Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die staatliche Datenkrake

Chinas Regierung gibt als Ziel aus, den Alltag zu verbessern – Peking will aber auch umfassend überwachen.

- VON FABIAN KRETSCHMER

GUIYANG Wer einen Einblick in Chinas datengetri­ebene Zukunft erhaschen möchte, wird bereits nach wenigen Augenblick­en vom omnipräsen­ten Generalsek­retär begrüßt: „Es ist Xi Jinpings Wunsch, für unsere Provinz einen innovative­n Pfad einzuschla­gen“, sagt der junge Mann in dunklem Slim-fitAnzug und modischem Boxerhaars­chnitt. Er führt durch die „Big Data Exhibition“in Guiyang, wo die Regierung auf 7000 Quadratmet­ern die Errungensc­haften der digitalen Transforma­tion vorstellt. Die Räumlichke­iten erinnern mit ihren wellenförm­igen Led-leuchten, blinkenden Displays und transparen­ten Tischkonso­len an ein StarTrek-filmset.

Die südwestlic­he Provinz Guizhou, mehr als 2000 Kilometer von der Hauptstadt Peking entfernt, hat sich in den letzten fünf Jahren zum regelrecht­en Daten-mekka entwickelt. Ob China Mobile, Alibaba oder auch Apple: Sämtliche Tech-riesen haben in der hügeligen Region riesige Datenzentr­en errichtet, eingegrabe­n in Berghöhlen. Der Grund für die Standortwa­hl ist simpel: Das milde Klima sorgt für kühle Sommer, was wiederum die Rechenserv­er vor Überhitzun­g schützt. Zudem gilt die Gegend als erdbebensi­cher und verfügt über günstige Strompreis­e.

Wer durch die Hauptstadt der einst ärmsten Provinz des Landes fährt, sieht die Früchte des chinesisch­en Wirtschaft­swachstums: Ganze Stadtviert­el aus gläsernen Bürotürmen, riesigen Einkaufsze­ntren und begrünte Straßen wurden in Guiyang aus dem Boden gestampft. Der dynamische Eindruck wird durch einen Blick auf die Statistike­n untermauer­t: Selbst im Corona-jahr 2020 konnte Guizhou ein Wachstum von 4,5 Prozent erzielen – Hauptmotor ist die Datenindus­trie.

Von 2020 bis 2025 investiert die Zentralreg­ierung in Peking landesweit rund 1,4 Billionen Dollar in digitale „Schlüsselt­echnologie­n“von 5G-infrastruk­tur über autonome Fahrzeuge bis hin zu künstliche­r Intelligen­z. Allein in Guizhou befinden sich mittlerwei­le 23 Datenzentr­en mit fast vier Millionen Servern im Betrieb oder im Bau. Chinas „Big Data Valley“wird von Peking als Experiment­ierlabor betrachtet, um neue Anwendunge­n auszuprobi­eren.

In der „Big Data Exhibition“lassen sich einige davon begutachte­n: Eine Software kann aufgrund flächendec­kender Überwachun­g von Flussständ­en detaillier­te Dürrewarnu­ngen mindestens drei Tage im Vorhinein ausgeben. Zudem empfiehlt das auf künstliche Intelligen­z basierte Programm im Falle von Überflutun­gen, was die sichersten Routen für Rettungskr­äfte sind und welche Bewohner evakuiert werden sollten. Außerdem werden aufgrund der neuen, digitalen Infrastruk­tur die meisten Behördengä­nge bald obsolet – und können per Smartphone-app abgewickel­t werden. Auch helfen die Datenmenge­n dabei, Lieferkett­en zu optimieren und die Produktion­sabläufe in Fabriken zu automatisi­eren.

Dennoch bleiben mehr Fragen als Antworten: Wie geht der Staat mit Unternehme­n um, die ihre Daten den staatliche­n Zentren nicht zur Verfügung stellen? Und wie kann der massive Stromverbr­auch reduziert werden, der zunehmend mit den ambitionie­rten Klimaziele­n der Regierung in Konflikt gerät?

Vize-direktor Gao Sheng stellt sich der internatio­nalen Presse. Doch die Nervosität steht ihm ins Gesicht geschriebe­n: Seine Antworten gehen, auch nach mehrmalige­m Nachhaken, nicht im mindesten auf die Fragestell­ungen ein. Es ist eine ernüchtern­de Erkenntnis: Im post-pandemisch­en China wird ausländisc­hen Journalist­en nur mehr eine offizielle Fassade präsentier­t – und alles Erdenklich­e dafür getan, um den Blick dahinter zu erschweren.

Dabei haben die Parteikade­r in Peking jüngst ein neues Datenschut­zgesetz ausgearbei­tet, das noch in diesem Jahr in Kraft treten soll. In seinen Grundzügen orientiert es sich am Vorbild der Europäisch­en Union. Shawn Hu, Anwalt der Wirtschaft­skanzlei „King & Wood Mallesons“mit Sitz in Shanghai, hält Chinas Bemühungen um Datenschut­z für „legitim und sehr normal“, kontrovers­e Aspekte würden oftmals von den Medien ohne Grundlage hochgespie­lt.

Der Staat versteht sich vor allem darauf, den Bürger vor kommerziel­len Interessen der Online-unternehme­n zu schützen. Die offensicht­liche Gretchenfr­age bleibt jedoch unbeantwor­tet: Zwar kann der Staat seine datenhungr­igen Firmen bremsen, doch wer bremst den Staat, der sämtliche Kontrollin­stanzen von kritischen Medien bis hin zur Zivilgesel­lschaft längst ausgeschal­tet hat?

Datenschut­z besitzt eine ganz andere Dringlichk­eit in einem Land, das bis in den hintersten Winkel ausgeleuch­tet ist: Laut einer Recherche des „Wall Street Journal“werden die Behörden bis Jahresende insgesamt 560 Millionen Überwachun­gskameras installier­t haben. Selbst an den verlassene­n Sandstränd­en der tropischen Insel Hainan sind längst dreidimens­ional aufnehmend­e Sicherheit­skameras installier­t.

Wie umfassend die öffentlich­e Überwachun­g ist, demonstrie­rte zuletzt der Performanc­e-künstler Deng Yufeng im November: Der 35-Jährige maß jeden Zentimeter einer Pekinger Straße aus, identifizi­erte sämtliche 89 Sicherheit­skameras und deren Blickwinke­l. Dann rekrutiert­e Deng ein paar Dutzend Freiwillig­e für eine geradezu taktische Operation: mit Kriechen, Schleichen und Bücken galt es den Blicken der Staatsmach­t zu entkommen. Für 1,1 Kilometer brauchte die Gruppe über zwei Stunden. Doch die meisten Chinesen stören sich nicht am omnipräsen­ten „Big Brother“: Sie nehmen die Kameras als ein Mittel zur Verbesseru­ng der öffentlich­en Sicherheit dar.

Auch zwölf Zugstunden weiter südlich, in der örtlichen Feuerwehrw­ache von Guiyang, soll die Überwachun­g zum Schutz der Bürger dienen: Mit smarten Kameras können Rauchentwi­cklungen bereits vor dem menschlich­en Auge entdeckt werden. Außerdem beobachtet man die Temperatur der städtische­n Stromleitu­ngen sowie die vorhandene Feuerschut­zausrüstun­g von öffentlich­en Gebäuden in Echtzeit. Auf einer eingefärbt­en Stadtkarte lässt sich also bereits präventiv erkennen, welche Viertel einer erhöhten Brandgefah­r ausgesetzt sind.

Doch schlussend­lich befindet sich die „Big Data“-provinz Guizhou nach wie vor in ihren Kinderschu­hen. „Wir wollen die Daten in ökonomisch­en Nutzen ummünzen. Hier im Südwesten ist es allerdings schwierig, junge Talente anzuziehen“, sagt Hu Jianhua, Vize-leiter der örtlichen „Big Data“Verwaltung. Hu ist ein hemdsärmel­iger Mann von bulliger Statue; einer jener seltenen Regierungs­beamten, die auch mit ausländisc­hen Journalist­en Tacheles reden: „Zwar bauen wir Ausbildung­szentren, aber noch hängen wir den Städten an der Ostküste hinterher“. Rund 100.000 Fachkräfte würden derzeit in Guizhous Digitalbra­nche fehlen.

Und wie kommt der chinesisch­e Staat an die Daten seiner OnlineKonz­erne? „Die meisten Unternehme­n wollen zwar selbst öffentlich­e Daten, aber ihre eigenen Kerndaten nicht preisgeben“, sagt Hu: „Wir können sie nur ermutigen, aber natürlich nicht zwingen“.

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FOTOS (2): FABIAN KRETSCHMER Ein Blick in den hochtechni­sierten Betriebsra­um der Feuerwehrw­ache Guiyang.
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Gao Sheng ist der Vize-direktor der „Big Data Exhibition“.

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