Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Ein Jahr Bonpflicht – was daraus wurde
Seit Anfang 2020 müssen Händler Kunden einen Beleg anbieten, egal bei welcher Kaufsumme. Die Bilanz der NRWGewerbetreibenden fällt durchwachsen aus. Immerhin: Die Pflicht zu neuen Kassensystemen wurde aufgeschoben.
DÜSSELDORF Erinnern Sie sich noch? Anfang vergangenen Jahres schlug die Wut im Einzelhandel hohe Wellen. Der Handel war dazu verdonnert worden, bei jedem Bezahlvorgang dem Kunden einen Bon anzubieten, selbst wenn der Kunde nur ein Brötchen gekauft hatte. Mit der Pflicht zum Kassenbon und dem Zwang zum Einbau eines manipulationssicheren technischen Sicherheitssystems, kurz: TSE, wollte das Bundesfinanzministerium den Steuerbetrug eindämmen. Konkret stellte man sich das so vor: Die Prüfnummer auf dem Bon gilt als Signatur für das digitale Kassenbuch, aus dem die Steuerprüfer alle Einnahmen eines Betriebs ersehen und nachvollziehen können sollen.
Und nun? Jetzt, zwölf Monate später, bleibt die Erkenntnis, dass die Corona-pandemie auch bei diesem Thema vieles verändert hat. Denn für die Ausrüstung der Kassensysteme mit einem TSE gibt es – unter anderem in Nordrhein-westfalen – noch eine Schonfrist für Geschäftsinhaber: Wer nachweisen kann, dass er das technische Equipment bis Ende September bestellt und keine Chance hatte, rechtzeitig eine cloudbasierte TSE zu bekommen, muss die Umstellung erst zum 31. März 2021 vollzogen haben, ein halbes Jahr später als zuletzt geplant also. Die Begründung von NRW-FInanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) – mit Seitenblick auf den Bundesfinanzminister: „Wir tun in diesen Monaten der Corona-pandemie alles, um unserer Wirtschaft durch diese Zeit zu helfen. Meine Kollegen und ich sind uns einig: Bürokratische Hürden aus dem Hause Scholz wären aktuell absolut kontraproduktiv.“Auch drei Monate nach dem Ablauf der ersten Frist wird also in NRW und in den meisten anderen Bundesländern noch niemand belangt, wenn er eine derartige TSE noch nicht hat einbauen lassen.
Im Handel hat sich der Unmut über das Bürokratiemonster, das Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) aus Sicht der Branche geschaffen hat, trotzdem noch nicht gelegt. Vor dem Start der Bonpflicht schwebten gedanklich schon Milliarden von Kassenzetteln wie ein Damoklesschwert über Bäckern, Metzgern und anderen. Immerhin wurde die Pflicht zum Beleg letzten Endes nicht an gedrucktes Papier gebunden: Wer Waren verkauft, kann den Kassenzettel auch mailen oder auf das Handy des Kunden schicken.
Dass auch eine solche elektronische Variante des Kassenzettels möglich sein soll, hat dazu geführt, dass Gründerunternehmen Marktchancen sahen. Die Start-ups tragen so klangvolle Namen wie Anybill, Green Bill, Epap und Wunderbon; Letzteres stammt aus dem rheinischen Monheim. Bei einigen dieser Unternehmen haben Tausende die App heruntergeladen und Bons gespeichert. Aber der große Durchbruch ist bisher keinem wirklich gelungen. Dabei soll der Digitalbon unter anderem die Umwelt schonen und die Kosten senken.
Zumindest in der Theorie. In der Praxis gibt es den Zettel vielfach weiter auf Papier, und das wandert meist in den Papierkorb. „Immer noch werden viele Bons umsonst ausgedruckt, weil die Kunden sie gar nicht haben wollen“, sagt Henning Funke, Geschäftsführer beim Verband des Rheinischen Bäckerhandwerks. Höchstens drei Prozent der Kunden nähmen den Beleg mit, heißt es. Deren Interesse sei begrenzt, am Digitalbon wie an der Papiervariante. Und so verbraucht mancher Händler seit Einführung der Bonpflicht relativ nutzlos das Sechsfache an Kassenrollen – in der Summe zig Kilometer Papier. Dabei seien die digitalen Bons zulässig und einfach zu handhaben, so Funke: „Der Kunde muss ja nur den Qr-code scannen, und schon hat er den Bon auf seinem Smartphone.“Kassensysteme zeichneten jede Transaktion auf, die dann auf Festplatte, USB oder in einer Cloud gespeichert werde.
Der Handel hat zwar derzeit durch Corona weitaus größere Sorgen als die Bonpflicht, aber in der Krise ist sie natürlich ein zusätzliches Hemmnis:„wer hätte noch vor elf Monaten geahnt, dass das Thema Bonpflicht aktuell im Handel zu den geringsten Problemen gehört? Wer jetzt noch an derartigen Bürokratismen hängt, dem ist nicht mehr zu helfen“, sagt Peter Achten, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes NRW, unserer Redaktion.
Die Argumentation des Bundesfinanzministers bleibt dieselbe: Kassensysteme können manipulierbar sein. Gewerbetreibende könnten ihre Umsätze fälschen und so weniger Steuern zahlen. Immerhin wird der jährliche Schaden in Deutschland durch fehlende Buchungen, manipulierte Kassen und falsch rechnende Programme von Finanzämtern und der Deutschen Steuer-gewerkschaft bisher auf bis zu zehn Milliarden Euro geschätzt. Da kann auch ein Finanzminister schon mal ins Grübeln kommen.