Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Keine Alternative zur Wissenschaft“
Die Rektorin der Heine-uni und Hochschulmanagerin des Jahres spricht über die Auswirkungen der Pandemie.
Rektorin Anja Steinbeck spricht im Interview über die Debatten in der Pandemie und die Auswirkungen auf den Universitätsbetrieb.
BILK Die kürzlich feierlich überreichte Trophäe für die „Hochschulmanagerin des Jahres“hat Anja Steinbeck in ihrem Büro aufgestellt. Die Rektorin der Heinrich-heine-universität hat ein Jahr hinter sich, in dem am Ende wenig so war, wie es noch zu Beginn geplant wurde. Die Auszeichnung erhielt sie daher nicht nur für ihre Verdienste in der Leitung der Uni, sondern auch für ihr Corona-krisenmanagement.
Frau Steinbeck, der Campus ist weitgehend leer, aber Sie sind noch vor Ort. Ist das auch Ausdruck einer persönlichen Haltung?
ANJA STEINBECK Das ist mir tatsächlich wichtig. Meine Anwesenheit war zu Beginn der Pandemie durchaus ein Thema – es gibt andere Rektoren, die nach eigenem Bekunden seit vielen Monaten kaum mehr an ihrer Uni waren und vollständig im Homeoffice arbeiten. Für mich wäre das nichts gewesen. Auch der Kanzler hat weitestgehend in seinem Büro auf dem Campus gearbeitet und so konnten wir uns mehrmals am Tag persönlich und kurzfristig über die neuesten Entwicklungen austauschen. Das hat die Kommunikation und das Krisenmanagement erleichtert – und insgesamt ist es ja sehr leer hier, deswegen war das Arbeiten vor Ort unproblematisch.
Die meisten Mitarbeiter sind zuhause?
STEINBECK Das ist unterschiedlich. Viele Geisteswissenschaftler arbeiten ohnehin gern zuhause, für sie war die Umstellung gering. Die Naturwissenschaftler, die im Labor arbeiten, waren dagegen bis zur kompletten Schließung im Dezember noch häufig hier. Natürlich mit strikten Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen, und sie mussten protokollieren, wer wann kommt und geht. In der Verwaltung haben wir es den Mitarbeitern überall dort freigestellt, wo wir Einzelbüros und damit den Abstand gewährleisten konnten. Wir haben jedenfalls nicht angeordnet, dass man nicht mehr kommen darf.
Warum war Ihnen das wichtig? STEINBECKWIR waren der Meinung, so lange in Schulen und Supermärkten noch Menschen arbeiten, müssen auch wir als Universität versuchen, Forschung und Lehre aufrecht zu erhalten – immer vorausgesetzt, dass wir unsere Mitarbeiter und Studierenden hinreichend schützen können. Teils war es auch für die Abläufe nötig: Beispielsweise haben wir schnellstmöglich Studierende gesucht, die dabei helfen, die Vorlesungen zu digitalisieren. Diese wiederum mussten alle eingestellt werden – und mit Personaldaten von zuhause aus zu arbeiten, das ist datenschutzrechtlich nicht unproblematisch. Wenn also alles hier weiterhin laufen sollte, muss es auch Mitarbeiter in der Personalabteilung geben, die vor Ort sind und Arbeitsverträge vorbereiten.
Vermissen Sie das Mensa-essen? STEINBECK Ich gehe ohnehin nicht so oft in die Mensa – nur gelegentlich, weil es dort ein wirklich tolles Salatbuffet gibt. Ich gebe aber zu, es gibt größere Entbehrungen.
Zum Beispiel das Uni-leben um
Sie herum?
STEINBECK In den letzten Wochen ist es wirklich sehr ruhig. Für die Bewohner der Wohnheime auf dem Campus ist das sicher auch nicht schön. Aber auch als zu Beginn des Wintersemesters noch ein Teil der Lehre vor Ort möglich war, war es sehr ruhig – zunächst hatten wir noch befürchtetet, zu viele Studierende könnten das Lehrangebot in Anspruch nehmen wollen. Mit dieser Möglichkeit sind die Studierenden aber von Beginn an sehr zurückhaltend umgegangen.
Gibt es Studierende, für die die Situation größere Probleme mit sich bringt als für andere?
STEINBECK Ich sehe da schon Unterschiede. Wenn man beispielsweise Jura studiert, womöglich auch schon in einem fortgeschrittenen Semester, dann war das alles zu bewerkstelligen. Die Mitglieder der juristischen Fakultät haben sich – wie viele andere Lehrende auch – mit der digitalen Lehre viel Mühe gegeben, und Sie können in diesem Fach eine Vorlesung gut online verfolgen, auch wenn das vielleicht ungewohnt ist. Wenn man aber Medizin studiert, Pharmazie oder Chemie, ist man auf die Labor-praktika angewiesen. Bisher haben wir in dem Bereich glücklicherweise alles ermöglichen können; erst kurz vor Weihnachten mussten wir dichtmachen. Wenn wir nach dem 10. Januar weitermachen dürfen, haben die Studierenden am Ende des Semesters genug Stunden im Labor verbracht – wenn die Universität aber geschlossen bleiben muss, können wir die Leistungsnachweise nicht ausstellen. Dann fehlt den Studierenden wirklich etwas. Deshalb hoffen wir sehr, dass mindestens diese Praktika erlaubt werden.
Es wird also für die meisten Studierenden kein verlorenes Jahr sein? STEINBECK Da muss man unterscheiden: Es war uns zwar nicht möglich, die beiden Semester einfach numerisch nicht zu zählen – aber dafür wurde die Regelstudienzeit erhöht, so dass der Bafög-bezug nicht gefährdet ist. Dazu kommt, dass wir alle Pflichtvorlesungen anbieten konnten, die Studierenden konnten also alle Credit Points erreichen. Emotional ist es dagegen wohl schon ein wenig ein verlorenes Semester. Wer im Wintersemester angefangen hat zu studieren, der konnte Punkte und Scheine sammeln, aber ein erstes Semester hat man nur einmal im Leben, und das ist vorbei. Natürlich ist diesen Studierenden etwas vorenthalten worden.
Die Partys werden vermutlich umso fröhlicher nachgeholt... STEINBECK Genau – ich fürchte allerdings, zu Beginn des kommenden Sommersemesters wird es noch nicht gehen.
Wie hat sich die digitale Lehre seit dem Frühjahr entwickelt? STEINBECK Wir sind gut weitergekommen. Den Sommer haben wir genutzt, um die Kapazitäten auf unserer Lernplattform zu verdreifachen, auf der die Unterlagen für die Studierenden bereitgestellt werden. Die Hörsäle sind überwiegend technisch aufgerüstet, so dass Mikrofone und Anschlüsse für Kameras vorhanden sind, wir haben viele Lizenzen für Videokonferenzen gekauft – und eben Hilfskräfte eingestellt für die Dozierenden, die technisch nicht so versiert sind. So haben gleichzeitig einige Studierende Arbeit bekommen. Manche haben ja leider in der Pandemie ihren Nebenjob verloren.
Ihre Auszeichnung haben Sie auch für Krisenmanagement bekommen. Was war in diesem Zusammenhang das Wichtigste?
STEINBECK Ich musste viele Entscheidungen zwar selbst treffen, habe aber in die Entscheidungsfindung immer viele Mitglieder der Universität einbezogen; das hat sich als gut erwiesen. Ich habe in der Krise die Uni noch besser kennengelernt und viele Leute, mit denen ich vorher nicht viel zu tun hatte. Alle wissen unglaublich viel in ihren Bereichen, dieses Wissen muss nur bei der Hochschulleitung ankommen. Die Auszeichnung habe ich also auch stellvertretend für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der HHU erhalten. Es gab viele Menschen, die sich weit über das hinaus engagiert haben, was eigentlich ihre Arbeit ist.
Wie planen Sie die kommenden Semester?
STEINBECK Man kann da nur vorsichtige Prognosen abgeben. Nach heutiger Einschätzung glaube ich, dass wir das Sommersemester planen werden wie ursprünglich auch dieses Wintersemester, mit maximal 50 Personen im Hörsaal und 1,50 Meter Abstand. Dann hoffe ich sehr, dass wir zum nächsten Wintersemester mit den Impfungen und der Entwicklung so weit sind, dass deutlich mehr Menschen in einen Hörsaal kommen können.
Wird nach der Pandemie von der digitalen Lehre etwas übrig bleiben?
STEINBECK Ja, das glaube ich auf alle Fälle. Die klassische Vorlesung hat aus meiner Sicht zwar nach wie vor nicht ausgedient. Aber die Lehre wird sicher vielfältiger werden, beispielsweise mit digitalen Tutorials zur Vorbereitung oder Nachbereitung von Präsenzveranstaltungen.
Erfährt die Wissenschaft durch die Pandemie eine neue Anerkennung? STEINBECK Das hoffe ich sehr. Das Unternehmen, das einen der Corona-impfstoffe entwickelt hat, ist ja beispielsweise eine Ausgründung aus der Universität Mainz, die gefragten Experten wie Christian Drosten sind Universitätswissenschaftler. Gleichzeitig haben sich in den vergangenen Monaten auch Grenzen der Wissenschaftskommunikation gezeigt – etwa im Verständnis dafür, dass Wissenschaft vom Diskurs lebt. Es war für einige Menschen schwer auszuhalten, dass die Forscher nicht immer einer Meinung sind und die Auseinandersetzung brauchen. Nur gibt es eben keine Alternative: Wir haben ja nichts Besseres als die Wissenschaft.
Was wird Ihr wichtigstes Projekt sein, wenn sich nicht mehr alles um Corona dreht?
STEINBECK Das nächste Jahr wird wichtig, denn wir werden den Hochschulentwicklungsplan schreiben, der ab 2022 gilt. Darin legen wir alle bedeutenden Strategien und Leitlinien für fünf Jahre fest: Wollen wir mehr Studierende aufnehmen? Neue Studiengänge eröffnen? Für Forschungsprojekte mehr Eu-drittmitteln einwerben? Diese Fragen müssen im Dialog mit den Fakultäten entschieden werden, es müssen Strukturen entwickelt werden. Antworten darauf lassen sich schwer per Videokonferenz finden. Daher planen wir im Februar einen ersten Strategie-workshop – natürlich mit Abstand. Es wäre wichtig, dass das wirklich klappt.