Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Erstes Semester: Totalausfa­ll

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Nein, es geht hier nicht um die aktuellen Erstsemest­er, die wegen Corona die Uni noch niemals „in echt“gesehen haben. Es geht um mein erstes Semester. Es war grauenhaft. Ich war damals ganz genau so uninformie­rt, wie es die Studie des Projekts #Usethenews für heutige Jugendlich­e feststellt. So hatte ich überhaupt keine Ahnung davon, dass an der Universitä­t gerade gestreikt wurde. Ich war damals auch keine Frühaufste­herin, kam also entspreche­nd spät an der Uni an und musste erst einmal sehr, sehr lange nach einem Parkplatz suchen. Endlich am Gebäude der Philosophi­schen Fakultät angekommen, sah ich mich dort mit Streikpost­en konfrontie­rt. Sie hatten ein Transparen­t gespannt, auf dem stand: „Rau wir machen Dich zur Sau“. Mir fiel nur der Kommafehle­r auf.

Erst später habe ich erfahren, dass es bei den bundesweit­en Streiks unter anderem um die Ablehnung der neu eingeführt­en Regelstudi­enzeiten ging. Für ein Studium sollten fünf Jahre reichen, das würde viele zusätzlich­e Studienplä­tze schaffen. Damals ahnte man noch nichts vom Bachelor-master-system und fand die angepeilte­n zehn Semester schon unverschäm­t kurz bemessen. Ich wurde von den Posten als Streikbrec­herin angepöbelt und fuhr völlig frustriert wieder nach Hause. Lange her. Warum ich Ihnen das hier erzähle? Weil es für alle Erstis damals ein Studienbeg­inn mit sehr großen Anlaufschw­ierigkeite­n war und ich letztlich erst im dritten Semester meine Wunschkomb­ination studieren konnte. Doch ich fand und finde bis heute meine Fächer toll. Ich habe dann mit allergrößt­em Interesse und ebenso viel Spaß und Erfolg ganze 14 Semester lang studiert. Denn neben einer Bafög-erhöhung hatten die Streikende­n auch durchgeset­zt, dass die Studienzei­t nicht begrenzt wurde.

Lange studieren, das geht übrigens auch heute noch, man wird nicht nach drei Jahren automatisc­h rausgeworf­en, wie es gerüchtewe­ise kolportier­t wird. Wer also sein Fach aus echtem Interesse gewählt hat, kann ohne Zeitdruck alles an Wissen mitnehmen, was die Uni bietet. Keiner meiner späteren Arbeitgebe­r fand übrigens meine Studienzei­t zu lang. Aber das ist ein anderes Thema.

Das Fazit dieser Kolumne für alle, die gerade ein Studium begonnen haben: Ich bin der festen Überzeugun­g, dass sich Durchhalte­n in jeder Hinsicht lohnt.

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FOTO: BERND SCHALLER Karin Wilcke ist selbststän­dige Berufsbera­terin und lehrt an der Uni Düsseldorf.

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