Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Gekämpft, gehofft und doch verloren
Mehr als 130 Menschen sind 2020 in Düsseldorf nach einer Corona-infektion gestorben. Einer von ihnen ist Rudolf Krell.
UNTERRATH Leicht war es für Rudolf Krell eigentlich nie. Nicht am Anfang seines Lebens, als er Ende der 1930er in ein von den Nationalsozialisten geprägtes Land hineingeboren wurde. Und nicht am Ende, als seine beiden Kinder wegen der Corona-pandemie nicht bei ihm sein konnten.
Am 11. November starb er mit 82 Jahren in einem Düsseldorfer Krankenhaus an den Folgen einer Covid-19-erkrankung – und ging als einer von vielen in die Statistik dieser Pandemie ein. 132 Todesfälle in Folge einer Corona-infektion gibt es in der Landeshauptstadt zu beklagen, damit starb mehr als jeden dritten Tag des Jahres 2020 ein Düsseldorfer an Covid-19. Ihre Zahl wird jeden Tag vermeldet, ihre Namen kennt man jedoch in aller Regel nicht. Stellvertretend dafür Rudolf Krells Geschichte zu erzählen, ist auch ein Versuch, diesen Toten ein Gesicht zu geben.
Am 26. März 1938 kam er zur Welt, seine Mutter stammte aus Ostpreußen, der Vater aus Düsseldorf. Er hatte eine Schwester, die Familie lebte in Unterrath. Ihren Vater, der ebenfalls Rudolf hieß, lernten die Geschwister nie richtig kennen. Er wurde eingezogen und kehrte aus dem Krieg nicht mehr zurück, er gilt bis heute als an der Ostfront vermisst. 1944 wurden die Mutter und ihre beiden Kinder nach Altburgund in Westpreußen evakuiert, sie kamen nach Kriegsende in ein Internierungslager der russischen Armee. Krell wurde für die Arbeit in einer Schreinerei eingeteilt – und für drei Jahre von Mutter und Schwester getrennt.
Diese Zeit, so erzählt es seine Tochter Barbara, hat Rudolf Krell zeitlebens geprägt. Schon als kleiner Junge musste er Schlimmes mitansehen, etwa dabei helfen, die Leichen derjenigen fortzubringen, die Überlastung, Hunger und Krankheiten nicht standhalten konnten. Erst 1948 kehrte die Familie nach Düsseldorf zurück. Viel gesprochen hat er nie über das, was er erlebte. Aber es hat Spuren hinterlassen. Gefühle zu zeigen, fiel ihm stets ziemlich schwer.
Leichter ging ihm die Arbeit von der Hand, vom Maschinenschlosser arbeitete er sich zum Immissionsschutzbeauftragten bei Mannesmann hoch, baute für die Familie das erste Fertighaus von Unterrath. 1996 ging er in den Vorruhestand, doch die Ruhe, die lag ihm nicht: Er machte weiter Betriebsführungen und trat dem Rheinischen Schützenbund bei, engagierte sich in der Jugendarbeit. Die Siegerehrungen, Glanz und Prunk beim Königsball, große Gesten fielen ihm leicht.
Wie die roten Rosen und Sekt zum Frühstück zu jedem Hochzeitstag mit seiner Gisela. Ein gutes Team waren sie, er, der Macher, der General, wie ihn die Kinder manchmal scherzhaft nannten, sie, die die Familie zusammenhielt, vermittelte und beruhigte. Beide liebten sie ihren Garten, säten, pflanzten, ernteten – und hinterher ein Glas Rotwein auf der Terrasse. Gisela und Rudolf Krell waren 58 Jahre verheiratet, eine lange Zeit, aber nicht ungewöhnlich für ihre Generation. Ungewöhnlicher war dann schon, was von ihnen erzählt wird: Sie haben sich wirklich geliebt, in guten wie in schlechten Zeiten, auch dann, als es ihnen gesundheitlich immer schlechter ging. Sie Parkinson, er Herzinfarkte, Diabetes, ein Schlaganfall.
Er pflegte sie zu Hause, vor zwei Jahren musste er sich eingestehen: Es geht nicht mehr. Sie kam ins Altersheim, es fiel ihm unendlich schwer. Jeden Tag kam er vorbei, zwei Mal, die Kinder kamen dazu, so oft sie konnten. Eines der letzten
Fotos zeigt die beiden an ihrem 58. Hochzeitstag. Sie im Rollstuhl, zart, ganz weiße Haare, er steht dahinter, groß und kräftig und viel jünger wirkend. Im Februar 2019 starb Gisela Krell, er kam nie darüber hinweg.
Ihre Sachen sind immer noch da.
Zur Ruhe kam er auch jetzt nicht, seine eigenen Krankheiten holten ihn ein. Im Februar wurde eine akute Herzschwäche diagnostiziert, dazu Lymphdrüsenkrebs. Immer mal wieder durfte er für ein paar Tage nach Hause, hoffte, dass es ihm doch noch einmal besser gehen würde. Dann war es fast geschafft, nur noch ein paar Wochen Reha-klinik, Zweibettzimmer. Regelmäßig wurde er auf das Coronavirus getestet, immer negativ. Doch dann, drei Tage vor der Entlassung, war der Bettnachbar positiv, zwölf Stunden lang waren die beiden in einem Raum. Drei Tage nach der Entlassung ging es ihm schlechter, dann sagte er: „Ich kann nicht mehr.“
Als er in den Krankenwagen geschoben wurde, sah ihn seine Tochter zum letzten Mal. Er weinte, sagte: „Ich wollte doch nicht mehr ins Krankenhaus.“Eine schwere Lungenentzündung wurde diagnostiziert, dann wurden auch noch Bakterien im Blut gefunden. Am 11. November abends kam der Anruf, dass er auf die Intensivstation verlegt wird. Dann musste die Ärztin plötzlich auflegen, weil es einen Notfall auf Station gab. Es war Rudolf Krell, er hat es nicht geschafft. Seine Kinder konnten nicht bei ihm sein, ihm nicht die Hand halten, kein normaler Abschied, kein richtiges Ende.
Am 19. November wurde er auf dem Unterrather Friedhof neben seiner Gisela beerdigt. 14 Personen durften in der Kapelle dabei sein, alle mit Maske, aber ohne Umarmung. Er hätte sich mehr Brimborium gewünscht.
„Gekämpft, gehofft und doch verloren“, haben seine Kinder auf die Traueranzeige in der Zeitung geschrieben. Und: „Du bist gegangen, die Erinnerung bleibt.“
AKTION AM RATHAUS