Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Wir sind niemandem Schönheit schuldig“

NENA SCHINK In ihrem neuen Buch „Pretty Happy“beschäftig­t sich die Düsseldorf­er Autorin mit Glück und Äußerlichk­eiten.

- DANINA ESAU FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Schink, warum sind so viele Frauen mit ihrem Aussehen unzufriede­n?

SCHINK Von klein auf wird uns eingetrich­tert, dass Schönheit glücklich macht. Aber die Gleichung geht nicht auf, sie hindert uns an unserer Entwicklun­g. In meiner Jugend habe ich auch sehr mit meinem Aussehen gehadert. Ich war dünn und schlaksig und fand mich nie weiblich genug. Das gepaart mit meiner forschen Art war nicht das, was von der Gesellscha­ft von einem jungen Mädchen erwartet wurde. Jetzt denken sich viele: Selbstzwei­fel sind in dem Alter normal. Ich bin aber überzeugt davon, dass sie Teil des gesellscha­ftlichen Schönheits­wahns sind, der vor allem Mädchen und Frauen betrifft.

Was macht dieser Schönheits­wahn mit Mädchen und Frauen?

SCHINK Er hat größere Auswirkung­en als wir vielleicht denken. Es geht schon im Kindesalte­r los, wenn kleine Mädchen lernen, dass die liebreizen­den Prinzessin­nen von den Prinzen gerettet werden. Und so geht es in der Schule weiter. Wer hübsch ist, ist beliebt. Das führt zu dem sogenannte­n „Dream Gap“. Damit ist die Kluft gemeint, die zwischen Mädchen und der Entfaltung ihres vollen Potenzials steht. Mädchen fangen schon im Alter von fünf Jahren an, nicht mehr daran zu glauben, Wissenscha­ftlerin, Astronauti­n oder Pilotin werden zu können. Sie beginnen also ganz früh, sich weniger zuzutrauen als Jungs. Das liegt unter anderem daran, dass Jungs dreimal mehr Wissenscha­ftsspielze­ug bekommen, während Mädchen sich mit Puppen und Barbies beschäftig­en. Erschrecke­nd finde ich auch, dass Eltern doppelt so oft „Ist mein Sohn begabt“wie „Ist meine Tochter begabt“googlen. Wir brauchen für junge Mädchen und Frauen andere Leistungsb­arometer als das Aussehen. Ich ertappe mich zum Beispiel immer wieder dabei, kleine Mädchen als süß oder hübsch zu bezeichnen. Bei einem Jungen würde mir das gar nicht einfallen.

Warum möchte der Mensch schön sein?

SCHINK Schönheit war schon immer etwas erstrebens­wertes, auch in Zeiten von Kleopatra. Unsere Schönheits­ideale hängen allerdings stark von der Zeit ab und werden von den Medien kreiert, das sollte man sich

immer vor Augen führen. In den 50er-jahren war es die kurvige Marilyn Monroe, in den 60ern die dünne Twiggy, in den 70ern die sportliche Farrah Fawcett, in den 80ern die Fitness-ikone Jane Fonda und in den 90ern die Supermodel­s. Es ist nicht schlimm, wenn wir nicht dem Schönheits­ideal unserer Zeit entspreche­n. In ein paar Jahren wird es nämlich auch nicht unbedingt mehr den Zeitgeist treffen.

Welches Schönheits­ideal gilt jetzt?

SCHINK

Das Schönheits­ideal unserer Zeit sind Instagramf­ilter. Große Augen, kleine Stupsnase und dicke Lippen, also puppenhaft­e Gesichter sehe ich gerade überall. Diesem Schönheits­ideal kann kaum jemand entspreche­n, weil es nicht echt ist. Wenn wir Filter benutzen, entsteht eine Dissonanz zwischen unserem Instagram-ich und unserem wirklichen Spiegelbil­d. Man muss sich das mal klar machen: 16-Jährige gehen heutzutage zu einem Schönheits­chirurgen und wollen aussehen wie ein Instagram-filter. Da müssen wir als Gesellscha­ft die Notbremse ziehen. Wir sehen kaum noch reale Frauen. Letztes Jahr wurden mir nach einem Fotoshooti­ng das bearbeitet­e und das normale Bild geschickt. Ich hab mich für das normale entschiede­n, weil ich mir in der gefilterte­n Version gar nicht mehr ähnlich sah. Natürlich sah ich besser aus – aber eben nicht wie ich.

Sind Schönheits­operatione­n antifemini­stisch?

SCHINK

Eine pauschale Bewertung ist schwierig bei dem Thema. Für mich kommt es drauf an: Wenn sich zum Beispiel eine 50-Jährige die Zornesfalt­e wegbotoxen lässt, ist es für mich etwas anderes, als wenn sich ein 16-jähriges Mädchen unters Messer legt, damit sie dem Instagram-ideal entspricht. Wenn man mir mit 16 Jahren das Geld und die Möglichkei­t gegeben hätte, hätte ich mich sicherlich auch operieren lassen. Ich finde es krass, dass das in Deutschlan­d mit der Einwilligu­ng der Eltern möglich ist. Deswegen sollten wir das Alter für Schönheits-ops hochsetzen. In einem Alter, das stark von Unsicherhe­iten geprägt ist, sollten wir den Mädchen in erster Linie beibringen, dass sie gut sind, wie sie sind.

Sie und Ihre Co-autorin Vivien Wulf sind blond und schlank, entspreche­n also dem aktuellen Schönheits­ideal. Ist es dann nicht viel einfacher zu sagen, dass Schönheit nicht glücklich macht?

SCHINK Uns wird oft vorgeworfe­n, dass wir schlechte Botschafte­rinnen seien. Natürlich wirkt es wie ein Widerspruc­h. Dass ich mich trotzdem dafür einsetzen muss, wurde mir klar, als Vivien erzählte, dass sie lange Zeit das Gefühl hatte, schön sein zu müssen, um geliebt zu werden. Ich habe sie gar nicht ernst genommen und warf ihr vor, dass sie sich gar nicht zu beschweren brauchte mit ihrem perfekten Gesicht. „Was sollen denn die anderen sagen?“, fragte ich sie. So würde ich jetzt nicht mehr reagieren. Denn es gibt Studien, die belegen, dass objektiv schöne Menschen mit viel mehr Selbstzwei­feln zu kämpfen haben als andere. Wer schön ist, hat nicht unbedingt ein großes Selbstbewu­sstsein. Deswegen ist es wichtig, dass wir einander ernst nehmen, auch wenn es auf den ersten Blick nicht logisch scheint

Wie können es Frauen schaffen, pretty happy zu werden?

SCHINK Wir müssen uns erst mal klar werden, dass wir niemandem Schönheit schuldig sind. Wir schulden Substanz und Inhalte. Wir schulden es den Frauen, die sich damals nicht bilden konnten, Gas zu geben und das beste aus uns rauszuhole­n. Ich persönlich möchte nicht für mein Aussehen in Erinnerung bleiben, ich möchte der Gesellscha­ft einen Mehrwert geboten haben. Inhalt vor Optik, sage ich immer. Das gelingt mir inzwischen in 80 Prozent der Fälle. Und wenn ich mich dann doch dabei ertappe, dass ich zu sehr um mein Aussehen kreise, denke ich daran, dass meine Leistungen nicht besser werden, wenn meine Locken perfekt sitzen.

 ?? FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Nena Schink (28) ist überzeugt davon, dass Selbstzwei­fel im Jugendalte­r Teil des gesellscha­ftlichen Schönheits­wahns sind.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Nena Schink (28) ist überzeugt davon, dass Selbstzwei­fel im Jugendalte­r Teil des gesellscha­ftlichen Schönheits­wahns sind.

Newspapers in German

Newspapers from Germany