Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Das geplante neue Unternehmensstrafrecht könnte massive Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, befürchten Diskussionsteilnehmer des „1. Düsseldorfer Dialog zur Rechtspolitik 2021“. Für große Konzerne wie auch für den Mittelstand könne das Gesetz bedrohlic
Nicht nur einzelne straffällige Mitarbeiter, sondern die Unternehmen selbst sollen für Straftaten haftbar gemacht werden. Das ist, grob zusammengefasst, das Ziel eines Gesetzesvorhabens, das die Regierungsfraktionen in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hatte. Doch als das Bundesjustizministerium im vergangenen Jahr den Entwurf des „Verbandssanktionengesetzes“vorlegte, entbrannte in Ausschüssen des Bundesrates massiver Widerstand. Dennoch billigte der Bundesrat den Entwurf, der nun „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“heißt. Im Oktober 2020 brachte die Bundesregierung den Entwurf in den Bundestag ein. Dort steht die Verabschiedung noch aus.
Zu den schärfsten Kritikern zählt der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Der „verkorkste, untaugliche und schädliche Gesetzentwurf“gehe weit über das im Koalitionsvertrag Vereinbarte hinaus, er sei „reine Ideologie“, bemängelt der Minister beim Düsseldorfer Dialog, den die Journalistin und Wirtschaftsjuristin Pia Lorenz moderierte. Die ursprünglichen Ziele begrüßt Biesenbach. So sollen Unternehmen durch das Gesetz dazu ermuntert werden, Compliance-systeme zu etablieren, die Straftaten von vornherein nach Möglichkeit verhindern. Seine Kritik macht er dann aber an mehreren Punkten fest.
Während Staatsanwälte bisher im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts abwägen können, ob sie zusätzlich zum Strafverfahren gegen den Täter auch eine Ordnungswidrigkeit in einem Bußgeldverfahren gegenüber dem Unternehmen ahnden (so genanntes Opportunitätsprinzip), müssen sie künftig auf jeden
Fall auch gegen das Unternehmen ermitteln (Legalitätsprinzip). 90 Prozent solcher Verfahren werden nach aller Erfahrung aber – so Biesenbach – wieder eingestellt. Das neue Gesetz werde allein in NRW eine sechsstellige Zahl zusätzlicher Strafverfahren pro Jahr bringen. Die Kapazitäten fehlten dann an anderer Stelle. „Es gibt keinen Gesetzentwurf in der jüngeren Zeit, der einen so grundlegenden Paradigmenwechsel im Bereich der staatsanwaltlichen Arbeit mit sich bringt – für nichts“, moniert Biesenbach. Und betroffen sei insbesondere der Mittelstand.
Weiterer Knackpunkt: Unternehmen müssen sich, sobald sie von den Behörden mit Vorwürfen konfrontiert werden, unmittelbar entscheiden, ob sie sich umfassend verteidigen wollen oder ob sie von vornherein mit den Staatsanwälten kooperieren und selbst umfassende Ermittlungen anstellen. In dem Fall kann sich das Strafmaß halbieren und in einem schriftlichen Verfahren ohne großes Aufsehen erledigt werden. Andernfalls wird vor dem Landgericht verhandelt; und das Urteil kann zusätzlich auch noch öffentlich bekannt gemacht werden. Auf die Strafmilderung und das diskrete Verfahren können die Unternehmen aber nur hoffen, wenn die Verteidiger nicht an der internen Untersuchung mitwirken – dafür muss eine andere Kanzlei beauftragt werden.
In dem Strafrabatt und der Möglichkeit, selbst zu ermitteln, sieht Dr. Simone Kämpfer, Leiterin des deutschen Bereichs Wirtschaftsstrafrecht bei der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, durchaus einen Vorteil des Gesetzes, dem aber gravierende Nachteile gegenüberstehen: Wenn bei der internen Untersuchung auch Sachverhalte gefunden werden, die die Staatsanwälte nicht herausbekommen hätten, müssen sie trotzdem aufs Tablett. Das könne die Strafen empfindlich erhöhen, „man kann ein Unternehmen auch in den Ruin kooperieren“, warnt die Expertin. Es sei eine Zumutung, ohne Abschätzung der Konsequenzen sofort über die Kooperation entscheiden zu müssen.
Hans Peter Bork, Mitglied der Geschäftsführung der Rheinische Post Mediengruppe, hat „wenig Verständnis für das Gesetz“. Es werde zu Milliardenbelastungen für Unternehmen führen und wie bei der Datenschutzgrundverordnung vor allem den Mittelstand treffen. Bork verdeutlicht seine Kritik am Beispiel der Rheinische Post Mediengruppe, die er mit einer Kleinstadt vergleicht. Das Unternehmen beschäftigt rund 3000 Mitarbeiter, darüber hinaus sind mehrere tausend Zusteller und Dienstleister tätig. Wenn ein solches Gesetz in einer Stadt eingeführt werde, müsse ein Bürgermeister die Kontrollen – von Kameras bis Polizeistreifen – mit immensem Aufwand erhöhen, um Straftaten einzelner Diebe zu verhindern. Das Geld fehle dann für Straßenbau oder eine Belebung der Innenstadt, aber ohne die Maßnahmen wäre der Bürgermeister persönlich haftbar. In der Wirtschaft führe ein solches Gesetz dazu, dass Unternehmer aus Angst ihr Verhalten ändern würden, wenn sie unter Generalverdacht gestellt werden. Die Regulierung drohe uferlos zu werden, befürchtet Bork. Er könne einzig das Ziel des Gesetzes begrüßen, Unternehmen zur Einführung von Compliance-management-systemen (CMS) zu motivieren. Solche Systeme müssten aber auf die Unternehmen zugeschnitten sein, merkt Dr. Simone Kämpfer an, es gebe da keinen „Goldstandard“. „Gerade die Verrechtlichung der Implementierung eines CMS sehe ich positiv“, meint indes Prof. Dr. Sven-joachim Otto, Partner bei EY Law und Experte für öffentliches Wirtschaftsrecht. „Wenn es einen Goldstandard gäbe, wäre den Unternehmen geholfen. Es geht darum, Rechtstreue und damit auch den Unternehmenswert zu sichern.“Allerdings sei das „Grundmisstrauen gegenüber jedem unternehmerischen Handeln“abzulehnen, kritisiert auch Otto am Gesetzentwurf.
„Das Maß an staatlicher Regulierung von Unternehmenstätigkeit mit daran anknüpfenden Sanktionsrisiken ist immer größer geworden“, bemängelt Prof. Dr. Dirk Uwer, Partner bei Hengeler Mueller. Er habe zudem rechtsstaatliche Bedenken mit Blick auf die Selbstbelastungsfreiheit, da die Verschiebung des Strafrahmens an die volle Kooperation geknüpft sei. Als Vorteil des Gesetzes kann er zumindest die Beschuldigtenrechte ausmachen. So sollen sie Akteneinsicht bekommen. „Doch das hätte man auch einfacher haben können.“Dr. Guntram Würzberg (Chief Compliance Officer beim Energiekonzern Eon) merkt an, dass das Gesetz nicht nur den Mittelstand treffe. „Dieses Gesetz wird auch bei den Konzernen zu einem erheblichen Mehraufwand führen.“Was auf die Unternehmen zukomme, sei uferlos, „so dass auch wir massiv Bürokratie aufbauen werden“, insbesondere um zahlreiche Nebengesetze zu berücksichtigen.
Als weiteren Kritikpunkt führt Justizminister Biesenbach an, dass ein Unternehmen Verantwortung für das Verhalten anderer übernehmen soll: „Die Sanktion trifft nicht den Betroffenen, sondern andere, den Aktionär oder auch die Belegschaft.“Ein Punkt, den Uwer ebenfalls aufgreift: Im schlimmsten Falle würden Gesellschafter und Arbeitnehmer getroffen, die keine individuelle Schuld träfe. Mehrere Diskussionsteilnehmer weisen zudem darauf hin, dass einige Regelungen des Entwurfs bereits im bestehenden Recht enthalten sind. „Unternehmensinterne Untersuchungen sind keine Erfindung des Entwurfs“, sagt Uwer. Sie bei Verdachtsfällen einzuleiten sei eine „Pflichtaufgabe der Organe“.
Zur Ahndung von Vergehen „haben wir die Instrumente“, betont Biesenbach und nennt als Beispiel den Cum-ex-skandal mit Fällen „höchst krimineller industrieller Steuerhinterziehung“. Individuelles Fehlverhalten werde zurzeit auf allen Ebenen betroffener Banken ermittelt. „Parallel dazu haben wir auch die Einziehungs- und Abschöpfungsmöglichkeit“, sagt der Minister. Im ersten Bonner Verfahren habe das Gericht die betroffene Bank dazu verurteilt, 180 Millionen Euro zu zahlen, weil sie Vorteile durch den Betrug hatte. Das solle auch bleiben, „die Instrumente sind wirksam“.
Doch in der Diskussion findet sich auch eine Stimme, die die „Fundamentalopposition“gegen das Gesetzesvorhaben ablehnt: Dr. Thomas Grützner, Partner und Compliance-experte bei Latham & Watkins, vermisst eine „sachliche Diskussion über den Gesetzesentwurf“. Nach Ansicht von Praktikern müsse man wohl über Stellschrauben sprechen. Das Anwaltsprivileg werde ausgehöhlt und der mögliche Rabatt sei in Anbetracht der Erwartungshaltung an die Kooperation zu gering, meint Grützner. Das seien aber alles Einzelpunkte, über die man reden könne.
Zu den Fundamentalkritikern zählt sich wiederum Dr. Andreas Urban, Partner bei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Er kritisiert insbesondere, dass die Verfasser des Entwurfs „so viel wie möglich hineinpacken wollten“. Zu kurz gekommen sei dabei eine Beschreibung, was Unternehmer denn tun müssten. „Wenn Gerichte bei der Anwendung des Gesetzes nicht mit Augenmaß vorgehen, kann das den Tod eines Unternehmens bedeuten“, warnt Urban. Daran knüpft Dr. Simone Kämpfer an und fordert Rechte für Unternehmen, deren Existenz bedroht ist. Man könne dem Entwurf noch eine Chance geben, wenn er besser austariert werde. Ob dies tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode möglich ist, daran haben viele der Diskussionsteilnehmer indes ihre Zweifel.