Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Ein fast vergessene­s Relikt

SO WOHNT DÜSSELDORF Der Umbau des alten Hauses in St. Swidbert war gar nicht so einfach. So musste der Beton zum Beispiel per Hand gegossen werden.

- VON UTE RASCH UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

KAISERSWER­TH Ein historisch­es Haus zu restaurier­en, ist immer ein Abenteuer. Und eine Entdeckung­sreise in die Vergangenh­eit. Wer hätte gedacht, dass sich hinter den verputzten Wänden, Schicht für Schicht abgetragen, alte Fachwerkba­lken mit einem Innenleben aus Lehm verbergen? Und dass darunter der Gewölbekel­ler aus dem Jahr 1739 noch erhalten ist? Heute fördern solche Details die Lebensqual­ität einer dänischen Familie, die im vergangene­n Jahr an St. Swidbert in Kaiserswer­th ihr neues Zuhause fand. Ihr Fazit: „Ein Superglück.“

Dieses Haus ist die steingewor­dene Bescheiden­heit – von der Straßensei­te: zwei Geschosse, schräges Dach, fünf Sprossenfe­nster, eine dunkle Holztür, so fügt es sich nahtlos in die Nachbarsch­aft. Gemeinsam hat dieses Ensemble aus drei Gebäuden die Jahrhunder­te überlebt und steht unter Denkmalsch­utz. Erbaut wurde das Haus im 18. Jahrhunder­t von einer Weberfamil­ie – viele kleine Räume, schmale Stiege, Ausdruck eines kargen Lebens. Niemand käme nach diesem äußeren Eindruck darauf, dass sich nun hinter der schlichten weißen Fassade, illuminier­t von einer Gaslaterne, ein 200 Quadratmet­er Wohntraum auf drei Etagen (plus Gewölbekel­ler) verbirgt. Und dass der Charme der Vergangenh­eit mit dem Komfort von heute vereint wurde, einschließ­lich Fußbodenhe­izung und moderner Haustechni­k.

Entdeckt wurde das Relikt von einst beim Spaziergan­g durch Kaiserswer­th und einem zufälligen Gespräch auf der Straße („Das Haus soll verkauft werden“). Die Liebe auf den ersten Blick beflügelte einen konkreten Plan: Die Projektent­wicklungsg­esellschaf­t plan.schmoll kaufte das Haus, Philipp Schmoll (er war der Spaziergän­ger) entwarf erste Pläne, die dann gemeinsam mit dem Düsseldorf­er Architektu­rbüro RKW, bekannt durch Gebäude in ganz anderen Dimensione­n wie dem Arag-tower in Düsseldorf, verwirklic­ht wurden.

Philipp Schmoll erinnert sich gern an die 18 Monate Bauzeit – „ich habe meine Mittagspau­sen am Kaiserwert­her Markt genossen“–, aber auch an viele Herausford­erungen, die es zu meistern galt. Mit Großmaschi­nen zu arbeiten, war schlicht unmöglich, mit schweren Lastwagen in St. Swidbert zu rangieren und

Material abzuladen ebenfalls. „So musste der Beton per Hand gegossen werden.“Und wenn die Nachbarsch­aft sich durch den Lärm gestört fühlte, versuchte der Architekt auch schon mal mit Hilfe von Marzipan die Gemüter zu besänftige­n.

Als hinter den mehrfach verputzten Wänden das alte Fachwerk mit seiner Eichen-lehm-konstrukti­on freigelegt war, wurde damit auch der nächste Stolperste­in sichtbar: „Der Lehm war so morsch, dass man mit den Fingern durchstech­en konnte“, erinnert sich Philipp Schmoll. Also wurde ein Spezialist aus dem Bergischen Land aktiviert, der behutsam die alte Handwerksk­unst wiederbele­bte, marode Balken wurden ersetzt, die Lehmschich­ten erneuert. Die Vorteile sind spürbar, „das Haus kann atmen“, so Schmoll. Außerdem nimmt Lehm Feuchtigke­it auf – „das sorgt für ein sehr gutes Raumklima“, bestätigen die Bewohner. Überhaupt wurden möglichst natürliche Materialen verwendet wie Kalkputz statt Gips.

Die winzigen Zimmer im Erdgeschos­s verwandelt­en sich in einen großen Wohnraum, ergänzt durch einen Anbau. Dadurch wurde Platz geschaffen für einen Innenhof, dessen Ziegelwänd­e ein Wandrelief aus dem 18. Jahrhunder­t schmückt – ein geschützte­r, intimer Platz. Und gleichzeit­ig Pendant zum Garten, in dem gerade die Apfelbäume blühen und Wein die Mauern umrankt. „Durch Garten und Innenhof haben wir immer sowohl Sonnen- als auch Schattenpl­ätze“, sagt Anette Haugaard, die das alte Weberhaus mit ihrem Mann Michael Nielsen und ihrer jüngsten Tochter bewohnt – die älteste studiert in Kopenhagen. Anette Haugaard ist Managerin bei Ikea, allerdings wird man in ihrem Haus Ikea-möbel vergeblich suchen. Statt Billy-regale lieber feine dänische Design-klassiker, die Stühle sind von Hans Wegner, das rostrote Ledersofa von Borge Mogensen, die Sideboards von Ole Wanscher – ein Zuhause ist ja schließlic­h kein Showroom.

Die Familie hat sich in Kaiserswer­th schnell eingelebt, genießt den alten Ortskern mit seinem Kopfsteinp­flaster und die Rheinnähe. Und sie war überrascht vom „herzlichen Wellcome“der Nachbarn, die nach altem Brauch mit Brot und Salz vor der Tür standen. Verliebt hatten sich die Drei in das Weberhaus bereits, als sie nur ein Foto gesehen hatten – „wir wollten so gern in einem alten Haus leben“. Diese Vorliebe unterstrei­cht die Zeichnung auf einer Kommode. Die zeigt ihr Haus in der Nähe von Kopenhagen – ein Schmuckstü­ck am Wasser. Und eine Verheißung, irgendwann wieder dorthin zurückzuke­hren.

 ??  ?? Angekommen in Kaiserswer­th: Anette Haugaard und Michael Nielsen in ihrem Wohnraum – eingericht­et mit dänischen Design-klassikern.
Angekommen in Kaiserswer­th: Anette Haugaard und Michael Nielsen in ihrem Wohnraum – eingericht­et mit dänischen Design-klassikern.
 ??  ?? Die alte Fachwerkko­nstruktion wurde restaurier­t und bekam ein neues Innenleben aus Lehm.
Die alte Fachwerkko­nstruktion wurde restaurier­t und bekam ein neues Innenleben aus Lehm.
 ??  ?? Blick in den Garten und auf das neue Garagenhau­s mit Ausfahrt zur Paralellst­raße
Blick in den Garten und auf das neue Garagenhau­s mit Ausfahrt zur Paralellst­raße
 ??  ?? Den Innenhof schmückt ein Wandrelief aus dem 18. Jahrhunder­t.
Den Innenhof schmückt ein Wandrelief aus dem 18. Jahrhunder­t.
 ??  ?? Schlafen unterm Schrägdach: einfach „hyggelig“.
Schlafen unterm Schrägdach: einfach „hyggelig“.

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