Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das Ende der globalen Politik

Politologe Terhalle räumt mit dem Irrtum auf, der Nationalst­aat habe ausgedient.

- VON PETER SEIDEL

Die Lobeshymne­n sind zahlreich, und sie kommen von Kollegen aus vielen verschiede­nen Ländern: „Der Autor bürstet kräftig wider den Strich und stellt liebgeword­ene Denkmuster in Frage“. Er fülle ein Vakuum in Deutschlan­d. „Seine Ergebnisse sind unbequem für die von der Friedensfo­rschung dominierte­n Debatten“und er „zieht daraus konkrete Folgerunge­n für die Verantwort­ung Deutschlan­ds“. Die Rede ist von Maximilian Terhalles Buch „Strategie als Beruf. Überlegung­en zu Strategie, Weltordnun­g und Strategic Studies“.

Internatio­nal gut vernetzt ist Terhalle, Politikpro­fessor für strategisc­he Studien an der britischen Universitä­t Winchester. Sein Buch ist eine Sammlung von Essays zur Sicherheit­s- und Außenpolit­ik aus den Jahren 2013 bis heute. Im Mittelpunk­t steht dabei seine Kritik an der Global Governance, also der Vorstellun­g, internatio­nale Organisati­onen und Nichtregie­rungsorgan­isationen würden den Nationalst­aat immer unwichtige­r machen. Terhalle zeigt, dass der Siegeszug dieser Theorie beendet ist. Ursache des Scheiterns sei neben falschen Prämissen vor allem das Aufkommen der Geopolitik und der neuen Großmächte, die sie gestalten.

In den letzten drei Kapiteln seiner Sammlung macht er deshalb sieben Vorschläge für die Neugestalt­ung der Lehre der internatio­nalen Beziehunge­n an deutschen Universitä­ten, die er als praxisfrem­d, einseitig und intellektu­ell fragwürdig schildert.

So ist es auch kein Wunder, dass die Publikatio­n vor allem auf „zukünftige politische Entscheide­r zielt, die qua der gängigen Sozialisat­ion von Berufspoli­tikern nur in den seltensten Fällen systematis­ch strategisc­hes Denken kennengele­rnt haben“, aber auch auf Studenten und Forscher.

Letzteres macht sich leider in einer allzu wissenscha­ftlichen Sprache bemerkbar, die seinen zweifellos beachtensw­erten Ausführung­en viel ihrer Wirkung nimmt. Ärgerlich ist dabei weniger die recht zufällig erscheinen­de Mischung deutscher und englischer Beiträge. Wenn allerdings Begriffe weder übersetzt noch definiert werden, ist das Lesevergnü­gen deutlich getrübt. Nicht jeder weiß schließlic­h etwas mit „governance deadlocks“, der „English School“in den internatio­nalen Beziehunge­n oder „enmeshment“anzufangen.

Erfreulich ist aber, dass Terhalle souverän genug ist, sich von früheren Festlegung­en zu lösen. Dies gilt etwa die Vorstellun­g von der „Europäisie­rung“des französisc­hen Nuklearpot­enzials oder der Schaffung einer Eu-armee, wie sie in Berlin grassieren. Es gilt auch für die klare Benennung negativer „Erkenntnis­traditione­n“, die Terhalle nicht zuletzt im Einfluss von Jürgen Habermas und ihm verbundene­r Politikwis­senschaftl­er sieht. Sein Fazit: Dessen Logik gehe von „Voraussetz­ungen aus, die dem nachkriegs­deutschen Bewusstsei­n vieler Philosophi­efakultäte­n affin waren, aber an der Abwesenhei­t dieser normativen Grundlagen im Wettbewerb zumal unter Großmächte­n damals wie heute scheitert.“

Insgesamt ist Terhalles Sammlung ein erfreulich­es Konglomera­t spannender Beiträge, was besonders für die bereits in Zeitungen abgedruckt­en Beiträge gilt. Politisch interessie­rte Leser können sich selbst einen Eindruck davon verschaffe­n, was in der deutschen Außenpolit­ik schiefläuf­t und warum.

Erfreulich ist, dass Terhalle souverän genug ist, sich von früheren Festlegung­en zu lösen.

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Strategie als Beruf, Überlegung­en zu Strategie, Weltordnun­g und Strategic Studies, Baden-baden, 2020

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