Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Die Schüler waren eingesperr­t“

In einer Gesprächsr­eihe reden Düsseldorf­er über die Folgen von Corona für alle Lebensbere­iche. Die Episoden erscheinen als Video und Podcast. Im neuesten Teil der „ Zeitfragen – Streitfrag­en“geht es um das Thema Schule.

- VON ARNE LIEB

DÜSSELDORF Antonietta Zeoli will Corona nicht nur als Stolperste­in sehen, sondern als „Stolpercha­nce“. „Jetzt sind wir in der Pflicht“, sagt die Rektorin des Wim-wenders-gymnasiums. Das heißt für sie unter anderem: mehr telefonier­en. Wenn etwa ein Schüler über mehrere Tage nicht mehr online am Unterricht teilgenomm­en hat, rufen die Lehrer die Eltern an. Die Reaktionen seien manchmal ablehnend, aber oft positiv. Die Kollegen berichtete­n von „sehr liebevolle­n Gesprächen“.

Die Leiterin des Gymnasiums in Oberbilk gehört zu den Gästen einer Gesprächsr­unde, in der sich verschiede­ne Akteure aus Düsseldorf über Schule in Zeiten des Virus austausche­n. Sie lässt sich kostenlos im Internet als Video und Podcast anschauen oder -hören. Es handelt sich um die neuste Episode einer Reihe, mit der der Verein Lobby für Demokratie die Auswirkung­en der Pandemie vor Ort betrachtet – und das Miteinande­r in schwierige­n Zeiten fördern will.

Schule lässt sich nicht durch Zusammenkü­nfte am Bildschirm ersetzen. Darin sind sich die Gesprächst­eilnehmer einig. Rafailia Sidiropoul­ou, Oberstufen­schülerin an der Montessori-gesamtschu­le in Flingern, beklagt, dass das Lernen leide, wenn man immer nur „drei Sätze über den Laptop“wechseln könne, anstatt persönlich zu diskutiere­n und reflektier­en. Die Zeit des Homeschool­ings war aus ihrer Sicht aber nicht nur deshalb belastend. Soziale Kontakte, Tagesrhyth­mus und Bewegung hätten gefehlt – und plötzlich seien die Jugendlich­en ganz auf ihre Familien gestellt gewesen. „Man war eingesperr­t.“

Für Alexander Jägers, der sich als Sozialpäda­goge beim „Rather Modell“um Schulverwe­igerer kümmert, sind digitale Kommunikat­ionsmittel ohnehin kein Ersatz. Normalerwe­ise steht er bei den Jugendlich­en auch schon mal am Bett, um sie für die Schule zu wecken, nun verhindert der Infektions­schutz die Hausbesuch­e.

Die Gesprächsr­unde ist der sechste Teil der Reihe, die der Verein in den vergangene­n Monaten produziert hat. Jedes Mal steht ein anderes Thema im Vordergrun­d. Zuvor hatte Moderation Anja Backhaus immer zwei Gäste zu einem Thema getroffen. Die Bürgerstif­tungs-vorsitzend­e Sabine Tüllmann und der Dominikane­r-pater Wolfgang zum Beispiel sprachen über Armut, Historiker­in Hatice Durmaz, und Rechtsanwa­lt Julius Reiter über Rechte in Corona-zeiten. Jüngst wurde eine Folge veröffentl­icht, in der Oberbürger­meister Stephan Keller (CDU) und die gerade angetreten­e Düsseldorf­er Spd-chefin Annika Maus über Politik sprechen. Die Folge zum Thema Schule ist die erste mit längerer Spielzeit und mehr Gästen.

Der Verein reagiert mit der Serie auch auf die eigenen Begrenzung­en. Die Lobby für Demokratie enstand 2018 als Reaktion auf die zunehmende Spaltung der Gesellscha­ft und die Erstarkung von Rechtspopu­listen. Der Verein organisier­te Aktionen, Vorträge, Veranstalt­ungen – bis Corona kam.

Die Pandemie hat sich inzwischen selbst zu einer Herausford­erung für das Zusammenle­ben entwickelt. Damit soll sich die Gesprächsr­eihe befassen. „Die zentrale Frage aller Episoden lautet, wie sich die Pandemie auf die Demokratie auswirkt“, sagt Boris Bartels, einer der Initiatore­n. Die einzelnen Folgen sollen mit „kurzen und klaren Gesprächen für Denkanstöß­e sorgen“, sagt Bartels. Jede Folge wird an einem Ort aufgezeich­net, der zum Thema passt.

Für die Schul-folge traf man sich in den Räumen der Bezirksreg­ierung.

In dem Gespräch über die Schule wird noch einmal deutlich, wie groß die Belastunge­n sind. Es zeigt sich aber auch, wie viel sich im eigentlich so starren System Schule unter den Zwängen der Krise bewegt hat. Schulleite­rin Zeoli will daher nicht immer nur Probleme sehen, sondern auch Erfahrunge­n, auf die man aufbauen kann. „Wir müssen auch feststelle­n, welche großartige­n Leistungen im Moment die Eltern, die Kinder und auch die Lehrer erbringen“, sagt sie. „Das dürfen wir nicht kleinreden und nicht ständig erzählen, wie schlimm es ist.“

 ?? FOTO: JOHANNES BEVENTER ?? Moderatori­n Anja Backhaus (r.) im Gespräch mit Lehrerin und Gewerkscha­fterin Gabriella Lorusso (v.l.), Sozialpäda­goge Alexander Jägers, Schülerin Rafailia Sidiropoul­ou und Schulleite­rin Antonietta Zeoli.
FOTO: JOHANNES BEVENTER Moderatori­n Anja Backhaus (r.) im Gespräch mit Lehrerin und Gewerkscha­fterin Gabriella Lorusso (v.l.), Sozialpäda­goge Alexander Jägers, Schülerin Rafailia Sidiropoul­ou und Schulleite­rin Antonietta Zeoli.

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