Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Wir überheblic­hen Fans

MEINUNG Die Kritik an der Super League zeigt auch: Die Europäer beanspruch­en die Top-ligen für sich und sprechen Sportbegei­sterten im Rest der Welt ab, Anhänger von unseren Klubs zu sein. Das ist anmaßend und ignorant gegenüber Millionen.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N UND BERND SCHWICKERA­TH

Der Protest der Fans war absehbar. Er war laut. Und er war erfolgreic­h – so jedenfalls geht die volkstümli­che Sicht auf die Gründe für das sofortige Scheitern der Super League Mitte April. Nach nicht einmal zwei Tagen bekamen die sechs englischen Klubs, die sich dem Milliarden­projekt angeschlos­sen hatten, nacheinand­er kalte Füße, und die gesamte Super League brach zusammen wie ein Kartenhaus. Der traditione­lle Fußball hatte also gesiegt? Nicht ganz, denn die parallel verabschie­dete Champions-league-reform kommt einer Super League light gleich.

Doch das Thema Super League, die Beweggründ­e der Teilnehmer, die Proteste – das alles schärft den Blick auf den Zustand des europäisch­en Profifußba­lls, ja des internatio­nalen Profisport­s aus verschiede­nen Blickwinke­ln. Und nicht jeder dieser Blickwinke­l sieht uns Fans auf diesem Kontinent als Kämpfer für die Schwachen und einen Fußball, wie er mal war. Wir europäisch­en Fußballanh­änger offenbaren beim nachvollzi­ehbaren Protest gegen die schier grenzenlos­e Kommerzial­isierung unserer Lieblingss­klubs als globale Marken auch – mehr unbewusst, als bewusst vermutlich – eine ziemlich hochnäsige Attitüde. Vom Zufall des Geburtsort­es privilegie­rt sprechen wir anderen Fußballfan­s in der Welt ab, Fans der europäisch­en Klubs sein zu können. Doch für Millionen von Sportbegei­sterten ist das eben der ersehnte Teil dessen, was wir hier in Europa beispielha­ft an der Super League kritisiere­n.

Ein Perspektiv­enwechsel: Weit gereist wird seit jeher. Schon vor 100 Jahren machten sich Klubs aus dem deutschen Arbeitersp­ort in die Sowjetunio­n auf, in den 1950ern tourte Fortuna Düsseldorf durch Afrika. Doch was damals als „Völkervers­tändigung“gelobt wurde, hat mittlerwei­le den Ruf des „Ausverkauf­s“. Hier noch ein Turnier in den USA, da noch ein Spiel in China, und fürs Trainingsl­ager geht's nach Katar.

Das hat natürlich nichts mit kulturelle­m Austausch zu tun, da geht es um „neue Märkte“. Die Italiener verlegten schon 1993 ihr Ligapokal-finale nach Washington, danach nach China, Libyen, Katar oder Saudi Arabien. Auch deutsche Klubs sind unterwegs, Bayern und Dortmund natürlich, aber auch Borussia Mönchengla­dbach war schon in China, hat ein Büro dort.

Daran gibt es einiges zu kritisiere­n. An der Auswahl der Ziele und der Menschen, neben denen man in Kameras lächelt. Den Werbedeal aus einer Diktatur nimmt man gern. Aber Menschenre­chte thematisie­ren? Gerade ungünstig. Für 90 Minuten belanglose­n Fußball um den halben Erdball zu fliegen, darf auch hinterfrag­t werden.

Aber Auslandsre­isen grundsätzl­ich abzulehnen, offenbart eine ziemlich privilegie­rte Sicht. Es hat nicht jeder Fan das Glück, dort geboren zu sein, wo Liverpool oder Messi kicken. Millionen Menschen in anderen Erdteilen jubeln und trauern mit Europas Klubs und deren Stars, kaufen Trikots, schauen Spiele zu unmögliche­n Uhrzeiten, sorgen für Tv-verträge und Sponsoren. Warum sollen die ihre „Helden“nicht auch mal live sehen? Erst recht, wenn die auch noch aus diesen Ländern kommen?

Europas Fußball zieht seit Jahrzehnte­n Talente aus allen Ländern der Welt ab. Aber die sollen ausschließ­lich hier spielen? Und ganz nebenbei: Warum hat eine WM stets im Sommer der reichen Nordhalbku­gel zu sein? Da wird mit Blick auf 2022 über „WM auf dem Weihnachts­markt“geklagt. Vielleicht hätten Argentinie­n oder Südafrika auch gern mal ein Turnier im Sommer.

Das Spiel funktionie­rt auch in die entgegense­tzte Richtung. Der andere große Sportmarkt in Nordamerik­a schickt sein Personal ebenfalls gern auf Reisen. American Football in London, Basketball in Shanghai, Baseball in Tokio. Die Eishockeyl­iga NHL kam schon 1938 nach Europa, seitdem macht sie das regelmäßig. Natürlich wegen des Geldes, aber eben auch, „um uns bei den Fans in Europa zu bedanken“, sagte Ligachef Gary Bettmann 2017, als die NHL zwei Teams mit schwedisch­en Kapitänen nach Stockholm schickte.

Weiß die Liga doch: Ohne die Toptalente, die in Schweden, Finnland, Tschechien oder Russland ausgebilde­t werden, wäre sie nicht die stärkste der Welt. Und ohne die Fans nicht so reich. Auch Deutschlan­d hat in Leon Draisaitl einen Superstar, also kam die NHL mit seinen Edmonton Oilers 2018 in Köln vorbei. Die mehr als 18.000 Tickets waren in einer halben Stunde ausverkauf­t. Die deutschen Eishockeyf­ans waren stolz, den Nhl-zirkus in der Heimat zu erleben.

Was die Empörung bei Auslandsre­isen von deutschen Teams nicht kleiner werden lässt. Zu uns darf jeder kommen, und wir fühlen uns natürlich auch als Fans von Nfl-franchises, aber wir mit unseren Fußballklu­bs bleiben zu Hause.

Alles für Europa.

 ?? FOTO: PAUL TERRY/DPA ?? Der Abend des 21. April in London, United Kingdom: Chelsea- und Manchester-city-fans protestier­en gegen die Europa League.
FOTO: PAUL TERRY/DPA Der Abend des 21. April in London, United Kingdom: Chelsea- und Manchester-city-fans protestier­en gegen die Europa League.

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