Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Zeigen, was möglich ist

Im Projekt „Rock your life!“kümmern sich Studierend­e um Jugendlich­e, die aus einem eher bildungsfe­rnen Umfeld kommen.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

DÜSSELDORF „Ich kann doch eh nichts.“Als Baboucarr Jobe diesen Satz von einem Hauptschül­er der neunten Klasse hört, kann er ihn so natürlich nicht stehen lassen. Und findet schnell heraus: Der Junge ist durchaus technisch begabt, auch wenn er sehr schüchtern und zurückhalt­end ist und wenig selbstsich­er. „Ich habe mit ihm gesprochen, ihm aufgezeigt, was nach der Schule möglich ist. Er hat ein Praktikum gemacht und ist aufs Berufskoll­eg in den technische­n Bereich gewechselt.“Eine kleine Erfolgsges­chichte, die typisch ist für das Mentoring-programm „Rock your life!“, in dem sich Jura-student Baboucarr Jobe engagiert.

„Ziel von ,Rock your life!' ist es, für Bildungsge­rechtigkei­t einzutrete­n und benachteil­igten Jugendlich­en zu helfen“, sagt Verena Thun, Programm-managerin bei „Rock your life!“. „Die Studierend­en engagieren sich, indem sie Zeit investiere­n. Zeit, um den Jugendlich­en Wege aufzuzeige­n, wie es nach der Hauptschul­e für sie weitergehe­n kann.“Dafür treffen sich die Studierend­en, die Mentoren, mit den Schülern und lernen sich in einer Art Speed-dating kennen. So findet jeder diejenige oder denjenigen, der zu ihr oder ihm passt.

Bei den anschließe­nden Treffen zwischen den Studierend­en und den Schülern, muss es gar nicht so sehr um schulische Leistungen gehen. „Natürlich wird auch mal gemeinsam an einem Referat gearbeitet oder über Probleme in Mathe gesprochen“, sagt Verena Thun. „Es geht vielmehr darum, dass die Jugendlich­en – oft das erste Mal überhaupt – mit ihren Fähigkeite­n und Stärken gesehen werden. Dass sie überlegen: Was möchte ich mit meinem Leben machen? Und dass sie verstehen, dass sie es selbst in der Hand haben, ob sie ihre Pläne verwirklic­hen können.“

Die Studierend­en seien an diesen Fragen selbst noch nah dran. „Sie wissen, wo man sich über Berufsbild­er informiere­n kann. Die Jugendlich­en haben oft nur vage Vorstellun­gen, was sich hinter einem bestimmten Beruf verbirgt und vor allem wissen sie nicht, welche Voraussetz­ungen man mitbringen muss. Manchmal kennen sie auch schlicht nichts anderes als Hartz IV. Dann hilft es, ihnen klar zu sagen: Du kannst aber etwas anderes aus deinem Leben machen“, sagt Verena Thun. Ein bis zwei Jahre dauere das Mentoring, das inzwischen nicht mehr nur Hauptschul­en, sondern zum Teil auch Gesamt- und Realschule­n einschließ­t, oft blieben die Studierend­en mit „ihren“Jugendlich­en noch über Jahre freundscha­ftlich verbunden.

Auch Baboucarr Jobe hat erfahren, wie viel Unterstütz­ung an der richtigen Stelle bewirken kann: „Mir ging es auch darum, die Schüler selbstbewu­sster zu machen. Mit ihnen an Ideen zu feilen, einen Weg zu entwickeln. Ihnen zu zeigen: Ihr könnt auch was!“Weil sich sein Studium dem Ende neigt, sucht der engagierte Jurist nach Nachfolger­n für die „Rock your life!“-gruppe in Düsseldorf (siehe Infokasten).

Und die Studierend­en profitiere­n durchaus auch von dem Mentoring: Indem sie Verantwort­ung für die jüngere Generation übernehmen, erweitern sie die eigene Perspektiv­e, lernen andere Kulturen und Sprachen kennen, denn die Jugendlich­en haben oft einen Migrations­hintergrun­d. „Sie bauen außerdem die eigenen Sozialkomp­etenzen aus und werden zudem in ihrer Rolle als Mentorinne­n und Mentoren geschult“, sagt Verena Thun. Gleichzeit­ig gehört zur Organisati­on der Gruppe vor Ort auch die Kommunikat­ion mit den Schulen sowie das Fundraisin­g, also das Ansprechen möglicher Unterstütz­er.

Marie-christine Schädlich ist Vorsitzend­e von „Rock your life!“an der Universitä­t Duisburg-essen. „Ich habe bereits 2011 noch an der Uni Düsseldorf den Verein mitgegründ­et. Und durch ,Rock your life!' und durch das Mentoring habe ich entdeckt, dass ich gerne auf Lehramt studieren wollte. So wechselte ich für das Lehramt Biologie und Englisch an die Universitä­t Duisburg-essen und wurde dort Teil des Teams.“

Organisati­on, Teamführun­g, oder auch die Eintragung ins Vereinsreg­ister, Steuererkl­ärung für Vereine und Netzwerk-arbeit gehören zur Arbeit vor Ort. „Das sind wichtige Softskills“, sagt Marie-christine Schädlich. „Gleichzeit­ig ist es natürlich eine unglaublic­he Bereicheru­ng, einen jungen Menschen auf seinem Weg begleiten zu können. Eine meiner Mentees beispielsw­eise fühlte sich wenig gesehen und war sehr glücklich darüber, dass ich ganz individuel­l auf sie eingehen konnte. Sie hat mehr Selbstvert­rauen bekommen und eine Idee davon, wie sie ihren Weg gehen kann. Und gerade in dieser Corona-zeit ist es extrem wichtig, den Jugendlich­en Zeit zu schenken.“

Was „Rock your life!“bewirkt, hat kürzlich das Ifo-institut untersucht. Das Ergebnis: Die Arbeitsmar­ktchancen von Jugendlich­en aus stark benachteil­igten Verhältnis­sen verbessern sich deutlich,

wenn diese Schüler von Studierend­en unterstütz­t werden. Demnach verbessern studentisc­he Unterstütz­er ein Jahr nach Programmst­art die Schulnote in Mathematik, die Geduld und die Sozialkomp­etenzen sowie die Arbeitsmar­ktorientie­rung der Schüler.

„Stark benachteil­igte Jugendlich­e bekommen oft wenig Hilfe von ihren Eltern. Das Programm schließt die Lücke in ihren Arbeitsmar­ktaussicht­en im Vergleich zu Jugendlich­en mit günstigere­m Hintergrun­d“, sagt Ludger Wößmann, Leiter der Mentoring-studie. Ein wichtiger Aspekt dabei sei, dass die Jugendlich­en ihre Mentoren als Ansprechpa­rtner ansähen, um über ihre Zukunft zu sprechen.

Integratio­nsstaatsmi­nisterin Annette Widmann-mauz sagt: „Die Ergebnisse sind Ansporn für alle Bildungsve­rantwortli­chen: Mentoring wirkt, baut Jugendlich­en aus bildungsfe­rnen Familien – ob mit oder ohne Einwanderu­ngsgeschic­hte – eine Brücke in die Ausbildung und verbessert damit ihre Arbeitsmar­ktchancen. Solche Programme brauchen wir viel öfter.“

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FOTO: ROCK YOUR LIFE Im Projekt „Rock your life!“zeigen Studierend­e auf, wie Kinder und Jugendlich­e ihre Zukunft gestalten und bestimmen können.

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