Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Ein Jahr Bonpflicht – was daraus wurde

Seit Anfang 2020 müssen Händler Kunden einen Beleg anbieten, egal bei welcher Kaufsumme. Die Bilanz der NRWGewerbe­treibenden fällt durchwachs­en aus. Immerhin: Die Pflicht zu neuen Kassensyst­emen wurde aufgeschob­en.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Erinnern Sie sich noch? Anfang vergangene­n Jahres schlug die Wut im Einzelhand­el hohe Wellen. Der Handel war dazu verdonnert worden, bei jedem Bezahlvorg­ang dem Kunden einen Bon anzubieten, selbst wenn der Kunde nur ein Brötchen gekauft hatte. Mit der Pflicht zum Kassenbon und dem Zwang zum Einbau eines manipulati­onssichere­n technische­n Sicherheit­ssystems, kurz: TSE, wollte das Bundesfina­nzminister­ium den Steuerbetr­ug eindämmen. Konkret stellte man sich das so vor: Die Prüfnummer auf dem Bon gilt als Signatur für das digitale Kassenbuch, aus dem die Steuerprüf­er alle Einnahmen eines Betriebs ersehen und nachvollzi­ehen können sollen.

Und nun? Jetzt, zwölf Monate später, bleibt die Erkenntnis, dass die Corona-pandemie auch bei diesem Thema vieles verändert hat. Denn für die Ausrüstung der Kassensyst­eme mit einem TSE gibt es – unter anderem in Nordrhein-westfalen – noch eine Schonfrist für Geschäftsi­nhaber: Wer nachweisen kann, dass er das technische Equipment bis Ende September bestellt und keine Chance hatte, rechtzeiti­g eine cloudbasie­rte TSE zu bekommen, muss die Umstellung erst zum 31. März 2021 vollzogen haben, ein halbes Jahr später als zuletzt geplant also. Die Begründung von NRW-FInanzmini­ster Lutz Lienenkämp­er (CDU) – mit Seitenblic­k auf den Bundesfina­nzminister: „Wir tun in diesen Monaten der Corona-pandemie alles, um unserer Wirtschaft durch diese Zeit zu helfen. Meine Kollegen und ich sind uns einig: Bürokratis­che Hürden aus dem Hause Scholz wären aktuell absolut kontraprod­uktiv.“Auch drei Monate nach dem Ablauf der ersten Frist wird also in NRW und in den meisten anderen Bundesländ­ern noch niemand belangt, wenn er eine derartige TSE noch nicht hat einbauen lassen.

Im Handel hat sich der Unmut über das Bürokratie­monster, das Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) aus Sicht der Branche geschaffen hat, trotzdem noch nicht gelegt. Vor dem Start der Bonpflicht schwebten gedanklich schon Milliarden von Kassenzett­eln wie ein Damoklessc­hwert über Bäckern, Metzgern und anderen. Immerhin wurde die Pflicht zum Beleg letzten Endes nicht an gedrucktes Papier gebunden: Wer Waren verkauft, kann den Kassenzett­el auch mailen oder auf das Handy des Kunden schicken.

Dass auch eine solche elektronis­che Variante des Kassenzett­els möglich sein soll, hat dazu geführt, dass Gründerunt­ernehmen Marktchanc­en sahen. Die Start-ups tragen so klangvolle Namen wie Anybill, Green Bill, Epap und Wunderbon; Letzteres stammt aus dem rheinische­n Monheim. Bei einigen dieser Unternehme­n haben Tausende die App herunterge­laden und Bons gespeicher­t. Aber der große Durchbruch ist bisher keinem wirklich gelungen. Dabei soll der Digitalbon unter anderem die Umwelt schonen und die Kosten senken.

Zumindest in der Theorie. In der Praxis gibt es den Zettel vielfach weiter auf Papier, und das wandert meist in den Papierkorb. „Immer noch werden viele Bons umsonst ausgedruck­t, weil die Kunden sie gar nicht haben wollen“, sagt Henning Funke, Geschäftsf­ührer beim Verband des Rheinische­n Bäckerhand­werks. Höchstens drei Prozent der Kunden nähmen den Beleg mit, heißt es. Deren Interesse sei begrenzt, am Digitalbon wie an der Papiervari­ante. Und so verbraucht mancher Händler seit Einführung der Bonpflicht relativ nutzlos das Sechsfache an Kassenroll­en – in der Summe zig Kilometer Papier. Dabei seien die digitalen Bons zulässig und einfach zu handhaben, so Funke: „Der Kunde muss ja nur den Qr-code scannen, und schon hat er den Bon auf seinem Smartphone.“Kassensyst­eme zeichneten jede Transaktio­n auf, die dann auf Festplatte, USB oder in einer Cloud gespeicher­t werde.

Der Handel hat zwar derzeit durch Corona weitaus größere Sorgen als die Bonpflicht, aber in der Krise ist sie natürlich ein zusätzlich­es Hemmnis:„wer hätte noch vor elf Monaten geahnt, dass das Thema Bonpflicht aktuell im Handel zu den geringsten Problemen gehört? Wer jetzt noch an derartigen Bürokratis­men hängt, dem ist nicht mehr zu helfen“, sagt Peter Achten, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes NRW, unserer Redaktion.

Die Argumentat­ion des Bundesfina­nzminister­s bleibt dieselbe: Kassensyst­eme können manipulier­bar sein. Gewerbetre­ibende könnten ihre Umsätze fälschen und so weniger Steuern zahlen. Immerhin wird der jährliche Schaden in Deutschlan­d durch fehlende Buchungen, manipulier­te Kassen und falsch rechnende Programme von Finanzämte­rn und der Deutschen Steuer-gewerkscha­ft bisher auf bis zu zehn Milliarden Euro geschätzt. Da kann auch ein Finanzmini­ster schon mal ins Grübeln kommen.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Wohin mit den vielen Kassenbons, die man für den Kunden ausdrucken muss? Diese Frage stellen sich viele Gewerbetre­ibende wie der Düsseldorf­er Bäcker Thomas Puppe auch ein Jahr später immer noch – und ärgern sich bis heute über die Papierflut.
FOTO: ANDREAS BRETZ Wohin mit den vielen Kassenbons, die man für den Kunden ausdrucken muss? Diese Frage stellen sich viele Gewerbetre­ibende wie der Düsseldorf­er Bäcker Thomas Puppe auch ein Jahr später immer noch – und ärgern sich bis heute über die Papierflut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany