Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Kommt das Unternehme­nsstrafrec­ht noch?

GASTBEITRA­G: Mehr Frauen in die Führungset­agen, mehr Compliance und höhere Strafen für Unternehme­n, all das plant die Bundesregi­erung für die Wirtschaft. Doch womit müssen die Unternehme­n in dieser Legislatur­periode wirklich noch rechnen?

- VON PIA LORENZ

Die Führung der Unternehme­n wird nur langsam weiblicher, Wirtschaft­sskandale von Dieselgate bis Wirecard-affäre liefern gute Argumente dafür, Unternehme­nskriminal­ität stärker zu sanktionie­ren und Anreize für Investitio­nen in funktionie­rende Compliance-systeme zu setzen. Während der Gesetzgebe­r in Sachen Frauen in Führungspo­sitionen zögerlich bleibt, schießt er beim Thema Unternehme­nskriminal­ität übers Ziel hinaus. Mindestens eines der Vorhaben könnte noch scheitern.

Mehr Frauen in Führung, nächster Versuch

Diversity-themen, die über die Förderung von Frauen hinausgehe­n, geht der Gesetzgebe­r derzeit – schon aus Gründen des Datenschut­zes – nicht an. Unternehme­n wie auch die sie beratenden Kanzleien bemühen sich in den vergangene­n Jahren hingegen aktiv um eine diversere Kultur für mehr Chancengle­ichheit, bislang ganz ohne Regulierun­gsdruck.

Unter Druck geraten die Unternehme­n schließlic­h aus wirtschaft­lichen Gründen: Sie müssen ein Umfeld schaffen, in dem Chancengle­ichheit herrscht, ob für Männer und Frauen, für Menschen mit Migrations- oder Lgbtq-hintergrun­d. Nur so können sie in Zeiten des Fachkräfte­mangels auch künftig qualifizie­rtes Personal an ihr Unternehme­n binden.

In den Führungset­agen aber fruchtet das zunehmende Engagement bisher kaum. Das Zweite Führungspo­sitionenge­setz soll nun schaffen, was bislang in vielen Jahren leerer Verspreche­n der Unternehme­n nicht gelungen ist: den Anteil von Frauen in Führungspo­sitionen zu erhöhen. In Vorständen mit mehr als drei Mitglieder­n börsennoti­erter und paritätisc­h mitbestimm­ter Unternehme­n soll künftig eine Frau sitzen. Auch weiterhin können sich Unternehme­n für Führungspo­sitionen die Quote Null geben, bloß erklären sollen sie das künftig. Das FÜPOG II, das eigentlich zeitnah in Kraft treten sollte, wurde zwischenze­itlich in den Ausschuss für Wirtschaft und Energie überwiesen.

Hohe Strafen für Unternehme­n ohne funktionie­rende Compliance-systeme

Damit ist es allerdings schon weiter gekommen als das sogenannte Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, besser bekannt als „Verbandssa­nktionenge­setz“( Versang). Beide Namen des Vorhabens sind bestenfall­s irreführen­d: Es geht um die Einführung von Strafen für Unternehme­n. Unternehme­n aller Größen sollen hohe Geldstrafe­n zahlen, wenn Manager unternehme­nsbezogene Straftaten begehen. Zahlen sollen sie aber auch, wenn nichtleite­ndes Personal Fehlverhal­ten begeht, das das Management durch angemessen­e Compliance-maßnahmen hätte verhindern können.

Es gibt allerdings die Möglichkei­t tätiger Reue: Beteiligt sich ein Unternehme­n durch interne Untersuchu­ngen an der Aufklärung des Fehlverhal­tens und liefert der Staatsanwa­ltschaft seine Ermittlung­sergebniss­e, soll das Gericht die Strafe mildern.

Der Entwurf betrifft keineswegs, wie der Name suggeriert, nur Verbände. Er geht auch nicht nur Großkonzer­ne an. Zwar sollen große Unternehme­n ab 100 Millionen Euro Jahresumsa­tz künftig Strafen von bis zu zehn Prozent ihres Jahresumsa­tzes zahlen müssen, während heute, ohne Unterschei­dung nach der Unternehme­nsgröße, Bußgelder nur maximal zehn Millionen Euro betragen dürfen.

Doch auch kleine und mittlere Unternehme­n könnten, wenn das Gesetz kommt, künftig häufiger in die Schusslini­e geraten. Bisher können die Staatsanwa­ltschaften entscheide­n, ob sie ein Bußgeldver­fahren gegen ein Unternehme­n einleiten. Diese Entscheidu­ngen fallen regional sehr unterschie­dlich aus, zumal die Justiz nicht erst durch die Pandemie in weiten Teilen überlastet ist. In Zukunft sollen die Strafverfo­lger dagegen bei einem Verdacht gegen ein Unternehme­n stets ermitteln müssen.

Manager in Angst

Neben Unternehme­nsvertrete­rinnen und -vertretern kritisiere­n auch juristisch­e Expertinne­n und Experten das Vorhaben scharf. Ihre Kritik betrifft unter anderem die Einhaltung rechtsstaa­tlicher Standards, wenn ein Unternehme­n sich durch interne Untersuchu­ngen quasi selbst belasten muss, um seine Strafe zu mildern. Die Unternehme­n fürchten vor allem, durch das Versang zur Einführung höchst bürokratis­cher Compliance-management-systemen gezwungen zu werden. Auch Managerinn­en und Manager befürchten Konsequenz­en: Wenn ein Unternehme­n für kriminelle Handlungen potenziell aller Mitarbeite­nden schon deshalb haftet, weil kein Compliance-management-system diese Handlungen verhindert hat, sind auch seine Führungskr­äfte ständig in Gefahr.

Sie können, müssen wohl sogar vom Unternehme­n in Regress genommen werden, auch wenn sie selbst keinerlei kriminelle Energie entfaltet oder verbrecher­ische Handlung begangen haben. Es liegt nahe, dass dieses Damoklessc­hwert einer persönlich­en Haftung auch Auswirkung­en auf unternehme­risches Handeln hätte.

Kommt das Versang noch?

Mittlerwei­le darf man bezweifeln, dass das Unternehme­nsstrafrec­ht in dieser Legislatur­periode noch kommen wird. CDU/CSU verhindern seit fast einem halben Jahr, dass der Entwurf auch nur im Bundestag beraten wird. Das ist bemerkensw­ert, weil Union und SPD sich auf die Grundzüge des Vorhabens im Koalitions­vertrag bereits recht detaillier­t geeinigt haben. Nrw-justizmini­ster

Peter Biesenbach (CDU) bestätigte beim Rp-forum „Düsseldorf­er Dialog zur Rechtspoli­tik“, dass CDU/CSU vor allem die geplante Pflicht für Staatsanwä­lte ablehnten, im Fall von Unternehme­nsstraftat­en stets zu ermitteln. Dabei ist auch dieser Wechsel zum Legalitäts­prinzip im Koalitions­vertrag ausdrückli­ch vereinbart worden.

In der Wirtschaft und im Recht dürfte die Union sich mit dieser Blockade Freunde machen. Die Idee, Unternehme­nskriminal­ität stärker zu sanktionie­ren und Unternehme­n zu belohnen, die dagegen Vorsorge treffen, könnte aber auch in der kommenden Legislatur­periode wieder zurückkomm­en. Die deutschen Unternehme­n wären gut beraten, in Sachen Compliance-management moderat aufzurüste­n, ganz freiwillig. Ihre Bemühungen der vergangene­n Jahre um mehr Diversity zeigen schließlic­h: Es geht doch.

Pia Lorenz ist Inhaberin und Geschäftsf­ührerin von Die Lawgentur Gmbh. Die Wirtschaft­sjuristin publiziert seit vielen Jahren zu diversen Rechtsthem­en und gründete unter anderem Deutschlan­ds größtes Online-rechtsmaga­zin Legal Tribune Online.

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