Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Skandale ohne Wirkung
ANALYSE Fälle von Machtmissbrauch erschüttern Deutschland und empören die Öffentlichkeit. Verantwortliche räumen oberflächlich Schuld ein und ändern die Regeln ein bisschen, etwa mit einem Lobbyregister. Das Wichtigste tun sie nicht.
Gerade werden in Deutschland gehäuft Skandale aufgedeckt, die den betroffenen Institutionen an die Substanz gehen: Korruptionsaffäre bei der Union, Umgang mit Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche, Rassismus und Frauenfeindlichkeit an großen Theatern. So unterschiedlich die Fälle sind, eins verbindet sie: Es geht um Machtmissbrauch. Und der wird immer möglich, wenn sich destruktive Strukturen verfestigt haben; wenn wenige Entscheider unhinterfragt regieren; wenn zu den Hierarchiestufen darunter Abhängigkeitsverhältnisse bestehen, die Kritik verstummen lassen; wenn sich das System nach außen abschottet. Oder wenn sich unter manchen Angehörigen der Institution ein Selbstbild breitmacht, das Fehlverhalten als normal erscheinen lässt. Und schon werden aus Schmiergeldern „marktgerechte Provisionen“.
Die Skandale empören, öffentlicher Druck entsteht, die Institutionen reagieren. Aber wie? Im Moment vor allem durch Beteuerungen. Dass die Öffentlichkeit ein klares Schuldeingeständnis verlangt, haben die meisten Kommunikationsabteilungen begriffen. Die Bundeskanzlerin hat gerade vorgeführt, wie befreiend das sein kann – wenn es in ihrem Fall auch nicht um einen Skandal ging, sondern um einen Fehler, der allerdings symptomatisch war.
Nach dem Skandal gibt es also markige Versprechen, hart durchzugreifen, und zerknirschte Entschuldigungen von höchster Stelle. Provisionen gehen gar nicht, hieß es etwa bei der CDU. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki bat nach dem Eklat um die Nichtveröffentlichung eines ersten Missbrauchsgutachtens um Entschuldigung – im Weihnachtsgottesdienst zunächst am
Thema vorbei, nämlich dafür, dass die Gläubigen negative Berichterstattung über ihn hätten ertragen müssen. Inzwischen räumte er auch persönliche Schuld ein. In Berlin trat Volksbühnen-intendant Klaus Dörr nach Sexismusvorwürfen zurück und beteuerte sein Bedauern, kein „diskriminierungssensibles Klima“geschaffen zu haben. In Düsseldorf sagte der Intendant nach dem Rassismusvorwurf eines Ensemblemitglieds, er mache sich persönlich große Vorwürfe, nach Kenntnis des Falls nicht gehandelt zu haben.
Auf die Entschuldigung folgt die Korrektur. Doch da hapert es. Denn wenn es um Machtmissbrauch durch Strukturen geht, kann die Ursachenbekämpfung nur in Veränderung der Strukturen bestehen. Dazu müssten aber gerade die Menschen, die die Macht innehaben, umbauen, was sie selbst hochgebracht hat, und Strukturen umkrempeln, in denen sie sich zu Hause fühlen. Das ist viel verlangt. Und meistens geschieht es auch nicht. Dann wird ein Lobbyregister erdacht, das doch nicht offenlegt, wer Gesetze beeinflusst. Dann wird im Erzbistum nur über die Schuld einzelner Würdenträger geredet, nicht aber über Hierarchien, Männerbünde, Lebensbedingungen. Dann übernimmt ein neuer Intendant die Volksbühne – und stellt wieder Schauspieler mit Verträgen an, die sie abhängig machen von seiner Gunst. Die Machtstrukturen werden nicht angerührt.
Man muss den Institutionen gar keine Böswilligkeit unterstellen; wahrscheinlich sind sie redlich bemüht, weitere Skandale zu verhindern – schon aus Eigeninteresse. Doch sich an die morschen Stellen im Gerüst zu wagen, setzt echte Selbstkritik voraus. Und es verlangt den Mut, Veränderungen durchzumachen und sich auf unerprobte Wege zu begeben. Natürlich ist das ein Risiko. Beschwichtigen und Weitermachen ist aus Sicht der Mächtigen schlicht die praktischste Lösung.
Um damit durchzukommen, verfolgen sie Ablenkungsstrategien, verabschieden Verhaltenskataloge, holen Berater. „Neue Ethikregeln lassen fragwürdige Verhaltensweisen als Folge individuellen Versagens erscheinen“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger. Gegen unethisches Verhalten hälfen aber nur Sanktionen; dazu müssten gelegentlich Berufsregeln präzisiert werden. „Die Einrichtung von Kommissionen verlagert die Verantwortung von Organisationen in ihr Umfeld und schützt die Verantwortlichen gegen Kritik ihrer Kollegen, weil sie nur nachvollziehen, was Experten für notwendig und unumgänglich halten“, sagt Kepplinger.
Es gebe diverse dialektische Verkehrungen, mit deren Hilfe der wunde Punkt überspielt werden könnte, sagt der Kommunikationsexperte Klaus Kocks. Etwa die Verkehrung von Täter und Opfer: Die Schuldigen stellen sich als Opfer dar. Schwieriger zu durchschauen ist die Verkehrung von Ausnahme und Regel: Der Sexismusfall als schlimme Ausnahme, nicht als Indiz für einseitige Machtverteilung. „Es ist immer wieder der Versuch, die Institution gegen das Fehlverhalten zu verteidigen“, sagt Kocks. Beteuerungen der Mächtigen, Strukturen zu verändern, seien in der Regel Lippenbekenntnisse, denn es würde ja bedeuten, Machtverhältnisse zu verändern.
Meist ändert sich erst etwas, wenn jüngere, weniger verkrustete Institutionen vormachen, dass Wandel möglich ist. Dass sich Machtstrukturen abbauen lassen. Etwa indem hohe Positionen von Teams besetzt, Entscheidungen demokratisch getroffen, verbindlich auf die Teilhabe diskriminierter Gruppen geachtet wird. Dafür braucht es weder Kodizes noch Kommissionen.
Manche Institutionen und ihre Führungsriegen brauchen Zeit, um sich zu häuten. Manche noch mehr Zeit. Und über manche geht die Zeit hinweg.
„Die Einrichtung von Kommissionen verlagert die Verantwortung“Hans Mathias Kepplinger Kommunikationswissenschaftler