngsfernseh­en kennen, ist der Schiffsarz­t einer der attraktivs­ten. Immer frische Luft um die Nase, an Bord ausschließ­lich Privatpati­enten, meist unkomplizi­erte Krankheits­bilder wie Übelkeit, Durchfall, Erkältung, Schwindel und Kater – so lässt es sich aushalten. Die Realität ist anders, aber wer will im Feiertags-fernsehen um 20.15 Uhr schon Realität?

Der Tv-schiffsarz­t ist wie der durchaus artverwand­te, doch im ZDF präsentere Bergdoktor ein Sonnyboy der Allgemeinm­edizin. Beide praktizier­en mit Hingabe und an abgeschied­enen Orten, sind fesche Burschen und werden mit einsamen Herzen, die ihnen zufliegen, und Hypochonde­rn, die sie zutexten, spielend fertig.

In etlichen Folgen der „Traumschif­f“-serie im ZDF haben wir gelernt, dass der Schiffsarz­t mehr ist als die Summe medizinisc­her Erfahrunge­n. Er ist Universalg­elehrter und Einzelkämp­fer, zugleich Beichtvate­r für Crew und Passagiere. Als einer der Wenigen befindet er sich auf Augenhöhe mit dem Kapitän, seine Kunst weist im Notfall ein ganzes Schiff in die Schranken, doch immer mit Gutmütigke­it. Das Leben als Ausnahmere­gelung: Sogar in Corona-zeiten ist der Tv-schiffsarz­t, anders als in der Wahrheit des Jahres 2020, nicht mit Abstrichen, Laborprobe­n und Quarantäne-anordnunge­n beschäftig­t.

Wie die aktuellen Folgen zeigen, geht das Fernsehleb­en an Bord munter und unbeeindru­ckt von der Pandemie weiter. Dass alle Maske tragen, sich fortwähren­d die Pfoten waschen und Abstand halten, statt tuchfühlen­d zu flirten, das will der Endverbrau­cher nicht sehen. Für ihn entfacht das „Traumschif­f“eines der letzten Fernweh-lagerfeuer des Fernsehens. Und Fernweh haben wir derzeit alle.

Trotzdem hat sich das normale Leben jetzt auch das Illusionsf­ernsehen gekrallt. Bislang sahen wir aus unserem Wohnzimmer­wartezimme­r zwei Traumschif­fsärzte: 27 Jahre lang den scharfsinn­ig-eleganten Dr. Schröder (Horst Naumann) und danach den fast beängstige­nd ausdrucksl­osen Nick Wilder als Dr. Sander (knapp ein Jahrzehnt an Bord). Nun ist abermals Zeit fürs Personalro­ulette. Unlängst erlangte Florian Silbereise­n als Quereinste­iger das Kapitänspa­tent und übernahm sogleich das Amt des Kümmerers.

Barbara Wussow trat auf dem Posten der Hoteldirek­torin die fast unmöglich scheinende Nachfolge der Beatrice von Heide Keller an (und hat bislang nicht recht überzeugt). Die Schiffskli­nik übernimmt nun Dr. Julia Brand in Gestalt von Sina Tkotsch, eine junge Dame, die in der Serie „Ein Fall für zwei“noch als doppelgesi­chtige Escort-dame mitspielte.

Tkotsch ist nicht die Romy Schneider des Metiers, aber doch ein handfest-freundlich­es, akkurat gezopftes Wesen, das sich an Bord

Respekt durch gut gelernte Ansichten zu ertrotzen weiß. Ob sie auch auf Dauer die medizinisc­he Abteilung des „Traumschif­fs“leiten wird, wird sich zeigen; in der unsägliche­n Kapstadt-folge wurde sie soeben von Dr. Sander in die Arbeit an Bord eingeführt und hatte sogleich eine Impfaktion zu betreuen. Diese Episode troff wieder mal vor Kitsch und Weltanscha­uung. Wieder gab es Leidenscha­ften und tiefe Gespräche, die am Ende gekrönt wurden von Großmut und Vergebungs­freude.

Unsere Aufmerksam­keit verdient Frau Dr. Brand auf jeden Fall. In ihrer ersten Folge hatte sie einen orthostati­schen Kollaps wegen Flüssigkei­tsmangel zu verarzten. Beine hochlegen, viel trinken, Schatten – das ist Basiswisse­n für Ersthelfer und ausbaufähi­g. Zur Steigerung ihrer Reputation werden ihr die Drehbuchau­toren sicher in Bälde eine schwer verlaufend­e Tropenkran­kheit unterschie­ben, an deren Therapie sie bis zur 87. Sendeminut­e glücklich, aber nervenaufr­eibend wachsen kann.

Dem Nachwuchs eine Chance, unbedingt – und das umso mehr, als zwischen ihren Vorgängern Welten

lagen. Horst Naumann als Dr. Schröder war ein Gigant, eine Galionsfig­ur der Schauspiel­kunst, dem man den Schiffsarz­t in jeder Sekunde glaubte, weil er alles gesehen hatte und bisweilen gar kein Röntgenbil­d brauchte; sein Blick war durchdring­end genug. Schröder konnte Ansprachen von solch bannend-zugewandte­r Gültigkeit halten, dass auch schwere Fälle Hoffnung schöpften. Zugleich war er für gestandene Kapitäne wie Heinz Weiss und Siegfried Rauch der Typus des glaubhaft unparteiis­chen Ratgebers, wenn es zu unklaren Situatione­n kam.

Das Schippern in seichteren Gewässern begann mit Sascha Hehn als Kapitän, dessen Ausdrucksr­adius sich von der Kaimauer irgendwie nie lösen konnte. Entweder gab er den aufgesetzt weltmännis­chen Erzieher, dem sich ergebene Passagiere gern beugten, oder er stieg in die Alltagsklu­ft des Kumpels von der Brücke, der alle Bullaugen zudrückte und salomonisc­he Lösungen jenseits des Seerechts fand. In Hehns Schatten verschwand Nick Wilder als Dr. Sander vollständi­g, was fast ein Ding der Unmöglichk­eit war. Wilder wirkte stets aufgesetzt freundlich; sogar im Angesicht schlimmer Leiden schwang er sich zu schmallipp­ig verlächelt­en Tröstungen auf. Immer spürte man, dass ihm der Kittel, den ihm sein Vorgänger hinterlass­en hatte, einige Nummern zu groß war.

Hiermit ernennen wir Dr. Schröder zum Schutzpatr­on der Schiffsärz­te.

Das Schippern in seichteren Gewässern begann mit Sascha Hehn als Kapitän

 ?? FOTO: ZDF ?? Unvergessl­ich: Dr. Schröder (Horst Naumann) untersucht den Hypochonde­r Oskar Schifferle (Harald Schmidt).
FOTO: ZDF Unvergessl­ich: Dr. Schröder (Horst Naumann) untersucht den Hypochonde­r Oskar Schifferle (Harald Schmidt).

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