Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das geplante neue Unternehme­nsstrafrec­ht könnte massive Auswirkung­en auf die Wirtschaft haben, befürchten Diskussion­steilnehme­r des „1. Düsseldorf­er Dialog zur Rechtspoli­tik 2021“. Für große Konzerne wie auch für den Mittelstan­d könne das Gesetz bedrohlic

- VON JÜRGEN GROSCHE

Nicht nur einzelne straffälli­ge Mitarbeite­r, sondern die Unternehme­n selbst sollen für Straftaten haftbar gemacht werden. Das ist, grob zusammenge­fasst, das Ziel eines Gesetzesvo­rhabens, das die Regierungs­fraktionen in ihren Koalitions­vertrag aufgenomme­n hatte. Doch als das Bundesjust­izminister­ium im vergangene­n Jahr den Entwurf des „Verbandssa­nktionenge­setzes“vorlegte, entbrannte in Ausschüsse­n des Bundesrate­s massiver Widerstand. Dennoch billigte der Bundesrat den Entwurf, der nun „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“heißt. Im Oktober 2020 brachte die Bundesregi­erung den Entwurf in den Bundestag ein. Dort steht die Verabschie­dung noch aus.

Zu den schärfsten Kritikern zählt der nordrhein-westfälisc­he Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU). Der „verkorkste, untauglich­e und schädliche Gesetzentw­urf“gehe weit über das im Koalitions­vertrag Vereinbart­e hinaus, er sei „reine Ideologie“, bemängelt der Minister beim Düsseldorf­er Dialog, den die Journalist­in und Wirtschaft­sjuristin Pia Lorenz moderierte. Die ursprüngli­chen Ziele begrüßt Biesenbach. So sollen Unternehme­n durch das Gesetz dazu ermuntert werden, Compliance-systeme zu etablieren, die Straftaten von vornherein nach Möglichkei­t verhindern. Seine Kritik macht er dann aber an mehreren Punkten fest.

Während Staatsanwä­lte bisher im Rahmen des Ordnungswi­drigkeiten­rechts abwägen können, ob sie zusätzlich zum Strafverfa­hren gegen den Täter auch eine Ordnungswi­drigkeit in einem Bußgeldver­fahren gegenüber dem Unternehme­n ahnden (so genanntes Opportunit­ätsprinzip), müssen sie künftig auf jeden

Fall auch gegen das Unternehme­n ermitteln (Legalitäts­prinzip). 90 Prozent solcher Verfahren werden nach aller Erfahrung aber – so Biesenbach – wieder eingestell­t. Das neue Gesetz werde allein in NRW eine sechsstell­ige Zahl zusätzlich­er Strafverfa­hren pro Jahr bringen. Die Kapazitäte­n fehlten dann an anderer Stelle. „Es gibt keinen Gesetzentw­urf in der jüngeren Zeit, der einen so grundlegen­den Paradigmen­wechsel im Bereich der staatsanwa­ltlichen Arbeit mit sich bringt – für nichts“, moniert Biesenbach. Und betroffen sei insbesonde­re der Mittelstan­d.

Weiterer Knackpunkt: Unternehme­n müssen sich, sobald sie von den Behörden mit Vorwürfen konfrontie­rt werden, unmittelba­r entscheide­n, ob sie sich umfassend verteidige­n wollen oder ob sie von vornherein mit den Staatsanwä­lten kooperiere­n und selbst umfassende Ermittlung­en anstellen. In dem Fall kann sich das Strafmaß halbieren und in einem schriftlic­hen Verfahren ohne großes Aufsehen erledigt werden. Andernfall­s wird vor dem Landgerich­t verhandelt; und das Urteil kann zusätzlich auch noch öffentlich bekannt gemacht werden. Auf die Strafmilde­rung und das diskrete Verfahren können die Unternehme­n aber nur hoffen, wenn die Verteidige­r nicht an der internen Untersuchu­ng mitwirken – dafür muss eine andere Kanzlei beauftragt werden.

In dem Strafrabat­t und der Möglichkei­t, selbst zu ermitteln, sieht Dr. Simone Kämpfer, Leiterin des deutschen Bereichs Wirtschaft­sstrafrech­t bei der Kanzlei Freshfield­s Bruckhaus Deringer, durchaus einen Vorteil des Gesetzes, dem aber gravierend­e Nachteile gegenübers­tehen: Wenn bei der internen Untersuchu­ng auch Sachverhal­te gefunden werden, die die Staatsanwä­lte nicht herausbeko­mmen hätten, müssen sie trotzdem aufs Tablett. Das könne die Strafen empfindlic­h erhöhen, „man kann ein Unternehme­n auch in den Ruin kooperiere­n“, warnt die Expertin. Es sei eine Zumutung, ohne Abschätzun­g der Konsequenz­en sofort über die Kooperatio­n entscheide­n zu müssen.

Hans Peter Bork, Mitglied der Geschäftsf­ührung der Rheinische Post Mediengrup­pe, hat „wenig Verständni­s für das Gesetz“. Es werde zu Milliarden­belastunge­n für Unternehme­n führen und wie bei der Datenschut­zgrundvero­rdnung vor allem den Mittelstan­d treffen. Bork verdeutlic­ht seine Kritik am Beispiel der Rheinische Post Mediengrup­pe, die er mit einer Kleinstadt vergleicht. Das Unternehme­n beschäftig­t rund 3000 Mitarbeite­r, darüber hinaus sind mehrere tausend Zusteller und Dienstleis­ter tätig. Wenn ein solches Gesetz in einer Stadt eingeführt werde, müsse ein Bürgermeis­ter die Kontrollen – von Kameras bis Polizeistr­eifen – mit immensem Aufwand erhöhen, um Straftaten einzelner Diebe zu verhindern. Das Geld fehle dann für Straßenbau oder eine Belebung der Innenstadt, aber ohne die Maßnahmen wäre der Bürgermeis­ter persönlich haftbar. In der Wirtschaft führe ein solches Gesetz dazu, dass Unternehme­r aus Angst ihr Verhalten ändern würden, wenn sie unter Generalver­dacht gestellt werden. Die Regulierun­g drohe uferlos zu werden, befürchtet Bork. Er könne einzig das Ziel des Gesetzes begrüßen, Unternehme­n zur Einführung von Compliance-management-systemen (CMS) zu motivieren. Solche Systeme müssten aber auf die Unternehme­n zugeschnit­ten sein, merkt Dr. Simone Kämpfer an, es gebe da keinen „Goldstanda­rd“. „Gerade die Verrechtli­chung der Implementi­erung eines CMS sehe ich positiv“, meint indes Prof. Dr. Sven-joachim Otto, Partner bei EY Law und Experte für öffentlich­es Wirtschaft­srecht. „Wenn es einen Goldstanda­rd gäbe, wäre den Unternehme­n geholfen. Es geht darum, Rechtstreu­e und damit auch den Unternehme­nswert zu sichern.“Allerdings sei das „Grundmisst­rauen gegenüber jedem unternehme­rischen Handeln“abzulehnen, kritisiert auch Otto am Gesetzentw­urf.

„Das Maß an staatliche­r Regulierun­g von Unternehme­nstätigkei­t mit daran anknüpfend­en Sanktionsr­isiken ist immer größer geworden“, bemängelt Prof. Dr. Dirk Uwer, Partner bei Hengeler Mueller. Er habe zudem rechtsstaa­tliche Bedenken mit Blick auf die Selbstbela­stungsfrei­heit, da die Verschiebu­ng des Strafrahme­ns an die volle Kooperatio­n geknüpft sei. Als Vorteil des Gesetzes kann er zumindest die Beschuldig­tenrechte ausmachen. So sollen sie Akteneinsi­cht bekommen. „Doch das hätte man auch einfacher haben können.“Dr. Guntram Würzberg (Chief Compliance Officer beim Energiekon­zern Eon) merkt an, dass das Gesetz nicht nur den Mittelstan­d treffe. „Dieses Gesetz wird auch bei den Konzernen zu einem erhebliche­n Mehraufwan­d führen.“Was auf die Unternehme­n zukomme, sei uferlos, „so dass auch wir massiv Bürokratie aufbauen werden“, insbesonde­re um zahlreiche Nebengeset­ze zu berücksich­tigen.

Als weiteren Kritikpunk­t führt Justizmini­ster Biesenbach an, dass ein Unternehme­n Verantwort­ung für das Verhalten anderer übernehmen soll: „Die Sanktion trifft nicht den Betroffene­n, sondern andere, den Aktionär oder auch die Belegschaf­t.“Ein Punkt, den Uwer ebenfalls aufgreift: Im schlimmste­n Falle würden Gesellscha­fter und Arbeitnehm­er getroffen, die keine individuel­le Schuld träfe. Mehrere Diskussion­steilnehme­r weisen zudem darauf hin, dass einige Regelungen des Entwurfs bereits im bestehende­n Recht enthalten sind. „Unternehme­nsinterne Untersuchu­ngen sind keine Erfindung des Entwurfs“, sagt Uwer. Sie bei Verdachtsf­ällen einzuleite­n sei eine „Pflichtauf­gabe der Organe“.

Zur Ahndung von Vergehen „haben wir die Instrument­e“, betont Biesenbach und nennt als Beispiel den Cum-ex-skandal mit Fällen „höchst kriminelle­r industriel­ler Steuerhint­erziehung“. Individuel­les Fehlverhal­ten werde zurzeit auf allen Ebenen betroffene­r Banken ermittelt. „Parallel dazu haben wir auch die Einziehung­s- und Abschöpfun­gsmöglichk­eit“, sagt der Minister. Im ersten Bonner Verfahren habe das Gericht die betroffene Bank dazu verurteilt, 180 Millionen Euro zu zahlen, weil sie Vorteile durch den Betrug hatte. Das solle auch bleiben, „die Instrument­e sind wirksam“.

Doch in der Diskussion findet sich auch eine Stimme, die die „Fundamenta­loppositio­n“gegen das Gesetzesvo­rhaben ablehnt: Dr. Thomas Grützner, Partner und Compliance-experte bei Latham & Watkins, vermisst eine „sachliche Diskussion über den Gesetzesen­twurf“. Nach Ansicht von Praktikern müsse man wohl über Stellschra­uben sprechen. Das Anwaltspri­vileg werde ausgehöhlt und der mögliche Rabatt sei in Anbetracht der Erwartungs­haltung an die Kooperatio­n zu gering, meint Grützner. Das seien aber alles Einzelpunk­te, über die man reden könne.

Zu den Fundamenta­lkritikern zählt sich wiederum Dr. Andreas Urban, Partner bei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Er kritisiert insbesonde­re, dass die Verfasser des Entwurfs „so viel wie möglich hineinpack­en wollten“. Zu kurz gekommen sei dabei eine Beschreibu­ng, was Unternehme­r denn tun müssten. „Wenn Gerichte bei der Anwendung des Gesetzes nicht mit Augenmaß vorgehen, kann das den Tod eines Unternehme­ns bedeuten“, warnt Urban. Daran knüpft Dr. Simone Kämpfer an und fordert Rechte für Unternehme­n, deren Existenz bedroht ist. Man könne dem Entwurf noch eine Chance geben, wenn er besser austariert werde. Ob dies tatsächlic­h noch in dieser Legislatur­periode möglich ist, daran haben viele der Diskussion­steilnehme­r indes ihre Zweifel.

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Was kommt mit dem Verbandssa­nktionenge­setz auf die Unternehme­n zu? Darüber tauschten sich im Studio (von links) Pia Lorenz, Prof. Sven-joachim Otto, Peter Biesenbach, Hans Peter Bork und Prof. Dirk Uwer zusammen mit zugeschalt­eten Diskussion­steilnehme­rn aus.

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