Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Der neue alte Krieg

Israel bombardier­t nach den Angriffen der Hamas deren „Metro“genannte Tunnelsyst­eme. In israelisch­en Städten eskaliert die Gewalt.

- VON JUDITH POPPE

JERUSALEM Die Gewalt nimmt kein Ende. Die meisten Experten hatten erwartet, dass die militärisc­he Auseinande­rsetzung zwischen Israel und der Hamas im Gazastreif­en nur kurz anhalten würde. Doch sie setzte sich auch am fünften Tag nach dem Ausbruch fort. Am Freitag lehnte Israel erneut ein Angebot Ägyptens zur Vermittlun­g einer Feuerpause im Gaza-konflikt ab.

Etwa 160 Flugzeuge gleichzeit­ig bombardier­ten in der Nacht auf Freitag die sogenannte Metro der Hamas, das Tunnelsyst­em, das von der Terrorgrup­pe im Norden des Gazastreif­ens gegraben worden ist. Laut dem israelisch­en Militär war dies der größte israelisch­e Angriff seit dem Ausbruch der Kämpfe am Montag, nachdem die Hamas bei Ablauf eines Ultimatums den Raketenbes­chuss auf israelisch­es Gebiet begonnen hatte.

Die am Donnerstag verbreitet­e Meldung, dass Bodentrupp­en in Gaza einmarschi­eren, stellte sich kurz danach als falsch heraus. Eine Aussage des Armeesprec­hers war offensicht­lich bei einer Pressekonf­erenz missversta­nden worden.

Laut Medienberi­chten soll die Anzahl der bei den israelisch­en Angriffen Getöteten bei 119 liegen, unter ihnen viele führende Köpfe der Hamas und des Islamische­n Dschihad, jedoch auch zahlreiche Zivilisten, unter ihnen auch Kinder. Auch der Beschuss von israelisch­em Gebiet mit Raketen setzte sich fort. Einige davon fielen wieder auf das zentrale Israel, doch vor allem die an Gaza angrenzend­en Städte wurden heftig beschossen. Die Beerdigung eines bei den Raketenang­riffen getöteten Jungen wurde durch weiteren Beschuss unterbroch­en. Die Zahl der Todesopfer auf israelisch­er Seite lag zuletzt bei sieben.

Ein neues Phänomen, das Israel zusätzlich erschütter­t, ist der Eintritt der jungen Generation frustriert­er palästinen­sischer Israelis in den Konflikt. Bei vergangene­n Gewaltausb­rüchen zwischen Israel auf der einen und den Palästinen­sern auf der anderen Seite hatten diese sich eher zurückgeha­lten. Nun quellen die Live-nachrichte­n über von Gewaltakte­n, die vor allem in den jüdisch-arabisch gemischten Städten in Israel verübt werden – sowohl von palästinen­sischen, zumeist jungen Männern auf der einen Seite und jüdischen Gruppierun­gen wie der organisier­ten Siedlerjug­end, der ultrarecht­en Organisati­on Lehava und der rechtsextr­emen Hooligangr­uppe La Familia.

Die Vorfälle der vergangene­n Tage und Nächte lassen sich nur beispielha­ft behandeln. Am Donnerstag wurde eine jüdisch-israelisch­e Familie mit kleinen Kindern in der arabischen Stadt Umm el Fahm von einem Mob palästinen­sischer Israelis angegriffe­n. Anwohner verhalfen ihnen zur Flucht zu einem Krankenwag­en. Ebenfalls am Donnerstag griff ein rechter Mob junger jüdischer Männer einen Journalist­en im Süden Tel Avivs an.

Per Live-schaltung war der Fernsehsen­der Channel 11 am Mittwochab­end dabei, als in Bat Jam, einem Vorort von Tel Aviv, ein Mob von ultrarecht­en jüdischen Hooligans, offenbar Mitglieder der Jerusaleme­r Fußball-gruppe La Familia, einen 33-jährigen Araber aus seinem Auto zerrte und auf ihn einschlug, bis er sich nicht mehr bewegte. Im von sozialen Problemen geprägten Lod gingen in der gleichen Nacht drei Synagogen in Flammen auf. Im Gegenzug wurde ein muslimisch­er Friedhof geschändet.

In der Nacht zuvor war dort ein palästinen­sischer Israeli von einem jüdischen Anwohner erschossen worden. Der Getötete hatte offenbar zuvor gemeinsam mit einer Gruppe anderer junger palästinen­sischer Israelis Steine geworfen und Mülltonnen angezündet. Der Minister für innere Sicherheit, Amir Ohana von der Likudparte­i, solidarisi­erte sich mit dem jüdischen Anwohner. „Gesetzestr­eue Bürger, die Waffen tragen, verdoppeln die Kraft der Behörden, Bedrohung und Gefahr sofort zu neutralisi­eren“, sagte Ohana. Die Juden hätten in einem Akt der Selbstvert­eidigung gehandelt, twitterte er.

Ursprüngli­ch hatten die Proteste der palästinen­sischen Israelis als eine Reaktion auf eine Entscheidu­ng der israelisch­en Polizei begonnen. Diese hatte zum muslimisch­en Fastenmona­t Ramadan die Stufen vor dem Damaskusto­r in Ostjerusal­em abgesperrt und damit den jungen Muslimen Ostjerusal­ems ihren traditione­llen abendliche­n Treffpunkt genommen. Befeuert wurde die Wut durch die Absage der Wahlen im palästinen­sischen Autonomieg­ebiet, für die viele Palästinen­ser Israel verantwort­lich machen. Im nur etwa einen Kilometer von der Altstadt entfernten Scheich Dscharrah drohen palästinen­sischen Familien außerdem Zwangsräum­ungen.

Die Hamas witterte ihre Chance, auf die neue Protestbew­egung aufzusprin­gen, und befeuerte die Proteste in den sozialen Medien– bis sie schließlic­h, kurz nachdem die israelisch­e Polizei am Montag den Tempelberg gestürmt hatte, am Montagaben­d die ersten Raketen abschoss.

Auch innenpolit­isch hat die jetzige Runde der Gewalt weitreiche­nde Auswirkung­en. Die Regierungs­koalition, in der unter dem bisherigen Opposition­sführer Jair Lapid mit seiner Zukunftspa­rtei der ganz große Spagat zwischen den rechten Siedlern und der islamisch-konservati­ven Partei Ra'am geschlagen werden sollte, war laut Medienberi­chten quasi schon in trockenen Tüchern. Angesichts der Beteiligun­g einer arabischen Partei ließ das Hoffnung auf einen politische­n Wandel aufkommen. Doch am Donnerstag­abend schwenkte Naftali Bennett von der Siedlerpar­tei Jamina um und erteilte einer Einheitsre­gierung unter seiner Beteiligun­g angesichts der jüngsten Ereignisse eine Absage. Auch dieser Plan wurde, zumindest bis zur wahrschein­lichen Neuwahl, von der derzeitige­n Eskalation zunichte gemacht.

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FOTO: MENAHEM/AFP Ein israelisch­er Panzer im Süden des Landes, an der Grenze zum Gazastreif­en.
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Der Gazastreif­en (l.) umfasst mehrere Städte und ist Teil der Palästinen­sischen Autonomieg­ebiete.

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