Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Astrazeneca gibt es jetzt für alle
Allein in den nordrhein-westfälischen Impfzentren lagern noch 50.000 Dosen des Vakzins. Nun heben die Gesundheitsminister die Priorisierung auf. Kinder ab zwölf Jahren sollen bis Ende August ein Impfangebot erhalten.
BERLIN Um die Impfkampagne zu beschleunigen, heben die Gesundheitsminister von Bund und Ländern die Priorisierung beim Impfstoff von Astrazeneca auf. Dies teilte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nach den Beratungen am Donnerstag mit. Nach Aufklärung durch den Arzt und eigener Risikoabwägung soll es jedem möglich sein, sich mit diesem Impfstoff impfen zu lassen, so Spahn. Hintergrund ist, dass viele das Astrazeneca-mittel nicht wollen. In den Impfzentren in Nordrhein-westfalen liegen 50.000 Dosen des britischen Herstellers auf Halde, allein in Düsseldorf sind es 2000.
Zudem beschlossen die Gesundheitsminister eine Lockerung für die Frist zwischen der ersten und zweiter Dosis. Die Zweitimpfung solle nicht mehr zwingend erst nach zwölf Wochen erfolgen, sagte Spahn. Es liege im Ermessen des Arztes, wann der vollständige Impfschutz eintrete. „Eine Verkürzung der Frist zwischen der ersten und der zweiten Impfung mit Astrazeneca ist sinnvoll. Sie ist von der Zulassung des Impfstoffs abgedeckt“, sagte Oliver Funken, Chef des Hausärzteverbands NRW. Laut Eu-arzneimittelagentur kann der Impfstoff im Abstand von vier bis zwölf Wochen gegeben werden. Spahn wies darauf hin, dass die Wirksamkeit bei einer Frist von zwölf Wochen aber höher sei. Nrw-gesundheitsminister Karl-josef Laumann (CDU) hatte erklärt, eine Fristverkürzung solle möglich sein mit Blick auf Rechte, die mit einer vollständigen Impfung verbunden sind.
Die Hausärzte begrüßen das Ende der Priorisierung. „Die Freigabe der Priorisierung von Astrazeneca ist überfällig. Jetzt muss es den Ärzten auch erlaubt sein, junge Patienten damit zu impfen, und zwar unabhängig davon, ob der junge Patient einer Risikogruppe angehört oder nicht. Keine Dosis darf liegen bleiben, wir müssen schnell impfen“, sagte Funken. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KV) mahnt zugleich, vor allem jüngere Patienten zu beraten. Bei unter 60-Jährigen waren vereinzelt Thrombosefälle nach einer Astrazeneca-impfung aufgetreten. „Eine grundsätzliche Freigabe von Astrazeneca könnte das Impftempo in NRW noch weiter vorantreiben, wichtig wäre aber die patientenindividuelle Impfstoff-empfehlung des Impfarztes“, so der Kv-sprecher. Wie die Bürger nun beim Impfzentrum an einen Termin mit Astrazeneca kommen, will die KV noch klären.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) mahnt dagegen, an der Priorisierung grundsätzlich festzuhalten. So seien 3,5 Millionen Bürger der 70- bis 79-Jährigen (46 Prozent dieser Altersgruppe) und 7,3 Millionen der 60- bis 69-Jährigen (69 Prozent) noch nicht geimpft. Es gebe einen „beträchtlichen Anteil“an impfbereiten Personen, die ein hohes Risiko für einen schweren Covid-verlauf haben, aber noch keine Möglichkeit zur Impfung erhalten hätten: „Die Stiko appelliert an die Solidarität der Ärzteschaft und der Bevölkerung, vorrangig besonders gefährdeten Personen eine Impfung zu ermöglichen.“
Die Minister gehen zudem davon aus, dass im Juni der Impfstoff von Biontech auch für Kinder ab zwölf Jahren zugelassen wird. Er ist bislang ab 16 Jahren zugelassen und darf wegen der bestehenden Priorisierung derzeit nur an chronisch kranke Jugendliche gegeben werden. Da im Juni aber voraussichtlich die Priorisierung für alle Impfstoffe aufgehoben werden soll, könnten dann auch Kinder und Jugendliche ein Angebot erhalten. Die Minister erwarten, dass bis Ende August allen Zwölf- bis 18-Jährigen ein Impfangebot gemacht werden kann.
Um die Impfstoffproduktion weltweit zu erhöhen, will Us-präsident Joe Biden den Patentschutz für Vakzine lockern, so wie es die Weltgesundheitsorganisation schon seit Langem fordert. „Das Ziel des Us-präsidenten teilen wir ausdrücklich. Die ganze Welt mit Impfstoff zu versorgen, ist der einzig nachhaltige Weg aus dieser Pandemie“, erklärte Spahn. Die Aktien der Hersteller Biontech und Curevac brachen nach Bidens Ankündigung ein. „Zur Überwindung der Pandemie bringen Patentfreigaben gar nichts, niemand kann eine Produktion in weniger als sechs Monaten hochziehen“, sagte Han Steutel, Chef des Verbands der forschenden Arzneimittel-hersteller.