Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Detektivarbeit für die Gesundheit
ORSCHUNG IN DÜSSELDORF Das Uniklinikum besitzt das größte Register über eine bösartige Bluterkrankung und kooperiert mit Medizinern weltweit.
Düsseldorf In der Wissenschaft gehört der grenzenlose Gedankenaustausch, die internationale Zusammenarbeit zum Arbeitsalltag. Gute Beziehungen, Netzwerke sind selbstverständlich. Das gilt in besonderem Maße für Mediziner des Düsseldorfer Uniklinikums, die sich auf die Erforschung der bösartigen Bluterkrankung MDS, eine gefährliche Fehlfunktion im Knochenmark, spezialisiert haben. Sie versorgen Kollegen rund um den Globus mit Gewebeproben und Daten für deren Projekte. Denn das Klinikum besitzt weltweit das größte Register zu dieser Erkrankung – mit Informationen über 8500 Mds-patienten. Ein Datenschatz, der seit Jahrzehnten kontinuierlich erweitert wird.
Seit fast 40 Jahren werden am Klinikum Knochenmarkproben und detaillierte Informationen über den Krankheitsverlauf von Mds-patienten gesammelt. Das sei gelegentlich wahre Detektivarbeit. „Unser Team fragt telefonisch nach, wie sich der Gesundheitszustand entwickelt, recherchiert Krankenunterlagen oder bittet Patienten auch in die Klinik, damit wir uns vor Ort ein Bild machen können“, erläutert Ulrich Germing.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Norbert Gattermann (beide sind Professoren und Oberärzte an der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Klinische Immunologie) betreut er heute das von der Krebshilfe geförderte Register und hat soeben mal wieder für ein Forschungsprojekt in New York hunderte Gewebeproben und (anonymisierte) Patientendaten geliefert.
Über die Ursachen dieser Erkrankung ist noch zu wenig bekannt, auch fehlen effektive Behandlungsmethoden. Als bewiesen gilt: MDS (Myelodysplastisches Syndrom) ist eine bösartige Veränderung der Stammzellen im Knochenmark. In der Folge werden zu wenig funktionstüchtige Blutzellen gebildet. Das geschieht, wenn sich Gene dieser Zellen, die eigentlich eine Wächterfunktion haben, im Laufe des Lebens krankhaft verändern. Deshalb betrifft diese Erkrankung in den meisten Fällen ältere Menschen. Aber nicht nur. Das Düsseldorf Forscherteam will auch die Ursachen bei jüngeren Patienten ergründen. „Wir gehen davon aus, dass etwa zehn Prozent infolge einer Chemooder Strahlentherapie erkranken“, so Germing.
Das Uni-klinikum unterstützt mit seinem Datenschatz immer wieder Forscher in anderen Ländern, pflegt vor allem Kooperationen mit Kollegen in Italien und Spanien, oder wie soeben in New York. Dort haben Mediziner die Funktion der wichtigsten Wächter-gene untersucht, die dafür zuständig sind, genetische Unfälle in Zellen zu erkennen und eine Reparatur zu organisieren.
Die neueste Erkenntnis: Wenn beide Exemplare des zuständigen Gens nicht funktionieren, entsteht Chaos in den Zellen. Betroffene Patienten haben dann ein hohes Risiko, an einer akuten Leukämie zu erkranken – und daran zu sterben. „Studien wie diese sind im Klinikalltag relevant, weil sie uns Prognosen erleichtern und uns dabei helfen, abzuschätzen, wie ein Patient auf eine Therapie reagiert“, so Ulrich Gattermann.
Ihm ist es vor 15 Jahren gelungen, eine bisher nicht bekannte Ausprägung der Erkrankung zu definieren. Auch bei dieser Arbeit erwiesen sich die Daten aus dem hauseigenen Register als hilfreich. Als einen Fortschritt für seine Forschung bezeichnet er die Kooperation mit dem Institut für Humangenetik des Uniklinikums, die es ermöglicht, durch aufwändige Techniken Merkmale der Erkrankung auf molekularer Ebene zu entdecken. „Solche Erkenntnisse sind nicht mehr nur mithilfe des Mikroskops möglich“, so Gattermann. Die gute Nachricht: Seit zwei Jahren sei bekannt, dass gegen diese besondere Form von MDS ein erfolgversprechendes Medikament existiert.
Mehr über die Funktion der Wächtergene zu wissen, ist auch deshalb von Bedeutung: Eine Fehlfunktion begünstigt offenbar nicht nur das Entstehen von akuter Leukämie, sondern auch anderer Krebsarten. Außerdem sind die Forschungsergebnisse hilfreich, um das individuelle Risiko von Patienten besser einschätzen zu können, „ob man vielleicht erst mal abwarten kann oder schnellstmöglich handeln muss“, so Germing.
Bei MDS ist eine Stammzellen-transplantation die Therapie, die die größten Erfolge verspricht. Allerdings ist sie in der Regel nur bis zum 65. Lebensjahr möglich, „weil die Prozedur extrem belastend und für ältere Menschen einfach zu gefährlich ist“, so Ulrich Germing. Deshalb sieht er zwei große Ziele der Düsseldorfer Forschung: eine exaktere Prognose des Krankheitsverlaufs und die Entwicklung neuer Therapien.