Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Miserabel, kläglich, stümperhaf­t

-

endlose Debatten über die Beschaffun­g, die Haftung, den Preis und Prioritäte­nlisten gegeben. Deutsche Gründlichk­eit ist normalerwe­ise eine Tugend, aber in der Pandemie tödlich. Was bringt es, nach fünf Monaten einen besseren Preis für die Biontech/pfizer-impfdosen ausgehande­lt zu haben, wenn in der Zwischenze­it viele Leute krank werden oder sogar sterben?

Die 101-jährige Edith Kwoizalla wurde am 26. Dezember als erster Mensch in Deutschlan­d geimpft – eine gute Nachricht, zwei Wochen nachdem es in den USA losgegange­n war. Allerdings gab es in Deutschlan­d einen Tadel vom Gesundheit­sministeri­um, weil der Arzt sie und 30 andere Bewohner und Mitarbeite­r eines Seniorenhe­ims in Sachsen-anhalt einen Tag vor dem offiziell geplanten Start am 27. Dezember geimpft hatte. Eigentlich unfassbar.

Ist es eine Überraschu­ng, dass der in Deutschlan­d entwickelt­e Impfstoff von Biontech/pfizer seine Wirkung bislang in dreimal so vielen amerikanis­chen Körpern entfalten konnte wie in deutschen? Die Amerikaner hatten im Juli 600 Millionen Dosen bestellt, noch bevor die Ergebnisse der klinischen Tests bekannt waren. Die EU und Deutschlan­d brauchten bis November, um ihre erste Bestellung aufzugeben, und dann für nur 300 Millionen Dosen.

Freunde in den Vereinigte­n Staaten erzählen mir, wie sie ihre Impfungen in einer Apotheke bekamen, ohne Bürokratie oder Komplikati­onen, indem sie sich in Warteliste­n für nicht verbraucht­e Dosen eintrugen. Andere berichten, wie sie ihre Spritze in Drive-in-impfzentre­n bekamen, von denen einige rund um die Uhr geöffnet sind.

In Deutschlan­d hingegen höre ich deprimiere­nde Geschichte­n. Über unbenutzte Impfdosen, die am Ende des Tages entsorgt werden. Über Senioren, die ihre Impfungen nicht bekommen oder verpassen, weil sie sich nicht online anmelden konnten oder keine E-mail-adresse oder kein Smartphone haben, um den Termin zu bestätigen.

Komm schon, Europa, reiß dich zusammen!

Der Autor berichtet aus Berlin für die „Los Angeles Times“(USA) und die „South China Morning Post“(Hongkong).

 ??  ?? Erik Kirschbaum
Erik Kirschbaum

Newspapers in German

Newspapers from Germany