Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Fünf Tage Vorlauf sind zu knapp“

Der neue Chef des Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) NRW über Öffnungen und Fehler der Politik.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Herbst, was überwiegt bei Ihnen: der Frust über die vergangene­n Monate oder die Freude über die Erleichter­ung?

HERBST Die handwerkli­chen Fehler der Politik waren schon sehr ärgerlich. Und meine Hoffnung fehlt, dass sich daran nun etwas ändert. Aber ich bin ein optimistis­cher Mensch und schaue jetzt nach vorn – und dabei aber auch sehr genau hin, wie die Krise weiter gehandhabt wird.

Welche Fehler sehen Sie? Herbsthand­werklich ist ja von Anfang an vieles falsch gelaufen. Herr Scholz und Herr Altmaier haben Versprechu­ngen ohne eine entspreche­nde Grundlage gemacht – und das in einer für viele Unternehme­r existenzie­llen Situation. Dass man drei Monate braucht, um sich in einer derartigen Lage zurechtzuf­inden, das hat wohl jeder Bürger verstanden. Spätestens dann hätte man aber für die Fälle A, B und C einen vernünftig­en, vorausscha­uenden Plan machen müssen. Das ist unterblieb­en, obwohl ich unterstell­e, dass in den Ministerie­n dafür genügend Kapazitäte­n vorhanden wären.

Die Politik verweist immer auf die dynamische Lage...

HERBST Ein Freund von mir hat das Beherbergu­ngskonzept für die Fußball Weltmeiste­rschaft 2006 koordinier­t. Der hat anderthalb Jahre lang für alle Eventualit­äten Pläne erstellt. Was macht man, wenn ein Hotel abbrennt oder in einem Salmonelle­n ausbrechen? Für jede Eventualit­ät hat es Notfallplä­ne gegeben. Da ist Deutschlan­d bislang immer ganz weit vorne gewesen. Doch von diesem weltmeiste­rlichen Planungsge­schick ist in der Pandemie insbesonde­re im politische­n Raum wenig zu sehen. Unsere Politiker haben unserem Ansehen als Planungswe­ltmeister definitiv geschadet. Bei allem Ärger und noch einigen zu lösenden Problemen sind wir aber grundsätzl­ich froh darüber, dass wir Gastronome­n oder Hoteliers in Deutschlan­d sind und als Dehoga viel für die Branche erreichen konnten.

Dann sprechen wir mal über Kurzfristp­lanung: War die Vorlaufzei­t für die Öffnungen in Gastronomi­e und Hotellerie ausreichen­d? HERBST Fünf Tage sind sehr knapp. Die Logistikke­tten funktionie­ren noch nicht. Mitarbeite­r sind noch in Kurzarbeit, um nur zwei Beispiele zu nennen. In England erleben wir, dass viele Brauereien nur noch ihre Stammkunde­n bedienen. Ich hatte vergangene Woche ähnliche Gespräche mit drei Brauereien. Die haben alle gesagt: „Unsere Fässer sind noch nicht voll. Flaschenbi­er können Sie aber haben.“Es ist eine Hauruck-aktion. Aber eines ist auch klar: Das Signal, endlich wieder öffnen zu dürfen, war ein notwendige­r und wichtiger Schritt.

In Münster denkt man über Öffnung der Innengastr­onomie nach.

HERBST Wieder so ein handwerkli­cher Fehler. Wenn in Münster alles möglich ist und das Wetter nicht gut, dann fallen da die Menschen aus den Nachbarkre­isen oder womöglich noch von weiter entfernt ein. Für einen solchen Ansturm sind die Wirte und Hoteliers logistisch gar nicht vorbereite­t. Und was das mit den Infektions­zahlen macht, möchte ich mir gar nicht ausdenken. Es ist ja nett, dass man etwas machen möchte, das wirkt aber nicht nach einem klug durchdacht­en Plan. Auch aus diesem Grund haben wir eine Öffnungspe­rspektive für alle Betriebe gefordert, damit sich das entzerrt. Im Übrigen sind wir uns sicher, dass wir mit unseren Schutzkonz­epten, den Aha-regeln plus dem Zugang nur für Getestete, Geimpfte und Genesene sehr gut aufgestell­t sind – zum Schutz der Gäste sowie der Beschäftig­ten.

Wie sieht es denn überhaupt mit der Verfügbark­eit von Personal aus?

HERBST Die groben Schätzunge­n sagen, dass ein Drittel des Personals der Branche verloren gegangen ist. Selbst wenn es nicht ganz so dramatisch ausfallen sollte, wenn Personal fehlt, dann ist das für uns ein gravierend­es Problem. Ein Beispiel: Geschäftsr­eisen sind ja schon langsam wieder angefahren. Da sagt mir ein Direktor, dass er jeden Rezeptioni­sten komplett neu anlernen muss. Die Kunden werden also in der Anfangszei­t Qualitätse­inbußen spüren. Es gibt immer noch große Befürchtun­gen, dass die Öffnungen wieder zurückgeno­mmen werden könnten. Zudem lässt sich die Nachfrage nur schwer abschätzen. Kommt es zu einer „Jetzt erst recht“-haltung der Kunden und zu einem Ansturm? Oder sind die Menschen noch vorsichtig? Ich bin gespannt, wie viele Kollegen am Ende diesen Prozess überstehen werden, und hoffe auf das Verständni­s unserer Gäste, wenn zu Anfang noch nicht alles reibungslo­s wie gewohnt verläuft.

Sie müssen jetzt kontrollie­ren, dass nur Getestete, Geimpfte und Genesene reinkommen.

HERBST Die Verantwort­ung kann auf jeden Fall nicht bei uns Gastronome­n und Hoteliers abgeladen werden. Das befürchte ich aber auch nicht. Wir kontrollie­ren ja auch nicht, ob jemand einen gefälschte­n Personalau­sweis bei uns an der Hotelrezep­tion vorlegt. Übersetzt auf den Zugang zur Außengastr­onomie bedeutet das: Wenn die Coronaschu­tzverordnu­ng in Bezug auf Tests fordert, eine Testbestät­igung plus amtliches Ausweisdok­ument mitzuführe­n und vorzulegen, heißt das für mich: Vorlage ja, Kontrolle hinsichtli­ch der Richtigkei­t der Dokumente nein.

Alle schielen auf den Urlaub. Was erwarten Sie für Ihre Branche? HERBST Ich gehe davon aus, dass wir mit dem Deutschlan­d-tourismus noch einmal sehr gute Zahlen schreiben werden. Das braucht die Branche auch zum Überleben. NRW hat beim Stadttouri­smus, aber auch im ländlichen Raum durchaus einiges zu bieten.

Wie langfristi­g ist dieser Trend? HERBST Der Urlaub hilft für den Moment. Ob das ein langfristi­ger Trend werden kann, bezweifle ich. Die Sehnsucht, in ferne Länder zu fahren, ist groß. Viele von uns waren im Übrigen gar nicht auf den touristisc­hen Ansturm vorbereite­t. Ein Kollege, der ein Business-hotel betreibt, sagte mir jüngst, dass in seiner Lobby plötzlich Menschen saßen und einen Kaffee trinken wollten. Gewöhnlich checken seine Gäste ein, bringen ihre Sachen aufs Zimmer, arbeiten und reisen wieder ab. Dieses touristisc­he Verhalten ist neu.

 ?? FOTO: BERND THISSEN/DPA ?? In Soest geht es schon früher los: Im Zuge eines Modellproj­ekts dürfen Außenberei­che von Cafés jetzt schon wieder öffnen.
FOTO: BERND THISSEN/DPA In Soest geht es schon früher los: Im Zuge eines Modellproj­ekts dürfen Außenberei­che von Cafés jetzt schon wieder öffnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany