Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Wir jammern auf höchstem Niveau“
ECKART VON HIRSCHHAUSEN Der Tv-entertainer fühlt sich in der Corona-krise in Deutschland gut aufgehoben. Heute startet die zweite Staffel seiner WDR-SHOW.
In Ihrer ersten Sendung der neuen Staffel ist ein Covid-19-genesener zu Gast: Lässt sich dem Thema noch Neues abgewinnen?
VON HIRSCHHAUSEN Jede Menge! Ich hatte ja zu Beginn der Pandemie für meine WDR-DOKU „Hirschhausen auf Intensiv“im Universitätsklinikum Bonn drehen dürfen. Dort erlebte ich mit, wie einer der ersten Covid-19-patienten der Region über Wochen mit schwersten Lungenschäden beatmet werden musste. Dieser Mann, Jörg Pütz, ist der erste Gast bei „Hirschhausens Sprechstunde“. Als ich Jörg Pütz das erste Mal sah, schwebte er zwischen Leben und Tod. Dass er sich so gut erholt hat und dass ich ihn so munter wiedersehen darf, ist mir eine große Freude und grenzt an ein Wunder. Ihm und seiner ganzen Familie ist es ein Herzensanliegen, über die Gefahren des Virus zu berichten.
Insgesamt ist eine gewisse Müdigkeit festzustellen, sich mit Corona und den Folgen zu befassen, und sich an die Regeln zu halten. Empfinden Sie das auch so?
VON HIRSCHHAUSEN Durchaus. Vielen fehlt die Perspektive, weil klar geworden ist, dass es kein schnelles „Zurück zur Normalität“gibt. Aber diese Normalität war eben auch weder normal noch gesund. Statt zu jammern, könnten wir die Zeit nutzen, darüber zu sprechen, wie wir wirklich leben wollen: wie nutzen wir diesen gesellschaftlichen Umbruch, um endlich nachhaltiger, enkeltauglicher und gesünder zu leben und zu wirtschaften? Und welche Neubewertung von Berufen tut uns allen gut? Pflege geht nun mal nicht aus dem Homeoffice.
Wie stark hat Corona Ihren beruflichen Alltag verändert?
VON HIRSCHHAUSEN Die ganze Kulturbranche kam ja von einem Tag auf den anderen unter die Räder. Meine ausverkaufte Bühnentour wurde abgesagt und verschoben. Besonders hart trifft es all die „unsichtbaren“Berufsgruppen auch in meiner Crew, denn damit man jemanden im Rampenlicht auf der Bühne erleben kann, braucht es all die Profis, die Bühnen auf- und abbauen, Licht setzen, Lautsprecherboxen einpegeln, und auch alle, die Getränke verkaufen, Tickets abreißen oder vorher das Booking, die Orga, die Pressearbeit und das Crew-catering machen – um nur einige zu nennen. Viele suchen sich jetzt notgedrungen neue Jobs und sind dann, wenn es irgendwann wieder weitergehen sollte, nicht mehr da. Die gesamte Veranstaltungsbranche ist in Deutschland der sechstgrößte Wirtschaftszweig, mit 1,7 Millionen Menschen, etwa 130 Milliarden Euro Umsatz und entsprechend viel gezahlten Steuern. Daran gemessen ist es absurd, wie wenig von den Konjunkturprogrammen mit der Lebenswirklichkeit von Künstlerinnen und Künstlern zusammenpasste. Wir erübrigen Milliarden Steuergelder, um historisch überholte und klimatechnisch höchst toxische Branchen wie die Kohleindustrie zu subventionieren, oder versuchen vergebens, die Lufthansa mit Milliarden zu „retten“.
Kultur ist auch systemrelevant.
VON HIRSCHHAUSEN Gesundheit geht vor. Klar. Gesundheit ist aber nicht nur die Abwesenheit von Viren und Krankheit. Seelische Gesundheit beruht vor allem auf sozialem Austausch mit anderen, auf geistiger und räumlicher Nähe und gemeinsamen positiven Erlebnissen. Wir können uns nicht selber kitzeln und auch nicht selber auf oder in den Arm nehmen. Menschen wollen zusammen staunen, lachen und ergriffen sein von Musik, Literatur, Kabarett. Das ist kein entbehrlicher Pipifax, sondern ein Grundbedürfnis, das die Gesellschaft zusammenhält. Was für eine traurige Gesellschaft, in der jeder für sich alleine auf dem Bett liegt und auf Bildschirme starrt. Vor dem Monitor gibt es nur Gänsehaut, wenn man ins Kabel beißt.
Haben Sie als medizinisch vorgebildeter Entertainer vielleicht sogar profitiert, weil Ihre Expertise noch mehr gefragt war und ist?
VON HIRSCHHAUSEN Tatsächlich habe ich meine Expertise in der Vermittlung eingesetzt. Dafür habe ich eins der ersten Erklärvideos zum Sinn der Masken in meinem Youtube-studio produziert, was mehr als eine Million Menschen erreicht hat. Und aktuell drehe ich zusammen mit dem WDR eine neue Doku über die Entwicklung von neuen Impfstoffen und bin selber Proband in einer Studie. Ich habe das Glück, dass ich immer verschiedene Berufe gleichzeitig ausübe. So konnte ich die Zeit nutzen, mehr Fernsehen zu machen, ein Buch zu schreiben zum Thema Klimawandel und Gesundheit und eine neue Stiftung zu gründen: „Gesunde Erde – gesunde Menschen“. Die Pandemie ist Ausdruck einer viel größeren Krise: Wir zerstören gerade die Lebensgrundlage für Menschen, Tiere und Natur. Diese Krisen gehören zusammen betrachtet und angegangen. Corona fiel nicht vom Himmel, sondern ist der Preis, den wir zahlen, wenn wir weiterhin kranke Wildtiere jagen, handeln und essen.
Fühlen Sie sich insgesamt, was das Management der Krise angeht, in Deutschland gut aufgehoben?
VON HIRSCHHAUSEN Nicht alles läuft gerade rund, keine Frage. Aber wir jammern auf höchstem Niveau. Ich möchte weder gesund noch krank in einem anderen Land leben. Wir haben erlebt, dass Politik auf Virologen hören kann und wir sehr viel besser dran sind als Länder, die Wissenschaft ignorieren. Ich wünsche mir, dass wir daraus lernen, auch in Zukunft gesellschaftliche Entscheidungen nicht nach Umfrageergebnissen, sondern nach Evidenz zu treffen. Und dazu gehört zum Beispiel, endlich mit dem Kohleausstieg ernst zu machen.
Welche Erkenntnisse haben Sie aus dem Corona-jahr für sich gezogen? VON HIRSCHHAUSEN Wir sind verletzlicher, als wir geglaubt haben. Die Gruppen, die es am heftigsten trifft, sind immer die gleichen, ob bei Corona oder Klima: die Armen, die Alten, die Kranken und Schwächsten. Aber Fakten alleine überzeugen nicht. Der Wert von kluger Kommunikation wird weiterhin unterschätzt von Politik und Wissenschaft. Dabei muss man Unsicherheit aushalten und dazulernen dürfen. Wir wissen immer erst hinterher, wie gut wir es hatten. Und was Gesundheit wert ist. Gegen Viren können wir immun werden, gegen Hitze, Hunger und Kriege nicht.
Und mit welchem Gefühl blicken Sie auf das kommende Jahr?
VON HIRSCHHAUSEN Es wird besser als 2020. Muss ja, oder? Auch wenn wir noch einige Monate brauchen, freue ich mich auf neue Freiheiten im Sommer, auf Live-konzerte, auf andere Themen und ganz einfach darauf, in Menschen, die einem begegnen, nicht zuerst den Superspreader zu vermuten, sondern den Mitmenschen.
Info „Hirschhausens Sprechstunde“, neue Folgen ab 4. Januar, immer montags, WDR, 20.15 Uhr; Gäste sind unter anderem Reiner Calmund, Wigald Boning, Lisa Ortgies und Torsten Sträter.