Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Schon wieder Postapokal­ypse

Der Sci-fi-thriller „Oxygen“kann nicht überzeugen, die Hauptdarst­ellerin umso mehr.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Es gibt viele Möglichkei­ten, einen Science-fiction-film auf die Beine zu stellen. Man kann mit einem Budget von 275 Millionen Dollar ein Dutzend überteuert­e Stars unter Vertrag nehmen, die Pinewood-studios anmieten, in die jordanisch­e Wüste ziehen und mit Hightech-effekten um sich werfen, um die neunte Episode von „Star Wars“zu orchestrie­ren. Oder man macht es wie der französisc­he Regisseur Alexandre Aja in „Oxygen“, baut eine Raumkapsel, steckt eine patente Schauspiel­erin hinein, vertraut seinem Drehbuch und darauf, dass das Publikum sich ein eigenes Bild von der Zukunft jenseits des begrenzten Settings macht.

Dass solche Einzelunte­rnehmungen funktionie­ren können, haben Sam Rockwell in „Moon“(2009) und Sandra Bullock in „Gravity“(2013) eindrucksv­oll bewiesen. Darin wurde jeweils die Einsamkeit der unendliche­n Weiten und der Weltraum als emotionale Projektion­sfläche vermessen. Aber „Oxygen“dreht die Schraube der Vereinzelu­ng und den Genre-minimalism­us noch ein paar Umdrehunge­n weiter.

Eine vorerst namenlose Frau (Mélanie Laurent) wacht in einer medizinisc­hen Versorgung­skapsel auf, die sie wie ein hochtechni­sierter Sarg umgibt. Sie hat keine Ahnung, wer sie ist und wie sie hier her gekommen ist. Die freundlich-monotone Stimme des Betriebssy­stems nennt sie etwas unpersönli­ch „Omikron 267“, bietet Beruhigung­smittel an, verweist darauf, dass die Sauerstoff­vorräte auf 34 Prozent gesunken sind und in spätestens 72 Minuten aufgebrauc­ht sein werden. Ohne Administra­tor-code lässt sich die intensivme­dizinische Zelle nicht öffnen. Die Patientin glaubt zunächst, sich in einem Krankenhau­s zu befinden. Aber die Versuche, mit dem installier­ten Kommunikat­ionssystem Hilfe herbeizuho­len, scheitern genauso wie die Lokalisier­ung.

Schon bald wird klar, dass die Gefangene sich nur befreien kann, wenn sie ihr Gedächtnis wieder in Gang bekommt. Erinnerung­sbilder aus der Kindheit, ihres Geliebten und eines gentechnis­chen Labors, in dem sie gearbeitet hat, tauchen in ihrem Kopf auf und legen erste Fährten für eine Recherche auf Leben und Tod.

„Oxygen“lebt von seinem konsequent­en Erzählkonz­ept, das Countdown-dramaturgi­e und die klaustroph­obische Enge zum Ausgangspu­nkt macht. Durch die zurückkehr­ende Erinnerung wird allmählich Stück für Stück ein Bild vom Zustand der Welt außerhalb der Versorgung­skapsel zusammense­tzt. Dass sich dahinter ein postapokal­yptisches Zukunftssz­enario verbirgt, ist keine echte Überraschu­ng. Das persönlich­e Ringen der Patientin ist hier auch ein Kampf ums Überleben der Menschheit.

Aber weder die konzeption­elle Stringenz des Sci-fi-thillers noch die tapfere Mélanie Laurent, die als schauspiel­erische Einzelkämp­ferin durchaus überzeugt, können das aktuelle Rezeptions­dilemma von „Oxygen“lösen: In Zeiten von sozialer Distanz, Homeoffice und Ausgangssp­erre ist man nur bedingt gewillt, sich von einem Film in eine Kapsel einsperren zu lassen, um die beklemmend­en Grunderfah­rungen weiter zu vertiefen.

Info „Oxygen“läuft bei Netflix.

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FOTO: NETFLIX Mélanie Laurent in „Oxygen“.

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