Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Was hat er mit der FDP gemacht?
Mit der fünften Amtszeit rückt Christian Lindner in die Langzeit-kategorie von Genscher und Westerwelle. Er holt starke 93 Prozent.
BERLIN Er wolle eine „neue Dynamik ermöglichen“, sagte Christian Lindner im Dezember 2011, als er seinen Posten als Generalsekretär räumte. Die „Dynamik“katapultierte die Liberalen 2013 erstmals in ihrer Geschichte aus dem Bundestag. Seine rechtzeitige Flucht aus der Bundespolitik in die NRW-FDP bedeutete somit, dass er für den Absturz nicht verantwortlich zu machen war. Im Gegenteil richteten sich alle Hoffnungen auf ihn, die Trümmer zusammenräumen und die Verabschiedung der FDP aus der Geschichte verhindern zu können.
Es wurde eine FDP neuen Typs daraus. Bis 2013 war es quasi ein Gewohnheitsrecht nahezu aller Funktionsträger, jederzeit lustvoll am Stuhl anderer Fdp-verantwortlicher zu sägen. Jeder stänkerte gegen irgendeinen anderen, und kaum war ein Vorsitzender installiert, arbeitete ein Teil der Partei auch schon daran, ihn möglichst geräuschvoll wieder loszuwerden. Es mag die Tiefenwirkung des Rauswurf-schocks gewesen sein, dass damit unter Lindner abrupt Schluss war. Es ist das Verdienst Lindners, dass die alten Reflexe nach dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag nicht wieder ausbrachen. Er lässt intern Raum für andere Meinungen, drängt aber zur Geschlossenheit nach außen. Das mag ein wesentlicher Grund für die Chance sein, die FDP erstmals in der
Nachkriegsgeschichte zweimal hintereinander zweistellig in den Bundestag zu bringen.
Ein weiterer Grund liegt allen ständig wiederholten Enttäuschungsbekundungen zum Trotz an Lindners Entscheidung, die Beteiligung an einer Jamaika-regierung 2017 abzulehnen. Er hat damit das tagesaktuelle Hochpushen von Sympathiewerten zugunsten der Arbeit an einer langsam, aber stetig wachsenden Stammwählerschaft aufgegeben. Die hat, im Gegensatz zur alten Fdp-klientel, Gefallen daran gefunden, auf Dienstwagen und Ministerposten dann zu verzichten, wenn man die eigenen Inhalte nicht durchbekommt. Vor diesem Hintergrund ist das zentrale Versprechen Lindners bei diesem Parteitag nicht zu unterschätzen, dass es mit der FDP keine Steuererhöhungen geben wird, auch nicht zur Finanzierung der dreistelligen Milliardenleistungen in der Pandemiebekämpfung.
In der Parteitagshalle am Berliner Gleisdreieck, die wegen der digitalen Veranstaltung eher einem Tv-studio gleicht, verurteilt er zu Beginn seiner 67-Minuten-rede die Raketen auf Israel, den Antisemitismus in Deutschland und gewinnt den Zentralratsvorsitzenden Josef Schuster spontan als Gastredner. „Es reicht“, wird dieser sagen, an die Deutschen appellieren, nicht wegzusehen. „Wir müssen aufstehen“, sagt Lindner dazu.
Gewöhnlich würde an solchen Stellen lebhafter Applaus aufbranden. Bei Digital-parteitagen indes bleibt es weitgehend still. Lindner hat oft genug bewiesen, die Stimmung bei Delegiertentreffen hochbringen zu können. Nun stellt er sich auf Digitales ein. Leidenschaftlich wird er in seiner Rede nur einmal, als er dafür wirbt, sich von der „Logik des Verbots“zu lösen und diese durch eine „Logik der Begeisterung“– vor allem für neue Innovationen im Klimaschutz – abzulösen.
Zum Standardrepertoire von Vorsitzenden, die wiedergewählt werden wollen, gehört es, ordentlich gegen die politische Konkurrenz auszuteilen. Doch Lindner verzichtet auf die harten Töne, die ohnehin in der Stille der Studio-anmutung verhallen würden, lässt es bei süffisantem Aufzeigen von Widersprüchen und Nachfragen, lobt stattdessen sogar Spd-kanzlerkandidat Olaf Scholz als „respektable Persönlichkeit“, Unions-kanzlerkandidat Armin Laschet, der „Sympathisches“sage, und auch Grünen-kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die „Neugier“wecke.
Es fällt ihm natürlich nicht schwer, persönliche Verantwortung, Handlungsfreiheit und Aufstiegsversprechen der FDP als Alleinstellungsmerkmal durch alle aktuellen Politikfelder zu buchstabieren – von Pandemiebekämpfung über Bildung und Wohnungsmarkt bis hin zum Klimaschutz. Für viele einzelne Gruppierungen bietet er Konkretes, so wie er eingangs die FDP am Beispiel von Gegenentwürfen zur Corona-politik der Regierung als „Partei staatspolitischer Verantwortung“selbst in Zeiten der Opposition beschrieben hat.
Das letzte Fünftel seiner Rede verwendet er auf den Versuch, sich als Alleindarsteller zurückzunehmen und das „Team als Star“zu präsentieren. Wie ein Showmaster beim Vorstellen der Mitspieler im Kandidatenquiz geht er an den Mitstreitern vorbei, findet für viele ein lobendes Wort. So dankt er Generalsekretär Volker Wissing für seinen „exzellenten Programmentwurf“, beschreibt den ersten Vizevorsitzenden Wolfgang Kubicki als „väterlichen Freund und Partner“, würdigt die „große Souveränität“von Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann und nennt viele andere – bis hin zu den fachpolitischen Sprechern.
Wie er so locker frei redend vor den Kameras herumgeht, sich immer nur kurz am Rednerpult aufhält, das zeugt von einem Vorsitzenden, der voller Selbstsicherheit auf dem Höhepunkt seines Wirkens angekommen ist und seine Partei nun in die Regierung führen will. Der Eindruck täuscht nicht: 93 Prozent der an der Abstimmung teilnehmenden Delegierten sehen es genauso, so viele wie bei keiner Wahl zuvor.