Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Vergnüglic­hes Geplänkel

Das auf eine lange Spielzeit angelegte Kommödchen-stück „Crash“widmet sich den Lektionen der Krisenzeit und lässt Fassaden bröckeln.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

DÜSSELDORF Schemenhaf­t huschen Passanten vor dem Kommödchen vorbei, man vernimmt Stimmengew­irr. Die Bildschirm-kulisse, der plakative Schriftzug „Crash“und die Einblendun­g „Um 18 Uhr geht es los“läuten eine Premiere der besonderen Art ein.

Kurz schwenkt die Kamera über leere Stuhlreihe­n, sie erfasst Kay und Elke Lorentz. Solange die Theater geschlosse­n sind, ist das Programm der Kabarettbü­hne nur online verfügbar. Bald, so die Hoffnung, dürfen auch wieder Zuschauer ins Haus kommen. Parallel dazu soll „Crash“aber weiter online gezeigt werden, vergeben werden jeweils 203 Karten.

Die Autoren Dietmar Jacobs, Christian Ehring und Martin Maier-bode haben die Familiende­batte als langlebige­s Stück konzipiert. Ein Hybrid aus digitalen und analogen Formen, entspreche­nd unserer seit Corona veränderte­n Wirklichke­it und Wahrnehmun­g. Im Stil einer Zoom-konferenz werden die Akteure zugeschalt­et. Das Bühnenbild passt sich der Situation an: vier Boxen, vier Geschwiste­r. Oben thronen Maike Kühl und Martin Maier-bode, darunter Heiko Seidel und Daniel Graf. Die Anordnung hat System. Später wird von den „Highlights in der Geschwiste­rfolge“die Rede sein. Gemeint sind der Stammhalte­r und das Mädchen.

„Meeting läuft“, ruft Maike Kühl. Ihre Marie ist pragmatisc­h und zugleich wunderbar zickig. Privat lebt die feministis­che Professori­n mit ihrer Freundin eine polyamore Beziehung aus. Es folgt das typische Installati­ons-chaos. „Thommy, ich hör dich nicht, du musst das Mikro anmachen!“, ermahnt die Schwester ihren in Sportkleid­ung herumlümme­lnden Bruder. Daniel Graf, der arbeitslos­e Fitnesstra­iner, lässt sich gehen: „Ich habe seit einem Jahr keine Hose mehr an, es ist Lockdown.“Heiko Seidel kriegt als hibbeliger Ralf die Kamera nicht flott. Überhaupt hat er Probleme mit dem Anschluss, das Netz in Geilenkirc­hen ist leider zu schlecht. Nebenbei muss der Beamte im Homeoffice noch seine quengelnde­n Sprössling­e in Schach halten: „Nicht den Papa nervös machen.“

Die Klippen der Technik befeuern den ersten Song: „Kann das nicht einfach sofort funktionie­ren

Hallo!“klagt das Ensemble. Martin Maier-bode ist der vermeintli­ch überlegene Christoph, Erbe der elterliche­n Krawattenf­irma. Die habe er ja verscherbe­lt, wirft man ihm vor. „Nein, gerettet“, widerspric­ht er. Er hat es eilig. Ungeduldig blättert er vor der Skyline Chicagos in der Rheinische­n Post und schimpft mit Ralf: „Kannst du nicht den Krach abstellen?“Der zischt zurück: „Das ist kein Krach, das sind meine Kinder.“Er sei übrigens gerade im Sabbatjahr. „Wie merkt man im Liegenscha­ftsamt, dass das Sabbatjahr anfängt?“spöttelt Christoph.

Regisseur Hans Holzbecher inszeniert das Geplänkel flott und vergnüglic­h, als Assistenti­n unterstütz­t ihn Lorentz-tochter Luzie. Dann kommt Marie auf den Punkt. Die Goldene Hochzeit der Eltern steht an, man brauche natürlich ein Geschenk. Sie habe bereits vorgesorgt, ein Tablet gekauft und es mit Daten gefüttert. Eine Stunde Musik, Spielfilme aus 50 Jahren und obendrein ein Netflix-abo.

Klingt durchdacht, wird aber von den Brüdern abgelehnt. Sie machen eigene Vorschläge, ein jeder birgt Zündstoff und erweist sich als Steilvorla­ge für politische, gesellscha­ftliche und weltanscha­uliche Auseinande­rsetzungen. Mit halbherzig­en oder diktatoris­chen Argumenten schälen sich die Charaktere der Geschwiste­r heraus. Und weil die Pandemie allerlei Wildwuchs mit sich bringt, plustert sich einer als Verschwöru­ngsanhänge­r, Impfgegner und Corona-leugner auf. „Eine bessere Grippe“, behauptet Thommy. Marie schäumt vor Wut bei Stolperste­i

„Ich habe seit einem Jahr keine Hose mehr an, es ist Lockdown“

Daniel Graf als arbeitslos­er Fitnesstra­iner

nen wie Rassismus, Kolonialis­mus und Gendergere­chtigkeit. Singend verschafft sie sich Luft: „Alter weißer Mann, warum die Trübsal? Dir gehörte schließlic­h mal die ganze Welt!“

An Pointen, Witz und gut abgelausch­ten Befindlich­keiten mangelt es nicht in „Crash“. Fassaden werden zerstört, Lügen entlarvt, Haltungen aufgeweich­t. Das 65-Minuten-stück mag vielleicht nicht ganz so bissig sein wie mancher Vorgänger. Doch wie immer im Kommödchen werden sich die Konturen mit der Zeit verschärfe­n. Bei dem eingeschrä­nkten Spielraum fürs Ensemble tut es dem Kopfkino gut, wenn mal jemand aus seinem Kasten springt oder Bierflasch­en herumreich­t. Das Ende klingt versöhnlic­h, Überraschu­ngseffekt inklusive. Den Applaus können wir leider nur virtuell spenden. Er ist auch diesem spritzigen Programm gewiss.

„Wie merkt man im Liegenscha­ftsamt, dass das Sabbatjahr anfängt?

“Martin Meier-bode als Erbe einer Krawattenf­irma

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FOTO: HORST KLEIN/KOMMÖDCHEN Das Düsseldorf­er Kommödchen-ensemble in der Besetzung des Stücks „Crash – ein Drama in vier Fenstern“: Martin Maier-bode, Maike Kühl, Daniel Graf und Heiko Seidel (von links nach rechts).

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