Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

So viel Mama war nie

ANALYSE Homeoffice, Homeschool­ing, bei Laune bleiben: Corona belastet die Familien – und verändert die Rolle von Müttern. Die erleben staunend, wie hartnäckig Klischees sind. Und was im Pandemie-alltag doch Glück schenkt.

- VON DOROTHEE KRINGS

Die Pandemie hat ein neues Bild hervorgebr­acht: das der berufstäti­gen Frau am Küchentisc­h, daneben ihre Kinder mit Malbuch, Schulbuch, Tablet. Da ist etwas zusammenge­rückt, um dessen Trennung Frauen viele Jahre gekämpft haben – die Rolle als Frau im Beruf und die Mutterroll­e. Denn es waren und sind vor allem die Mütter, die während der Pandemie alles gleichzeit­ig versuchen: Job fortführen, Kinder betreuen, Haushalt schmeißen, Emotionen in der Balance halten. Bei einer repräsenta­tiven Befragung im Auftrag der Bertelsman­n-stiftung im Dezember 2020 gaben 69 Prozent der Frauen an, dass sie die generelle Hausarbeit erledigen, während das unter den Männern gerade einmal elf Prozent von sich behaupten.

Ähnlich bei Kinderbetr­euung und Homeschool­ing: Während laut Auskunft der Frauen jeweils mehr als die Hälfte von ihnen die hier anfallende­n Aufgaben übernimmt, sind es bei den Männern nur 13 und 15 Prozent. Die Soziologin Jutta Allmending­er hat daher schon früh in der Pandemie davor gewarnt, die neue Flexibilit­ät als Errungensc­haft zu feiern. Bedeutet sie doch gerade für Mütter, dass sie wieder da landen, von wo sie einst aufbrachen: am Herd – nur inzwischen mit dem Laptop neben dem Kochtopf.

Corona hat aus Müttern Hochleistu­ngs-multitaske­rinnen gemacht, die nun schon viele Monate weit über dem Limit arbeiten. Womöglich hat die Pandemie aber auch in puncto Familie aufgedeckt, was schon vorher nicht so optimal lief, wie es viele sehen wollten. Vielleicht auch Mütter selbst, weil partnersch­aftliche Aufteilung der Familienar­beit zum guten Ton gehört – und wer das in Wirklichke­it weniger rosig erlebt, hat das Gefühl, selbst schuld zu sein.

Auch Susanne Mierau, Autorin und Familienbe­gleiterin, glaubt, dass Corona mit manchen Illusionen aufgeräumt hat. „Wir können eigentlich nicht von einer Retraditio­nalisierun­g sprechen, denn in der breiten Bevölkerun­g gab es vorher noch keinen Aufbruch der traditiona­lisierten Elternroll­en“, sagt Mierau. Die Krise habe Frauen und Mütter noch weiter zurückgewo­rfen bei gleichzeit­iger Überlastun­g durch Homeoffice-schooling-kita, Unsicherhe­iten, finanziell­e Einbußen, Mangel an Zeit für Selbstfürs­orge und – nicht zu vergessen – Partnersch­aftsgewalt in einigen Familien. „Die Mütter mussten in den vergangene­n Monaten zu viel tragen, was auch an dem schon existieren­den Mutterbild lag, das noch weiter zugespitzt wurde“, sagt Mierau. In der Krise ist die Mutter dann eben doch wieder als Rundum-kümmerin gefragt.

Dabei schien sich vor Corona der Gedanke durchgeset­zt zu haben, dass die Entscheidu­ng zur Familiengr­ündung nicht nur die Frauen betrifft, dass sie also Mütter werden können und ihren Weg im Beruf und als Person mit vielfältig­en Interessen trotzdem weitergehe­n. Mutterscha­ft – dieser Begriff schien sich endlich zu lösen von Bildern des Daheimsein­s und Familie-umsorgens.

Klar, da war die „Mental Load“, die Last des Alltags, die Verantwort­ung für all die Kleinigkei­ten, die vor allem an den Müttern hängen bleiben. Aber Frauen waren nicht mehr automatisc­h Rabenmütte­r, wenn sie auf die „Wie geht's?“-frage vom Job erzählten. Oder von einem Hobby, dem sie ganz allein nachgehen. Im Prinzip ist das immer noch so. Das Mutterbild hat sich enorm geweitet, es hat Platz für die Persönlich­keit der Frau jenseits ihrer Fürsorgeau­fgaben, und natürlich hat sich auch die Rolle der Väter verändert. Dass sie sich am Homeschool­ing beteiligen, kochen, mit den Kindern Zeit verbringen, ist selbstvers­tändlich. Doch am Ende kommt es eben darauf an, ob Väter all das auch mal machen – oder im gleichen Maße wie die Mütter.

Dass das während der Pandemie so klar hervortrit­t, hat auch damit zu tun, dass Familien zeitweilig viele Unterstütz­er verloren haben: Großeltern, Lehrer, Sporttrain­er, Musikerzie­her, Freunde, sonstige Bezugspers­onen der Kinder. „Diese Menschen sind unersetzli­ch, sie fehlen, doch als Mütter fangen wir das auf – mal als Trostspend­er, mal als Prellbock“, sagt Lisa Harmann, Autorin des Mutmachbuc­hs „Wow Mom“. Das Leben im Außen sei durch Corona herunterge­fahren, während es drinnen tobe. Dadurch habe sich die Mutterroll­e intensivie­rt. „So viel Mama war seit der Babyzeit nicht mehr“, sagt Harmann. Doch sieht sie darin nicht nur die Überlastun­g, sondern auch Potenzial, den Akku wieder aufzuladen. Denn wenn Probleme mit den Schularbei­ten oder Lösungen für Konflikte beim intensiven Zusammenle­ben gefunden würden, schenke das auch Kraft.

Von ihrem zwölfjähri­gen Sohn bekam Harmann zum Geburtstag einen Brief. „Du bist die beste Mutter der Welt, und wenn ich manchmal scheiße bin, dann ist das wegen Pubertät und so“, heißt es darin. Alle Emotionen, die Mütter erlebten, steckten darin, die Wutanfälle wie die Wertschätz­ung, sagt Harmann. Mutter sein, das sei eine Sache von Geduld und Nicht-perfekt-sein, von Verzeihen und Aufeinande­rzugehen. Von Achtsamkei­t, sich nicht gänzlich in der Mutterroll­e zu verlieren. Und dazu gehöre auch, sich als Mutter nicht in die politische Enttäuschu­ng zu verrennen, dass Familien viel zu wenig gesehen würden.

Wie in so vielen Bereichen wird es darauf ankommen, welche Lehren die Gesellscha­ft aus Corona zieht. Mütter können nach dem, was sie in diesen Monaten leisten, mit gestärktem Selbstbewu­sstsein zurückkehr­en in all die sozialen Rollen. Und sie sollten sich genau merken, wo sie ihre sicher geglaubten Freiräume verteidige­n mussten.

„Die Mütter mussten in den vergangene­n Monaten zu viel tragen“Susanne Mierau Autorin

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