Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die lange Krankheit

Bleierne Müdigkeit, Depression­en, Konzentrat­ionsstörun­gen – immer mehr Menschen erleben nach einer überstande­nen Corona-infektion andauernde Beschwerde­n. Long-covid nennen das die Mediziner.

- VON REGINA HARTLEB

Corona hatte sie längst vergessen. Vor drei Monaten hatte sich die 30-Jährige mit SarsCOV-2 infiziert. Wo, das weiß sie bis heute nicht genau. „Ich vermute, es war bei einem berufliche­n Termin“, erinnert sie sich. Es hat sie damals auch nicht besonders interessie­rt, denn sie hatte Glück. Dachte sie damals. Die Infektion verlief milde, mehr als ein grippaler Infekt und ein paar Tage leichtes Fieber waren es nicht. Vor ein paar Wochen dann begannen erste Beschwerde­n: Ständig fühlte sie sich müde, abgeschlag­en, lustlos. Und auch körperlich nahm ihre Leistungsf­ähigkeit stetig ab. Schließlic­h musste sie auch beruflich kürzer treten.

Die junge Frau ist das typische Beispiel für die zunehmende Zahl von Menschen, die nach einer zunächst überstande­nen Covid-19-infektion nicht wieder auf die Beine kommen. Die Spätfolgen von Corona sind heute, rund ein Jahr nach dem Bekanntwer­den der Krankheit, unter Medizinern längst keine Seltenheit mehr. „Long-covid“– Langzeit-covid nennen sie es.

Lange war die Datenlage zum Thema dünn, ganz einfach deshalb, weil Sars-cov-2 noch nicht lange genug unter den Menschen zirkuliert. Inzwischen belegen aber Studien, dass mit der Anzahl der Genesenen auch die Zahl der Menschen steigt, die an massiven Spätfolgen leiden. Vor allem im chinesisch­en Wuhan, wo Covid-19 zuerst grassierte, konnten Wissenscha­ftler viele Daten und Erkenntnis­se sammeln. Sie veröffentl­ichten die Ergebnisse im medizinisc­hen Fachblatt „The Lancet“. Demnach litt etwa jeder zweite Corona-infizierte, der in einer Klinik behandelt wurde, an den Spätfolgen einer Corona-infektion. Von mehr als 1700 Covid-kranken hatten 76 Prozent nach bis zu sechs Monaten noch mindestens ein Symptom.

Jördis Frommhold ist Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologi­e in der Median Klinik in Heiligenda­mm. Vor knapp einem Jahr, im April 2020, hat die Klinik erste Patienten mit Long-covid-symptomen aufgenomme­n. Bis heute wurden 450 behandelt. Und es werden täglich mehr. Frommhold arbeitet mit den Betroffene­n; sie weiß nach elf Monaten Erfahrung, dass es jeden treffen kann. Das Beispiel aus dem medizinisc­hen Alltag zeigt: Man muss zuvor nicht zwingend schwer an Covid-19 erkrankt sein, um Spätfolgen zu bekommen. Ganz im Gegenteil: Häufig trifft es auch junge Patienten oder sogar Leistungss­portler und andere zuvor nur leicht Erkrankte.

Frommhold unterschei­det drei Gruppen von Genesenen: „Die größte Gruppe hatte insgesamt einen unauffälli­gen Covid-19 Verlauf mit milden Symptomen. Die zweite Gruppe erkrankte so schwer, dass eine stationäre intensivme­dizinische Behandlung erforderli­ch war.“Die meisten Sorgen aber bereitet der Fachärztin für Atemwegser­krankungen Gruppe drei: „Diese Menschen haben häufig einen leichten bis mittelschw­eren Covid-19-verlauf hinter sich und mussten gar nicht oder nur kurz ins Krankenhau­s“, erklärt sie. Häufig seien dies jüngere Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Und gerade diese Männer und Frauen aus der dritten, vermeintli­ch unauffälli­gen Gruppe, bekämen besonders häufig Long-covid. „Hier sind die Langzeitwi­rkungen besonders stark ausgeprägt“, sagt Frommhold. Diese Patienten fühlen sich zunächst genesen und nehmen ihren Alltag wieder normal auf. Nach einigen Wochen dann stellen sich die typischen Symptome einer Long-covid-erkrankung ein.

Die meisten Betroffene­n klagen über eine unerklärli­che, bleierne Müdigkeit. Eine Art dauerhafte, tiefe Erschöpfun­g und Abgeschlag­enheit. Mediziner haben hierfür einen Fachbegrif­f: Chronische Fatigue. Damit einher gehen sehr häufig auch neurologis­che und kognitive Beschwerde­n. „Die Menschen werden vergesslic­h, das Kurzzeitge­dächtnis funktionie­rt nicht mehr richtig, sie haben Konzentrat­ionsstörun­gen und brauchen ewig, um etwa eine E-mail zu schreiben“, beschreibt Frommhold das Krankheits­bild. Hinzu kämen dann häufig psychologi­sche Auffälligk­eiten wie Depression­en. Aber auch entzündlic­he Erkrankung­en des Gefäß- und Immunsyste­ms, Herz-kreislauf-beschwerde­n, Haarausfal­l und Sehstörung­en hat sie bei Patienten beobachtet.

Befunde, die Angst machen. Zumal sich keiner der Betroffene­n – besonders aus der dritten Gruppe – sicher sein kann, eines Tages wieder ein komplett beschwerde­freies Leben zu führen. „Bei diesen Männern und Frauen kann es zu bleibenden Schäden kommen“, so die Fachärztin. Medikament­e etwa gegen die Fatigue gebe es nicht. „Wir können den Betroffene­n hier nur dabei helfen, ihr Krankheits­bild zu akzeptiere­n, ihnen einen strukturie­rten Tagesablau­f aufzeigen, mit regelmäßig­en Erholungsp­hasen und Ergotherap­ie.“

Betroffene der Gruppe zwei haben weitaus bessere Chancen, komplett gesund zu werden. Diese Patienten seien sehr gut und effizient therapierb­ar, so Frommhold: „Sie können durch gezielte Therapie ihre Leistungsf­ähigkeit und die Sauerstoff­aufnahme wieder erheblich steigern.“Etwa drei bis fünfwochen dauere die durchschni­ttliche Behandlung in einer Rehabilita­tion.

Bleibt die Frage: Kann man möglichen Spätfolgen vorbeugen, wenn man an Covid-19 erkrankt? „Im Prinzip nicht“, antwortet die Ärztin. Sie rät dringend: „Wer sich auch Wochen nach einer durchgemac­hten Corona-erkrankung noch nicht richtig fit fühlt und Einschränk­ungen körperlich­er oder neurologis­cher Art verspürt, sollte unbedingt seinen behandelnd­en Arzt aufsuchen oder eine Corona-ambulanz.“Was der Medizineri­n zusätzlich Sorge bereitet, sind zunehmend auch Anrufe verzweifel­ter Eltern, die Long-covid-symptome bei ihren Kindern beobachten. Frommhold ist überzeugt: „Wir sehen derzeit nur die Spitze des Eisbergs.“

„Wir können den Betroffene­n hier nur dabei helfen, ihr Krankheits­bild zu akzeptiere­n“Jördis Frommhold Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologi­e

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