Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Fünf Tage Vorlauf sind zu knapp“
Der neue Chef des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) NRW über Öffnungen und Fehler der Politik.
Herr Herbst, was überwiegt bei Ihnen: der Frust über die vergangenen Monate oder die Freude über die Erleichterung?
HERBST Die handwerklichen Fehler der Politik waren schon sehr ärgerlich. Und meine Hoffnung fehlt, dass sich daran nun etwas ändert. Aber ich bin ein optimistischer Mensch und schaue jetzt nach vorn – und dabei aber auch sehr genau hin, wie die Krise weiter gehandhabt wird.
Welche Fehler sehen Sie? Herbsthandwerklich ist ja von Anfang an vieles falsch gelaufen. Herr Scholz und Herr Altmaier haben Versprechungen ohne eine entsprechende Grundlage gemacht – und das in einer für viele Unternehmer existenziellen Situation. Dass man drei Monate braucht, um sich in einer derartigen Lage zurechtzufinden, das hat wohl jeder Bürger verstanden. Spätestens dann hätte man aber für die Fälle A, B und C einen vernünftigen, vorausschauenden Plan machen müssen. Das ist unterblieben, obwohl ich unterstelle, dass in den Ministerien dafür genügend Kapazitäten vorhanden wären.
Die Politik verweist immer auf die dynamische Lage...
HERBST Ein Freund von mir hat das Beherbergungskonzept für die Fußball Weltmeisterschaft 2006 koordiniert. Der hat anderthalb Jahre lang für alle Eventualitäten Pläne erstellt. Was macht man, wenn ein Hotel abbrennt oder in einem Salmonellen ausbrechen? Für jede Eventualität hat es Notfallpläne gegeben. Da ist Deutschland bislang immer ganz weit vorne gewesen. Doch von diesem weltmeisterlichen Planungsgeschick ist in der Pandemie insbesondere im politischen Raum wenig zu sehen. Unsere Politiker haben unserem Ansehen als Planungsweltmeister definitiv geschadet. Bei allem Ärger und noch einigen zu lösenden Problemen sind wir aber grundsätzlich froh darüber, dass wir Gastronomen oder Hoteliers in Deutschland sind und als Dehoga viel für die Branche erreichen konnten.
Dann sprechen wir mal über Kurzfristplanung: War die Vorlaufzeit für die Öffnungen in Gastronomie und Hotellerie ausreichend? HERBST Fünf Tage sind sehr knapp. Die Logistikketten funktionieren noch nicht. Mitarbeiter sind noch in Kurzarbeit, um nur zwei Beispiele zu nennen. In England erleben wir, dass viele Brauereien nur noch ihre Stammkunden bedienen. Ich hatte vergangene Woche ähnliche Gespräche mit drei Brauereien. Die haben alle gesagt: „Unsere Fässer sind noch nicht voll. Flaschenbier können Sie aber haben.“Es ist eine Hauruck-aktion. Aber eines ist auch klar: Das Signal, endlich wieder öffnen zu dürfen, war ein notwendiger und wichtiger Schritt.
In Münster denkt man über Öffnung der Innengastronomie nach.
HERBST Wieder so ein handwerklicher Fehler. Wenn in Münster alles möglich ist und das Wetter nicht gut, dann fallen da die Menschen aus den Nachbarkreisen oder womöglich noch von weiter entfernt ein. Für einen solchen Ansturm sind die Wirte und Hoteliers logistisch gar nicht vorbereitet. Und was das mit den Infektionszahlen macht, möchte ich mir gar nicht ausdenken. Es ist ja nett, dass man etwas machen möchte, das wirkt aber nicht nach einem klug durchdachten Plan. Auch aus diesem Grund haben wir eine Öffnungsperspektive für alle Betriebe gefordert, damit sich das entzerrt. Im Übrigen sind wir uns sicher, dass wir mit unseren Schutzkonzepten, den Aha-regeln plus dem Zugang nur für Getestete, Geimpfte und Genesene sehr gut aufgestellt sind – zum Schutz der Gäste sowie der Beschäftigten.
Wie sieht es denn überhaupt mit der Verfügbarkeit von Personal aus?
HERBST Die groben Schätzungen sagen, dass ein Drittel des Personals der Branche verloren gegangen ist. Selbst wenn es nicht ganz so dramatisch ausfallen sollte, wenn Personal fehlt, dann ist das für uns ein gravierendes Problem. Ein Beispiel: Geschäftsreisen sind ja schon langsam wieder angefahren. Da sagt mir ein Direktor, dass er jeden Rezeptionisten komplett neu anlernen muss. Die Kunden werden also in der Anfangszeit Qualitätseinbußen spüren. Es gibt immer noch große Befürchtungen, dass die Öffnungen wieder zurückgenommen werden könnten. Zudem lässt sich die Nachfrage nur schwer abschätzen. Kommt es zu einer „Jetzt erst recht“-haltung der Kunden und zu einem Ansturm? Oder sind die Menschen noch vorsichtig? Ich bin gespannt, wie viele Kollegen am Ende diesen Prozess überstehen werden, und hoffe auf das Verständnis unserer Gäste, wenn zu Anfang noch nicht alles reibungslos wie gewohnt verläuft.
Sie müssen jetzt kontrollieren, dass nur Getestete, Geimpfte und Genesene reinkommen.
HERBST Die Verantwortung kann auf jeden Fall nicht bei uns Gastronomen und Hoteliers abgeladen werden. Das befürchte ich aber auch nicht. Wir kontrollieren ja auch nicht, ob jemand einen gefälschten Personalausweis bei uns an der Hotelrezeption vorlegt. Übersetzt auf den Zugang zur Außengastronomie bedeutet das: Wenn die Coronaschutzverordnung in Bezug auf Tests fordert, eine Testbestätigung plus amtliches Ausweisdokument mitzuführen und vorzulegen, heißt das für mich: Vorlage ja, Kontrolle hinsichtlich der Richtigkeit der Dokumente nein.
Alle schielen auf den Urlaub. Was erwarten Sie für Ihre Branche? HERBST Ich gehe davon aus, dass wir mit dem Deutschland-tourismus noch einmal sehr gute Zahlen schreiben werden. Das braucht die Branche auch zum Überleben. NRW hat beim Stadttourismus, aber auch im ländlichen Raum durchaus einiges zu bieten.
Wie langfristig ist dieser Trend? HERBST Der Urlaub hilft für den Moment. Ob das ein langfristiger Trend werden kann, bezweifle ich. Die Sehnsucht, in ferne Länder zu fahren, ist groß. Viele von uns waren im Übrigen gar nicht auf den touristischen Ansturm vorbereitet. Ein Kollege, der ein Business-hotel betreibt, sagte mir jüngst, dass in seiner Lobby plötzlich Menschen saßen und einen Kaffee trinken wollten. Gewöhnlich checken seine Gäste ein, bringen ihre Sachen aufs Zimmer, arbeiten und reisen wieder ab. Dieses touristische Verhalten ist neu.