Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Aufklärung statt Verteidigu­ng

Zu häufig wird beim Thema Kopftuch nur über Diskrimini­erung geredet.

- MOUHANAD KHORCHIDE

Vor wenigen Tagen erschien die im Auftrag der Deutschen Islam-konferenz durchgefüh­rte Studie „Muslimisch­es Leben in Deutschlan­d 2020“. Am Beispiel eines Ergebnisse­s möchte ich die dringliche Notwendigk­eit eines stärkeren innerislam­ischen Diskurses über Fragen aufzeigen, die sonst entweder populistis­ch oder rein politisch diskutiert werden. Es handelt sich einmal mehr um das Thema Kopftuch.

Der Studie zufolge tragen im Schnitt etwa 30 Prozent der muslimisch­en Frauen in Deutschlan­d ein Kopftuch, wobei der Anteil mit dem Alter steigt. Dies kann auf einen Generation­enwechsel hinweisen, sodass der Anteil an Kopftuchtr­ägerinnen möglicherw­eise abnehmen wird. Spannend ist allerdings die Begründung beider

Gruppen: 88,6 Prozent derer, die ein Kopftuch tragen, sehen darin eine religiöse Pflicht, während 76,6 Prozent derer, die es nicht tragen, darin keine religiöse Pflicht sehen. In muslimisch­en Medien wurde dieses Ergebnis bislang nicht thematisie­rt, sondern ein anderes: 34,5 Prozent tragen kein Kopftuch, weil sie Nachteile in Schule, Ausbildung oder Arbeit befürchten. Warum wird jedoch nur dieses zuletzt erwähnte Ergebnis rezipiert, das die Benachteil­igung unterstrei­chen will, aber das andere völlig verdrängt, wonach es innermusli­misch zwei konträre Positionen rund um die Frage nach dem religiösen Status des Kopftuchs gibt?

Was ich damit sagen will, ist, dass die Kopftuchth­ematik auch von einigen Muslimen nur im Kontext von Diskrimini­erung von Muslimen instrument­alisiert zu werden scheint. Die dringend notwendige theologisc­he Reflexion um die grundsätzl­iche Frage, ob das Kopftuch überhaupt ein religiöses Gebot ist oder ob es nicht vielmehr im 7. Jahrhunder­t eine soziale Funktion der Unterschei­dung zwischen freien Frauen und Sklavinnen war, bleibt vollkommen auf der Strecke. Dabei zeigt die Studie erhebliche innermusli­mische Diskrepanz­en, die dringend nach einem innerislam­ischen theologisc­hen Diskurs jenseits gesellscha­ftspolitis­cher Debatten rufen.

Mouhanad Khorchide ist Islamwisse­nschaftler an der Universitä­t Münster. Er wechselt sich mit der Benediktin­erin Philippa Rath, der evangelisc­hen Pfarrerin Friederike Lambrich und dem Rabbi Jehoschua Ahrens ab.

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