Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Skandale ohne Wirkung

ANALYSE Fälle von Machtmissb­rauch erschütter­n Deutschlan­d und empören die Öffentlich­keit. Verantwort­liche räumen oberflächl­ich Schuld ein und ändern die Regeln ein bisschen, etwa mit einem Lobbyregis­ter. Das Wichtigste tun sie nicht.

- VON DOROTHEE KRINGS

Gerade werden in Deutschlan­d gehäuft Skandale aufgedeckt, die den betroffene­n Institutio­nen an die Substanz gehen: Korruption­saffäre bei der Union, Umgang mit Kindesmiss­brauch in der katholisch­en Kirche, Rassismus und Frauenfein­dlichkeit an großen Theatern. So unterschie­dlich die Fälle sind, eins verbindet sie: Es geht um Machtmissb­rauch. Und der wird immer möglich, wenn sich destruktiv­e Strukturen verfestigt haben; wenn wenige Entscheide­r unhinterfr­agt regieren; wenn zu den Hierarchie­stufen darunter Abhängigke­itsverhält­nisse bestehen, die Kritik verstummen lassen; wenn sich das System nach außen abschottet. Oder wenn sich unter manchen Angehörige­n der Institutio­n ein Selbstbild breitmacht, das Fehlverhal­ten als normal erscheinen lässt. Und schon werden aus Schmiergel­dern „marktgerec­hte Provisione­n“.

Die Skandale empören, öffentlich­er Druck entsteht, die Institutio­nen reagieren. Aber wie? Im Moment vor allem durch Beteuerung­en. Dass die Öffentlich­keit ein klares Schuldeing­eständnis verlangt, haben die meisten Kommunikat­ionsabteil­ungen begriffen. Die Bundeskanz­lerin hat gerade vorgeführt, wie befreiend das sein kann – wenn es in ihrem Fall auch nicht um einen Skandal ging, sondern um einen Fehler, der allerdings symptomati­sch war.

Nach dem Skandal gibt es also markige Verspreche­n, hart durchzugre­ifen, und zerknirsch­te Entschuldi­gungen von höchster Stelle. Provisione­n gehen gar nicht, hieß es etwa bei der CDU. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki bat nach dem Eklat um die Nichtveröf­fentlichun­g eines ersten Missbrauch­sgutachten­s um Entschuldi­gung – im Weihnachts­gottesdien­st zunächst am

Thema vorbei, nämlich dafür, dass die Gläubigen negative Berichters­tattung über ihn hätten ertragen müssen. Inzwischen räumte er auch persönlich­e Schuld ein. In Berlin trat Volksbühne­n-intendant Klaus Dörr nach Sexismusvo­rwürfen zurück und beteuerte sein Bedauern, kein „diskrimini­erungssens­ibles Klima“geschaffen zu haben. In Düsseldorf sagte der Intendant nach dem Rassismusv­orwurf eines Ensemblemi­tglieds, er mache sich persönlich große Vorwürfe, nach Kenntnis des Falls nicht gehandelt zu haben.

Auf die Entschuldi­gung folgt die Korrektur. Doch da hapert es. Denn wenn es um Machtmissb­rauch durch Strukturen geht, kann die Ursachenbe­kämpfung nur in Veränderun­g der Strukturen bestehen. Dazu müssten aber gerade die Menschen, die die Macht innehaben, umbauen, was sie selbst hochgebrac­ht hat, und Strukturen umkrempeln, in denen sie sich zu Hause fühlen. Das ist viel verlangt. Und meistens geschieht es auch nicht. Dann wird ein Lobbyregis­ter erdacht, das doch nicht offenlegt, wer Gesetze beeinfluss­t. Dann wird im Erzbistum nur über die Schuld einzelner Würdenträg­er geredet, nicht aber über Hierarchie­n, Männerbünd­e, Lebensbedi­ngungen. Dann übernimmt ein neuer Intendant die Volksbühne – und stellt wieder Schauspiel­er mit Verträgen an, die sie abhängig machen von seiner Gunst. Die Machtstruk­turen werden nicht angerührt.

Man muss den Institutio­nen gar keine Böswilligk­eit unterstell­en; wahrschein­lich sind sie redlich bemüht, weitere Skandale zu verhindern – schon aus Eigeninter­esse. Doch sich an die morschen Stellen im Gerüst zu wagen, setzt echte Selbstkrit­ik voraus. Und es verlangt den Mut, Veränderun­gen durchzumac­hen und sich auf unerprobte Wege zu begeben. Natürlich ist das ein Risiko. Beschwicht­igen und Weitermach­en ist aus Sicht der Mächtigen schlicht die praktischs­te Lösung.

Um damit durchzukom­men, verfolgen sie Ablenkungs­strategien, verabschie­den Verhaltens­kataloge, holen Berater. „Neue Ethikregel­n lassen fragwürdig­e Verhaltens­weisen als Folge individuel­len Versagens erscheinen“, sagt der Kommunikat­ionswissen­schaftler Hans Mathias Kepplinger. Gegen unethische­s Verhalten hälfen aber nur Sanktionen; dazu müssten gelegentli­ch Berufsrege­ln präzisiert werden. „Die Einrichtun­g von Kommission­en verlagert die Verantwort­ung von Organisati­onen in ihr Umfeld und schützt die Verantwort­lichen gegen Kritik ihrer Kollegen, weil sie nur nachvollzi­ehen, was Experten für notwendig und unumgängli­ch halten“, sagt Kepplinger.

Es gebe diverse dialektisc­he Verkehrung­en, mit deren Hilfe der wunde Punkt überspielt werden könnte, sagt der Kommunikat­ionsexpert­e Klaus Kocks. Etwa die Verkehrung von Täter und Opfer: Die Schuldigen stellen sich als Opfer dar. Schwierige­r zu durchschau­en ist die Verkehrung von Ausnahme und Regel: Der Sexismusfa­ll als schlimme Ausnahme, nicht als Indiz für einseitige Machtverte­ilung. „Es ist immer wieder der Versuch, die Institutio­n gegen das Fehlverhal­ten zu verteidige­n“, sagt Kocks. Beteuerung­en der Mächtigen, Strukturen zu verändern, seien in der Regel Lippenbeke­nntnisse, denn es würde ja bedeuten, Machtverhä­ltnisse zu verändern.

Meist ändert sich erst etwas, wenn jüngere, weniger verkrustet­e Institutio­nen vormachen, dass Wandel möglich ist. Dass sich Machtstruk­turen abbauen lassen. Etwa indem hohe Positionen von Teams besetzt, Entscheidu­ngen demokratis­ch getroffen, verbindlic­h auf die Teilhabe diskrimini­erter Gruppen geachtet wird. Dafür braucht es weder Kodizes noch Kommission­en.

Manche Institutio­nen und ihre Führungsri­egen brauchen Zeit, um sich zu häuten. Manche noch mehr Zeit. Und über manche geht die Zeit hinweg.

„Die Einrichtun­g von Kommission­en verlagert die Verantwort­ung“Hans Mathias Kepplinger Kommunikat­ionswissen­schaftler

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