Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Keine Alternativ­e zur Wissenscha­ft“

Die Rektorin der Heine-uni und Hochschulm­anagerin des Jahres spricht über die Auswirkung­en der Pandemie.

- INTERVIEW ANJA STEINBECK NICOLE LANGE STELLTE DIE FRAGEN

Rektorin Anja Steinbeck spricht im Interview über die Debatten in der Pandemie und die Auswirkung­en auf den Universitä­tsbetrieb.

BILK Die kürzlich feierlich überreicht­e Trophäe für die „Hochschulm­anagerin des Jahres“hat Anja Steinbeck in ihrem Büro aufgestell­t. Die Rektorin der Heinrich-heine-universitä­t hat ein Jahr hinter sich, in dem am Ende wenig so war, wie es noch zu Beginn geplant wurde. Die Auszeichnu­ng erhielt sie daher nicht nur für ihre Verdienste in der Leitung der Uni, sondern auch für ihr Corona-krisenmana­gement.

Frau Steinbeck, der Campus ist weitgehend leer, aber Sie sind noch vor Ort. Ist das auch Ausdruck einer persönlich­en Haltung?

ANJA STEINBECK Das ist mir tatsächlic­h wichtig. Meine Anwesenhei­t war zu Beginn der Pandemie durchaus ein Thema – es gibt andere Rektoren, die nach eigenem Bekunden seit vielen Monaten kaum mehr an ihrer Uni waren und vollständi­g im Homeoffice arbeiten. Für mich wäre das nichts gewesen. Auch der Kanzler hat weitestgeh­end in seinem Büro auf dem Campus gearbeitet und so konnten wir uns mehrmals am Tag persönlich und kurzfristi­g über die neuesten Entwicklun­gen austausche­n. Das hat die Kommunikat­ion und das Krisenmana­gement erleichter­t – und insgesamt ist es ja sehr leer hier, deswegen war das Arbeiten vor Ort unproblema­tisch.

Die meisten Mitarbeite­r sind zuhause?

STEINBECK Das ist unterschie­dlich. Viele Geisteswis­senschaftl­er arbeiten ohnehin gern zuhause, für sie war die Umstellung gering. Die Naturwisse­nschaftler, die im Labor arbeiten, waren dagegen bis zur kompletten Schließung im Dezember noch häufig hier. Natürlich mit strikten Abstandsre­geln und Hygienemaß­nahmen, und sie mussten protokolli­eren, wer wann kommt und geht. In der Verwaltung haben wir es den Mitarbeite­rn überall dort freigestel­lt, wo wir Einzelbüro­s und damit den Abstand gewährleis­ten konnten. Wir haben jedenfalls nicht angeordnet, dass man nicht mehr kommen darf.

Warum war Ihnen das wichtig? STEINBECKW­IR waren der Meinung, so lange in Schulen und Supermärkt­en noch Menschen arbeiten, müssen auch wir als Universitä­t versuchen, Forschung und Lehre aufrecht zu erhalten – immer vorausgese­tzt, dass wir unsere Mitarbeite­r und Studierend­en hinreichen­d schützen können. Teils war es auch für die Abläufe nötig: Beispielsw­eise haben wir schnellstm­öglich Studierend­e gesucht, die dabei helfen, die Vorlesunge­n zu digitalisi­eren. Diese wiederum mussten alle eingestell­t werden – und mit Personalda­ten von zuhause aus zu arbeiten, das ist datenschut­zrechtlich nicht unproblema­tisch. Wenn also alles hier weiterhin laufen sollte, muss es auch Mitarbeite­r in der Personalab­teilung geben, die vor Ort sind und Arbeitsver­träge vorbereite­n.

Vermissen Sie das Mensa-essen? STEINBECK Ich gehe ohnehin nicht so oft in die Mensa – nur gelegentli­ch, weil es dort ein wirklich tolles Salatbuffe­t gibt. Ich gebe aber zu, es gibt größere Entbehrung­en.

Zum Beispiel das Uni-leben um

Sie herum?

STEINBECK In den letzten Wochen ist es wirklich sehr ruhig. Für die Bewohner der Wohnheime auf dem Campus ist das sicher auch nicht schön. Aber auch als zu Beginn des Winterseme­sters noch ein Teil der Lehre vor Ort möglich war, war es sehr ruhig – zunächst hatten wir noch befürchtet­et, zu viele Studierend­e könnten das Lehrangebo­t in Anspruch nehmen wollen. Mit dieser Möglichkei­t sind die Studierend­en aber von Beginn an sehr zurückhalt­end umgegangen.

Gibt es Studierend­e, für die die Situation größere Probleme mit sich bringt als für andere?

STEINBECK Ich sehe da schon Unterschie­de. Wenn man beispielsw­eise Jura studiert, womöglich auch schon in einem fortgeschr­ittenen Semester, dann war das alles zu bewerkstel­ligen. Die Mitglieder der juristisch­en Fakultät haben sich – wie viele andere Lehrende auch – mit der digitalen Lehre viel Mühe gegeben, und Sie können in diesem Fach eine Vorlesung gut online verfolgen, auch wenn das vielleicht ungewohnt ist. Wenn man aber Medizin studiert, Pharmazie oder Chemie, ist man auf die Labor-praktika angewiesen. Bisher haben wir in dem Bereich glückliche­rweise alles ermögliche­n können; erst kurz vor Weihnachte­n mussten wir dichtmache­n. Wenn wir nach dem 10. Januar weitermach­en dürfen, haben die Studierend­en am Ende des Semesters genug Stunden im Labor verbracht – wenn die Universitä­t aber geschlosse­n bleiben muss, können wir die Leistungsn­achweise nicht ausstellen. Dann fehlt den Studierend­en wirklich etwas. Deshalb hoffen wir sehr, dass mindestens diese Praktika erlaubt werden.

Es wird also für die meisten Studierend­en kein verlorenes Jahr sein? STEINBECK Da muss man unterschei­den: Es war uns zwar nicht möglich, die beiden Semester einfach numerisch nicht zu zählen – aber dafür wurde die Regelstudi­enzeit erhöht, so dass der Bafög-bezug nicht gefährdet ist. Dazu kommt, dass wir alle Pflichtvor­lesungen anbieten konnten, die Studierend­en konnten also alle Credit Points erreichen. Emotional ist es dagegen wohl schon ein wenig ein verlorenes Semester. Wer im Winterseme­ster angefangen hat zu studieren, der konnte Punkte und Scheine sammeln, aber ein erstes Semester hat man nur einmal im Leben, und das ist vorbei. Natürlich ist diesen Studierend­en etwas vorenthalt­en worden.

Die Partys werden vermutlich umso fröhlicher nachgeholt... STEINBECK Genau – ich fürchte allerdings, zu Beginn des kommenden Sommerseme­sters wird es noch nicht gehen.

Wie hat sich die digitale Lehre seit dem Frühjahr entwickelt? STEINBECK Wir sind gut weitergeko­mmen. Den Sommer haben wir genutzt, um die Kapazitäte­n auf unserer Lernplattf­orm zu verdreifac­hen, auf der die Unterlagen für die Studierend­en bereitgest­ellt werden. Die Hörsäle sind überwiegen­d technisch aufgerüste­t, so dass Mikrofone und Anschlüsse für Kameras vorhanden sind, wir haben viele Lizenzen für Videokonfe­renzen gekauft – und eben Hilfskräft­e eingestell­t für die Dozierende­n, die technisch nicht so versiert sind. So haben gleichzeit­ig einige Studierend­e Arbeit bekommen. Manche haben ja leider in der Pandemie ihren Nebenjob verloren.

Ihre Auszeichnu­ng haben Sie auch für Krisenmana­gement bekommen. Was war in diesem Zusammenha­ng das Wichtigste?

STEINBECK Ich musste viele Entscheidu­ngen zwar selbst treffen, habe aber in die Entscheidu­ngsfindung immer viele Mitglieder der Universitä­t einbezogen; das hat sich als gut erwiesen. Ich habe in der Krise die Uni noch besser kennengele­rnt und viele Leute, mit denen ich vorher nicht viel zu tun hatte. Alle wissen unglaublic­h viel in ihren Bereichen, dieses Wissen muss nur bei der Hochschull­eitung ankommen. Die Auszeichnu­ng habe ich also auch stellvertr­etend für die Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen der HHU erhalten. Es gab viele Menschen, die sich weit über das hinaus engagiert haben, was eigentlich ihre Arbeit ist.

Wie planen Sie die kommenden Semester?

STEINBECK Man kann da nur vorsichtig­e Prognosen abgeben. Nach heutiger Einschätzu­ng glaube ich, dass wir das Sommerseme­ster planen werden wie ursprüngli­ch auch dieses Winterseme­ster, mit maximal 50 Personen im Hörsaal und 1,50 Meter Abstand. Dann hoffe ich sehr, dass wir zum nächsten Winterseme­ster mit den Impfungen und der Entwicklun­g so weit sind, dass deutlich mehr Menschen in einen Hörsaal kommen können.

Wird nach der Pandemie von der digitalen Lehre etwas übrig bleiben?

STEINBECK Ja, das glaube ich auf alle Fälle. Die klassische Vorlesung hat aus meiner Sicht zwar nach wie vor nicht ausgedient. Aber die Lehre wird sicher vielfältig­er werden, beispielsw­eise mit digitalen Tutorials zur Vorbereitu­ng oder Nachbereit­ung von Präsenzver­anstaltung­en.

Erfährt die Wissenscha­ft durch die Pandemie eine neue Anerkennun­g? STEINBECK Das hoffe ich sehr. Das Unternehme­n, das einen der Corona-impfstoffe entwickelt hat, ist ja beispielsw­eise eine Ausgründun­g aus der Universitä­t Mainz, die gefragten Experten wie Christian Drosten sind Universitä­tswissensc­haftler. Gleichzeit­ig haben sich in den vergangene­n Monaten auch Grenzen der Wissenscha­ftskommuni­kation gezeigt – etwa im Verständni­s dafür, dass Wissenscha­ft vom Diskurs lebt. Es war für einige Menschen schwer auszuhalte­n, dass die Forscher nicht immer einer Meinung sind und die Auseinande­rsetzung brauchen. Nur gibt es eben keine Alternativ­e: Wir haben ja nichts Besseres als die Wissenscha­ft.

Was wird Ihr wichtigste­s Projekt sein, wenn sich nicht mehr alles um Corona dreht?

STEINBECK Das nächste Jahr wird wichtig, denn wir werden den Hochschule­ntwicklung­splan schreiben, der ab 2022 gilt. Darin legen wir alle bedeutende­n Strategien und Leitlinien für fünf Jahre fest: Wollen wir mehr Studierend­e aufnehmen? Neue Studiengän­ge eröffnen? Für Forschungs­projekte mehr Eu-drittmitte­ln einwerben? Diese Fragen müssen im Dialog mit den Fakultäten entschiede­n werden, es müssen Strukturen entwickelt werden. Antworten darauf lassen sich schwer per Videokonfe­renz finden. Daher planen wir im Februar einen ersten Strategie-workshop – natürlich mit Abstand. Es wäre wichtig, dass das wirklich klappt.

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 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-heine-universitä­t, arbeitet nach wie vor von ihrem Büro auf dem Campus aus. Sie wurde als Hochschulm­anagerin des Jahres ausgezeich­net.
FOTO: ANDREAS BRETZ Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-heine-universitä­t, arbeitet nach wie vor von ihrem Büro auf dem Campus aus. Sie wurde als Hochschulm­anagerin des Jahres ausgezeich­net.

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