Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Dinslaken digital

In der „Virtuellen Kulturhaup­tstadt“am Rand des Ruhrgebiet­s ist ein umfangreic­hes Bühnenprog­ramm geplant. Die Veranstalt­ungen sollen auch Eintrittsg­elder bringen.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

DINSLAKEN Dies ist die erste „Virtuelle Kulturhaup­tstadt“. Das Projekt hat allerdings nichts mit den europäisch­en Kulturhaup­tstädten zu tun – eine solche wird in Deutschlan­d wieder Chemnitz 2025 sein. Es ist die Idee eines jener Anbieter, die für die Kultur in der Corona-zeit immer wichtiger geworden sind – einer Streaming-plattform. Sie heißt Culture Total und hat gemeinsam mit der Deutschen Telekom und dem Ticket-dienstleis­ter Eventim die „Virtuelle Kulturhaup­tstadt“aus der Taufe gehoben, deren erste noch bis Mai 2022 die Stadt ist, die am Niederrhei­n liegt, aber trotzdem noch zum Ruhrgebiet zählt: Dinslaken.

Digitales Bezahlprog­ramm „Regionen und Kultur brauchen jetzt digitale Lösungen, die durch die Krise führen und auch danach erfolgreic­he Perspektiv­en bieten“, sagt Majid Montazer, Mitgründer von Culture Total. Und Alexander Krößner, Geschäftsf­ührer des Dinslakene­r Veranstalt­ers Dinevent, erklärt, warum sich seine Stadt beworben hat: Im vergangene­n Jahr habe man viel darüber nachgedach­t, was man tun könne, wenn die Situation ist, wie sie ist. „Auch die neuesten Verordnung­en sind ja nicht zwingend kulturförd­ernd“, drückt er sich vorsichtig aus. Begeistert habe ihn immer, wenn Künstler selbst ins Netz gegangen seien, Programme etwa bei Youtube gestreamt hätten. „Es wäre aber ja schöner, wenn sie auch Potenzial hätten, auch Eintrittsg­elder zu generieren.“

Grundidee der „Virtuellen Kulturhaup­tstadt“ist deshalb, Live-veranstalt­ungen von Dinslakene­r Veranstalt­ungsorten wie der bald fertiggest­ellten Kathrin-türks-halle oder der Burgtheate­r-freilichtb­ühne zu einem bezahlbare­n Eintrittsp­reis zu streamen – und wenn möglich gleichzeit­ig auch wieder unter Einhaltung von Hygienemaß­nahmen und Abstand vor kleinem Publikum stattfinde­n zu lassen.

„Roter März“Den Anfang machte als Weltpremie­re das relativ aufwendig produziert­e Theaterstü­ck „Roter März“, live gestreamt aus der Kathrin-türks-halle. Das Historiend­rama beschäftig­t sich mit Geschehnis­sen rund um die Zeche Lohberg-osterfeld, beginnt kurz vor dem Ersten Weltkrieg und endet mit dem Kampf der revolution­ären Roten Ruhrarmee, die sich gegen Truppen der Reichswehr stellte. Als „Intendant, künstleris­cher Leiter, Regisseur und Autor“in Personalun­ion wird auf der Homepage des Projekts Adnan G. Köse bezeichnet, der in der Vergangenh­eit bereits größere Film- und Theaterpro­duktionen zu verantwort­en hatte und selbst aus einer Bergarbeit­erfamilie in Dinslaken-lohberg stammt.

Die knapp zweistündi­ge, gestreamte Weltpremie­re wirkt, als habe sich der Regisseur nicht ganz entscheide­n können, ob er einen Film oder ein Theaterstü­ck inszeniert. Ungefähr die erste Hälfte des Geschehens wird sehr bedächtig, man könnte auch sagen: zäh, auf der fast komplett leeren Bühne der Halle erzählt. Im Mittelpunk­t steht die Tragödie einer Bergarbeit­erfamilie, die einen Sohn im Ersten Weltkrieg verliert. Silke Natho spielt die trauernde Mutter, die weint und schreit, sich den gefallenen Sohn wieder herbeifant­asiert. Diese quälende Szene gibt es gleich doppelt: Auf der Theaterbüh­ne, auf der der Sohn dann wie versteiner­t steht – und in den gefilmten Bildern aus einem Wald, die die zweite Hälfte des Theaterstü­cks dominieren. Da wird dann auch noch ein Säugling in den Tod gestürzt.

Neben dieser doch ziemlich pathetisch­en Familientr­agödie steht das Geschehen um die Rote Ruhrarmee, das sich zu einer Art finalem – wieder filmisch inszeniert­en – Showdown in einer Kirche verdichtet. Dort spricht Dieter Landuris als Pfarrer Albert Nienhaus salbungsvo­lle Worte der Versöhnung vor den bewaffnete­n Revolution­ären, die seine Schäfchen in Angst und Schrecken versetzen.

Jahresprog­ramm Das Theaterstü­ck soll der Anfang sein für ein Jahr, in dem Dinslaken seine erstaunlic­h reichhalti­ge Kulturszen­e präsentier­t. „Wir sprechen gerade mit vielen Aktiven, um Formate zu entwickeln“, sagt Alexander Krößner von Dinevent. Das Programm ist allerdings derzeit noch nicht spruchreif. Bestätigt ist bisher allerdings eine Ausgabe des Talkformat­s „Das Maaß ist voll“, live gestreamt am 30. Mai aus der Kneipe „Das Maaß“. Moderator des Abends ist Roland Donner, Gast ist Yvonne de Bark, Schauspiel­erin und Coach.

Freilichtb­ühne Eine wichtige Rolle im Programm der „Virtuellen Kulturhaup­tstadt“wird aber sicher die Freilichtb­ühne Burgtheate­r spielen, auf der es im Sommer wieder rund 50 Veranstalt­ungen geben soll. Bereits bestätigt sind Auftritte von Helge Schneider, Torsten Sträter und Markus Krebs sowie Ausgaben der Reihe „Sommerding­s“mit Kabarettis­ten um Jürgen Becker.

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FOTO: S. ZIESE/DPA Der Bergpark in Dinslaken-lohberg.

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