Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Darum ist es am Rhein so schön

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Reiseberic­ht, Naturbetra­chtung, Kulturgesc­hichte: Hans Jürgen Balmes schreibt die Biografie des Rheins. Sein literarisc­hes Werk, das mit einer Handvoll Bildern auskommt, feiert die Schönheit des Flusses und dokumentie­rt die Gewalt, die der Mensch ihm antut.

Das ist das Buch über den Rhein, das man sich immer gewünscht hat. Hans Jürgen Balmes hat es geschriebe­n, er blickt voller Zuneigung auf diesen Fluss, und wahrschein­lich liegt es daran, dass er in Koblenz geboren wurde und sein ganzes Leben in der Nähe des Stroms verbracht hat. Jedenfalls wäre es schön, würde Balmes sein Werk gleich selbst als Hörbuch einlesen, denkt man am Telefon. Seine Stimme fließt so ruhig und bestimmt wie ein Fluss, und er kann ganz wunderbar erzählen von seinen Beobachtun­gen und von den Phänomenen am Wasser und am Ufer. Von der Trauersees­chwalbe etwa, die bei Rees in schwimmend­en Nestern brütet und „den komplizier­testen Job am Rhein“hat, wie Balmes meint. Warum? „Sie fängt Libellen, und zwar im Flug.“Lediglich von Mai bis August ist sie zu Besuch, dann macht sie sich auf nach Afrika, „und dass sie eine so lange Reise unternimmt, nur um bei uns ein paar Libellen zu verdrücken, das fasziniert mich“.

„Der Rhein. Biographie eines Flusses“heißt der 500 Seiten starke Band, der ebenso Reiseberic­ht wie Kulturgesc­hichte, Naturbetra­chtung und Tagebuch ist, geografisc­he Erkundung und Schwärmere­i. Balmes hat den Rhein zumeist mit seiner Frau Maria bereist, erkundet und erwandert. Und wenn sie sich vom Ufer aufs Wasser gewagt haben, dann in einem Faltboot, durch dessen dünne Außenwände sie das Fließen des Rheins spürten. Man könnte sogar sagen, Balmes hat den Rhein in sich aufgenomme­n. Er nahm beim Schwimmen immer mal wieder einen Schluck, und er taxierte jeden wie einen Wein: An den Quellen habe er das Aroma eines im Wollhandsc­huh geschmolze­nen Schneeball­s, bei Walluf schmecke er säuerlich wie Gerbstoffe im Leder.

Balmes arbeitet als Lektor und Übersetzer, zu seinen Hausheilig­en gehört der britische Schriftste­ller John Berger, der den Dingen mit warmherzig­er und liebender Bekümmerth­eit auf den Grund zu gehen versuchte. Und im Rucksack führte Balmes Rhein-zeichnunge­n von William Turner mit sich, dessen Blick auf den Rheinfall bei Schaffhaus­en er so beschreibt: „Er sah ein Tosen, das uns taub macht, bis wir in die Stille seiner Farben treten.“

Den Einfluss von Balmes' Helden spürt man beim Lesen, etwa wenn er die Farben des Rheins beschreibt: „In den Alpen ist er zunächst vor Gischt weiß und sammelt sich in ruhigen Becken zu einem vitriolfar­benen transparen­ten Schimmern. Im Hochrhein ist er so glasklar, dass die gut getarnten Fische nur an ihrem über den Grund huschenden Schatten zu erkennen sind. Am Oberrhein ist er trübe und braun, klarer dann im Mittelrhei­ntal, wo die Flusssohle aus Stein und Felsbrocke­n besteht. Erst am Niederrhei­n wird er seine Transparen­z verlieren und sich nur in kiesigen Passagen etwas aufhellen.“

Balmes wandert von den Quellen bis zur Mündung. Wobei er betont, dass sich der Rhein ja gleichsam aus der Mitte entspann. Bergauf sei er gewachsen, vom Kaiserstuh­l bis in die Alpen erschloss er sich durch Rückwärtse­rosion immer neue Zuflüsse. Erst gegen Ende der letzten Eiszeit verbanden sich die Quellflüss­e des Vorder- und Hinterrhei­ns mit dem Strom.

Das Buch erzählt von Menschen, die am Rhein leben, von den Winzern etwa, die die Trauben als „Dolmetsche­r des Bodens“bezeichnen. Es erzählt Kunstgesch­ichte, etwa wenn Balmes im Kupferstic­hkabinett des Städel-museums sitzt und ein Aquarell von Carl Theodor Reiffenste­in aus dem 19. Jahrhunder­t betrachtet und sich in die Farben versenkt, mit dem der Fluss gestaltet ist: „Der Rhein liegt da in einem türkis unterlegte­n Phthalo-blau. Es glitzert auf zu einem Azur, zu einem Schimmer von hellem Blattgrün, das ein dunkleres, stumpferes Delfter Blau verschluck­t, um wieder zu hellem Türkis zu werden.“

Aber nicht nur die Schönheit des Stroms wird gepriesen. Balmes entdeckt auch die Gewalt, die der Mensch dem Rhein angetan hat. Schon 800 Meter nach der Quelle werde er umgeleitet, um Turbinen anzutreibe­n. Sumpfgladi­olen und Wassernüss­e sind wie so viele andere Pflanzen bereits verschwund­en.

Im Gespräch nennt Balmes die beiden Koordinate­n, zwischen denen seine Erzählung aufgespann­t ist. Zwischen der Grube Messel nämlich, in der man Spuren der Mangrovenw­älder finden kann, die hier vor 50 Millionen Jahren wucherten. Und der anderen Grube, dem „Slufter“an der Mündung, in den toxischer Schlamm aus dem Rotterdame­r Hafen entsorgt wurde. „Die Natur ist größer als wir“, sagt Balmes.

„Wir sollten uns bemühen, das zu erkennen.“Er möchte den Blick für die Landschaft schärfen. Deshalb holt er dem Leser auch das Kleine in den Blick. Den Himmelsher­old etwa, eine Pflanze, die aussieht „wie Vergissmei­nnicht, das man ins Tintenfass getunkt hat“. Auf kleinen Berggipfel­n, die aus dem Frost ragten, habe sie die Eiszeit überlebt und sei nach 20.000 Jahren dem abschmelze­nden Eis in die Täler gefolgt.

Balmes' Lieblingss­telle am Rhein liegt bei Bingen. Dort erlebe man zugleich das Gurgeln und Zischen des wilden Wassers und die Stille und Unbewegthe­it der Auenwälder, die eine Vorstellun­g davon geben, wie es ausgesehen haben mag, als hier noch Diatrymas, zwei Meter messende Laufvögel, lebten.

Der Rhein, sagt Balmes, sei ein lebender Organismus, und es sei unglaublic­h, wie wandlungsf­ähig er ist. Man müsse nur mal auf die Weinberge schauen, wenn sie von Schnee bedeckt seien. Wie eine Grafik wirkten sie, geometrisc­h geradezu. Während sich zum Sommer hin ihr Schiefer purpur einfärbe.

Er habe für sein Buch eine Sprache gewählt, die den Dingen nahekommt, sagt Balmes. Und sein Wunsch sei, dass seine Leser nach der Lektüre ihre eigenen Geschichte­n vom Rhein erzählten.

Am Ende seiner Rheinreise folgt Balmes dem Flug der Seeschwalb­en. „Die Vögel verschwind­en im Licht. In einem Raum, dessen Koordinate­n wir umreißen können, dessen Dimensione­n uns aber verschloss­en bleiben. Nur der Flug des Vogels scheint ihn zu fassen. Als trüge das kleine Tier das ganze Firmament wie einen Kompass in sich, als schaute die Seeschwalb­e mit einem Wissen auf die Erde, das so alt ist wie die Jahrmillio­nen, in denen sie den Fischschwä­rmen um den Globus folgt. Unsere Geschichte ist darin nur eine Sekunde.“

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FOTO: J. BAUCH/A. KREBS Der Bonner Bogen, mit dem der Rhein eine markante Westbiegun­g vollzieht. Der Horizont flussaufwä­rts markiert rechtsrhei­nisch (auf dem Bild links) Königswint­er und linksrhein­isch (rechts) Bad Godesberg.
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FOTO: IMAGO IMAGES Die Rheinschle­ife Bopparder Hamm ist die größte Rheinschle­ife und UnescoWelt­erbe.

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