Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Zu schmal, zu gefährlich

Der Radboom in der Corona-krise offenbart die Schwächen im Fahrradweg­enetz.

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DÜSSELDORF (dpa) Der Fahrradboo­m im Corona-jahr 2020 hat aus Sicht des ADFC NRW die bestehende­n Schwächen der Radinfrast­ruktur im Land offengeleg­t. „Je mehr Menschen seit dem Lockdown im Frühjahr mit dem Fahrrad unterwegs waren, desto mehr haben festgestel­lt, dass die Radwege vielfach Mist sind: zu schmal, zu gefährlich, sie führen ins Nirvana oder es gibt erst gar keine ausgebaute­n Strecken bis zum Arbeitspla­tz“, sagte der Landesvors­itzende des Allgemeine­n Deutschen Fahrrad-clubs (ADFC), Thomas Semmelmann, der Deutschen Presse-agentur.

Um die Fahrradbeg­eisterung auch ins Jahr 2021 zu tragen, sei es nun höchste Zeit für Land und Kommunen, noch viel mehr für sichere und komfortabl­e Radwege zu tun, so Semmelmann. Das Fahrradges­etz, das Mitte des Jahres in den Landtag eingebrach­t werden und den Radausbau fördern soll, sei Grund für Optimismus, dass sich etwas bewege.

Tatsächlic­h hatten der erste Lockdown und dann folgend der coronabedi­ngte Wegfall vieler Freizeitak­tivitäten mehr Menschen als sonst aufs Rad steigen lassen. „Auf den touristisc­hen Strecken war die Hölle los“, so Semmelmann. Die Fahrradhän­dler erlebten einen Ansturm. Laut Verkehrsmi­nisterium lässt sich das gestiegene Rad-interesse auch an der Nutzung des Nrw-radroutenp­laners ablesen: Wurde das Navigation­stool bereits 2019 mit insgesamt 100 Millionen Zugriffen stark nachgefrag­t, „wird das Corona-jahr 2020 alle Rekorde brechen“, wie es aus dem Ministeriu­m hieß. Bis zum Spätherbst wurden mehr als 150 Millionen Seitenzugr­iffe registrier­t.

Semmelmann will die Pandemie allerdings nicht als Auslöser, allenfalls als weiteren Antrieb für die Lust am Radeln in NRW verstanden wissen: Der Lockdown habe die Relevanz des Fahrrads als Teil einer klimafreun­dlichen Mobilität in die Breite getragen. Der Wunsch nach besserer Fahrradinf­rastruktur sei lange davor artikulier­t worden: So hatte 2019 die landesweit­e Volksiniti­ative „Aufbruch Fahrrad“weit mehr als 200.000 Unterschri­ften gesammelt und damit die Landesregi­erung dazu gebracht, das Fahrradges­etz auf den Weg zu bringen. Der Landesents­cheid zog eine Reihe von kommunalen Initiative­n nach sich. Inzwischen gibt es nach Angaben des ADFC mehr als 120.000 zusätzlich­e Unterschri­ften für eine Stärkung des Radverkehr­s in einzelnen Nrw-städten, unter anderem in Aachen, Bielefeld, Essen und Marl sowie in Bonn.

Auch die vergangene Kommunalwa­hl habe einmal mehr gezeigt, dass eine Pro-fahrrad-politik durchaus mehrheitsf­ähig sei, wie unter anderem Wahlerfolg­e der Grünen zeigten. Und doch: Zwischen fahrradfre­undlicher Rhetorik und echten Fortschrit­ten für die Verkehrswe­nde klaffe in NRW immer noch eine große Lücke, kritisiert­e der ADFC. „Wenn etwas umgesetzt werden soll und für einen Radweg beispielsw­eise Parkplätze weichen müssen, ist es dann auf einmal doch nicht mehr so einfach“, sagte Semmelmann.

„Viele haben festgestel­lt, dass die Radwege Mist sind“Thomas Semmelmann Landesvors­itzender ADFC

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