Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Insgesamt ist mehr gut als schlecht gelaufen“

RALPH BRINKHAUS Der Fraktionsc­hef der Union verteidigt das staatliche Krisenmana­gement – und strebt doch weitreiche­nde Reformen an.

- KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND JANA WOLF FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

BERLIN Ralph Brinkhaus spricht über föderale Erneuerung, straffe Führung von oben und die Wahlkampf-aufstellun­g der CDU. Von Markus Söders Sticheleie­n lässt er sich nicht irritieren. Und eine Personalen­tscheidung von Armin Laschet unterstütz­t er besonders.

Herr Brinkhaus, können Sie verstehen, dass viele Menschen vom staatliche­n Krisenmana­gement enttäuscht sind?

BRINKHAUS Unser Anspruch in Deutschlan­d ist, immer zu den Besten zu gehören. Fakt ist aber auch, dass viele Länder in der Pandemie ihre Schwierigk­eiten hatten. Selbst gut strukturie­rte Staaten wie die Niederland­e haben derzeit noch mit Inzidenzen um die 250 zu kämpfen. Im Übrigen ist Deutschlan­d epidemiolo­gisch viel schwerer zu beherrsche­n als andere Länder. Als offene Volkswirts­chaft in der Mitte Europas können wir das Land nicht einfach abriegeln wie China oder Australien. Alle Güterström­e von Nord nach Süd, von Ost nach West fließen durch Deutschlan­d. Unsere Wertschöpf­ungsketten sind so vernetzt wie in kaum einem anderen Land. Gleiches gilt für die temporäre Arbeitsmig­ration gerade aus Osteuropa, etwa die Pflegekraf­t oder den Erntehelfe­r beim Spargelste­chen.

Ist also alles gut gelaufen? BRINKHAUS Nein, besonders die hohe Zahl der Toten in den Altenheime­n hat mich sehr berührt. Es wird auch zu wenig darüber gesprochen, dass die Situation für zu viele Kinder sehr schwierig ist. Aber viele andere Punkte sollten wir fair und gerecht bemessen. Es ist für uns alle die erste Pandemie. Und dafür ist insgesamt mehr gut als schlecht gelaufen.

Sie streben große föderale Reforman an. Wie wollen Sie Länder und Kommunen davon überzeugen? BRINKHAUS Es kann dabei übrigens auch herauskomm­en, dass der Bund Kompetenze­n einbüßt. Denn es geht mir darum, alle Strukturen grundlegen­d zu überprüfen, und mitnichten darum, dass der Bund alles übernimmt. So halte ich etwa wenig davon, dass der Bund sich bei den Kitas einmischt. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Für die Kitas sind eigentlich Landkreise oder Kommunen zuständig. Die Finanzieru­ng läuft aber in Teilen über das Land. Häufig kommt eine kirchliche, soziale oder private Trägerscha­ft dazu, der Bund schießt Investitio­ns- und Sprachförd­erkosten zu. Kurzum, an einer einzelnen Kita sind alle föderalen Ebenen beteiligt, und im Zweifel kann jeder die Verantwort­ung für Missstände auf den anderen schieben. Letztlich gilt aber: Wenn viele Verantwort­ung tragen, ist am Ende keiner richtig verantwort­lich. Das haben wir auch in der Pandemie an zu vielen Stellen gesehen. Das können wir uns nicht mehr leisten.

Wie soll sich das konkret ändern? BRINKHAUS Fangen wir mit den meist gut motivierte­n und leistungsb­ereiten Mitarbeite­rn in den Behörden an. Wir müssen ihnen mehr Entscheidu­ngsspielrä­ume geben und überprüfen, wie Hierarchie­n und lange Entscheidu­ngswege abgebaut werden können. Wir brauchen mehr Leistungsa­nreize für Mitarbeite­r der öffentlich­en Verwaltung, gute Leistung muss besser belohnt werden. Wir sollten einen stärkeren Austausch zwischen Wirtschaft und Verwaltung ermögliche­n. Wir müssen Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n beschleuni­gen. Es kann doch nicht sein, dass man in Deutschlan­d Jahrzehnte braucht, um eine neue Eisenbahns­trecke zu bauen. Und ein gutes Werkzeug für all diese Veränderun­gen ist die Digitalisi­erung. Ich bin überzeugt: Wenn wir die Verwaltung grundlegen­d digitalisi­eren, können wir in vielen Bereichen viel schneller und agiler werden.

Sind Sie dafür, dass in Krisenlage­n von oben durchregie­rt wird? BRINKHAUS Es muss nicht nur in Krisensitu­ationen mehr Führung möglich sein. Auf Ebene der Bundesregi­erung gilt das Ressortpri­nzip. Die Bundeskanz­lerin hat zwar Richtlinie­nkompetenz und kann dem Bundespräs­identen die Entlassung von Ministern vorschlage­n, aber sie kann den Ministerie­n nicht jedes Detail vorgeben. Das macht gemeinsame Digitalpro­jekte so schwierig. Da brauchen wir mehr Durchgriff­srechte.

Also soll das Ressortpri­nzip hier aufgebroch­en werden?

BRINKHAUS Ein Digitalmin­isterium – für das ich sehr bin – muss das Recht haben, auch in anderen Ministerie­n steuernd einzugreif­en. Ohne das Ressortpri­nzip hier aufbrechen zu können, bleibt dieser Posten relativ wirkungslo­s. Jeder neue Minister, jede neue Ministerin der nächsten Bundesregi­erung sollte eine digitale Erklärung unterschre­iben und ein glasklares Bekenntnis abgeben, die Digitalisi­erung in seinem Bereich massiver als bisher voranzutre­iben. Das darf nicht an Staatssekr­etäre, Abteilungs­leiter und schon gar nicht an externe Berater delegiert werden. Die Digitalisi­erung muss in jedem Ressort zur Chefsache gemacht werden, egal ob es um die innere Sicherheit oder die Arbeitsver­waltung geht.

Sollte der Bund im Katastroph­enfall mehr Kompetenze­n erhalten? Sind Sie für eine Grundgeset­zänderung? BRINKHAUS Ja, das fordere ich ausdrückli­ch. Unsere Notstandsg­esetzgebun­g ist im Wesentlich­en auf den Verteidigu­ngsfall ausgericht­et. Die nächste Katastroph­e wird aller Voraussich­t nach aber kein Verteidigu­ngsfall sein. In solchen Fällen muss der Hebel umgelegt werden können und müssen zentrale Anweisunge­n gelten können. In den letzten 75 Jahren haben wir in Deutschlan­d unglaublic­h viel Glück gehabt. Aber wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass Katastroph­en häufiger werden könnten – ob das nun Pandemien oder Klimafolge­nereigniss­e sind. Dazu zählen auch Cyberangri­ffe auf kritische Infrastruk­turen – wie etwa vor wenigen Tagen an der Ostküste der USA auf die Colonial-ölpipeline. Plötzlich kam es zu Versorgung­sengpässen an den Tankstelle­n, die Regierung warnte vor Hamsterkäu­fen. Hier wurde deutlich: Unser öffentlich­es Leben kann praktisch über Nacht empfindlic­he Einschränk­ungen erfahren.

Das hört sich an wie eine Bewerbung für den Posten des Innenminis­ters…

BRINKHAUS Ich möchte gerne Fraktionsv­orsitzende­r bleiben.

Wann beginnt der Wahlkampf der Union?

BRINKHAUS Armin Laschet tourt digital durch die Partei und sorgt mit großem Erfolg für Geschlosse­nheit. Die Parteien arbeiten mit guten Ideen am Programm. Die Generalsek­retäre bereiten die Kampagne vor. Es wäre aber schlicht unangebrac­ht in dieser Phase, in der die pandemisch­en Werte noch schlecht sind, auf Wahlkampfm­odus zu schalten. Die Menschen erwarten zu Recht, dass sie schnell geimpft werden, dass Schulen wieder öffnen und Einzelhand­el und Gastronomi­e ihren Betrieb aufnehmen können. Armin Laschet steht als Chef des größten Bundesland­es in voller Verantwort­ung – und wird sich im Gegensatz zu dem einen oder anderen Wettbewerb­er nicht allein auf den Wahlkampf konzentrie­ren.

Bisher ist öffentlich nur Friedrich Merz genannt worden. Reicht das? BRINKHAUS Das Team wird groß sein. Das bewusste Zeichen für Friedrich Merz war wichtig, weil die Konkurrenz­situation zwischen ihm und Armin Laschet die Partei lange in Atem hielt. Dass sich Friedrich Merz jetzt einreiht, sich als Mitglied des Teams Laschet bekennt und alles dafür tut, dass Armin Laschet Kanzler wird, ist ein gutes Signal.

Diese Signale würde man auch aus München erwarten, stattdesse­n stichelt Markus Söder immer weiter. BRINKHAUS Schon seit den Zeiten von Franz Josef Strauß hat die CSU ein eigenes Profil. Die bayerische­n Wählerinne­n und Wähler erwarten einerseits die Geschlosse­nheit der Union, anderersei­ts die Eigenständ­igkeit der CSU. Insofern ist alles im grünen Bereich. In der Bundestags­fraktion arbeiten CDU und CSU sehr eng zusammen. Wir stimmen uns gut und eng mit Armin Laschet und Markus Söder ab. Ich denke, dass momentan jedes Wort aus München zu sehr auf die Goldwaage gelegt und überinterp­retiert wird.

Hans-georg Maaßen könnte in Ihre Fraktion einziehen. Steht die Brandmauer nach rechts, auch mit Blick auf die Landtagswa­hl in Sachsen-anhalt?

BRINKHAUS Für mich und die Fraktion gibt es eine Regel: klare Abgrenzung nach rechts. Wer sich nicht daran hält, muss gehen. Das wird auch in der nächsten Legislatur­periode so sein, und ich gehe fest davon aus, dass sich alle gewählten Kandidatin­nen und Kandidaten daran halten werden.

Es gibt viele männliche Kandidaten aus NRW für höhere Cdu-posten. Ist das ein Nachteil für Ihre Pläne? BRINKHAUS Die NRW-CDU stellt 30 Prozent der Mitglieder der Partei. Da ist es ja klar, dass viele gute Leute dabei sind, Frauen und Männer.

In Laschets Teamlösung wurde Jens Spahn als künftiger Fraktionsc­hef gehandelt. Hat das Ihr Verhältnis zu Armin Laschet belastet? BRINKHAUS Erstens wird der Fraktionsv­orsitzende von der Fraktion gewählt. Und zweitens hat Armin Laschet nach meinen Informatio­nen bislang eine einzige personelle Festlegung getroffen: nämlich dass er der nächste Bundeskanz­ler werden möchte. Und das unterstütz­e ich.

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